Tobias Rehberger stellt in einer sehr persönlichen Ausstellung in Kopenhagen grundsätzliche Fragen an die Kunst und die Rolle des Künstlers. Zudem präsentiert er sich als leidenschaftlicher Sammler seiner selbst und anderer Kuriositäten
„Man hat das Gefühl, als wärest du hier eingezogen“, kommentiert Nanna Hjortenberg, seit knapp einem Jahr Direktorin der Kopenhagener Kunstinstitution GL Strand, die neue Ausstellung in ihrem Haus. Auf zwei Etagen, dem Vorplatz und an der Fassade des alten Bürgerhauses, versammelt diese Arbeiten des deutschen Künstlers Tobias Rehberger.
„through the back side of my eye“, so der Titel der ungewöhnlichen Schau, versteht sich dabei keineswegs als klassische Retrospektive. Eine solche fand noch 2022 im Kunstmuseum Stuttgart statt. Rehberger und Anne Kielgast, der Kuratorin der Schau, schwebte bei der Konzeption seiner ersten Einzelausstellung in Dänemark etwas anderes vor. Und zwar ein Selbstporträt des Künstlers vor der Folie seiner eigenen Sammlungen. „Vielleicht ist es eine gute Idee, einmal das zu zeigen, was ich für mich selbst behalten habe“, so Rehberger.
Es gibt daher keinerlei externe Leihgaben in der ansonsten mit Exponaten prall gefüllten Schau. Alles, was zu sehen ist, gehört Rehberger selbst. Da sind einerseits Arbeiten, die zwar schon einmal in Ausstellungen gezeigt wurden, die er aber anschließend für sich behalten und nicht dem Kunstmarkt und seinen schwer kontrollierbaren Mechanismen überlassen wollte. Das Spektrum umfasst Werke aus mehr als 30 Jahren: von seiner Studienzeit an der Frankfurter Städelschule bis hinein in die unmittelbare Gegenwart. Die Besucher:innen sind eingeladen, dysfunktionale Möbelobjekte, einen nahezu leeren Raum mit schwarz-weißer Dazzle Camouflage, Neonarbeiten oder aber eine etwas aufdringliche Kuckucksuhr mit Michael Jackson-Schreien zu erleben.
Hinzukommen, und das macht die Schau besonders persönlich, diverse Sammlungen von Nicht-Kunst-Objekten, die sich im Laufe der Jahre im Hause Rehberger formiert haben und nun erstmals öffentlich gezeigt werden: kuriose Teekannen, Aschenbecher aus aller Welt, naturgetreue Pilzmodelle und jede Menge Kochbücher. Ob Rezepte des Drei-Sterne-Kochs Alain Ducasse oder hippe koreanische Küche des Youtube-Stars Maangchi: Tobias Rehberger outet sich mit dieser teils schon etwas zerfledderten Sammlung als versierter Hobbykoch und Genießer. Einen ganz besonderen Platz hat er, der 1966 im schwäbischen Esslingen geboren wurde, dem Maultaschenrezept seiner Mutter eingeräumt.
Rehberger selbst mag allerdings gar nicht von Sammlungen sprechen. Er bevorzugt den Begriff „Anhäufungen“. Aus zunächst wenigen Exemplaren hätten sich im Laufe der Jahre – auch durch Geschenke von Freunden – immer größere Konvolute gebildet. Betrachtet man die Sammlung von Teekannen, so wird sofort klar, was ihn daran etwa auch künstlerisch interessiert und inspiriert. Die Variationsbreite reicht hier von japanischer Formstrenge bis hin zu den in England beliebten Kannen in Form von Katzen, Bären oder menschlichen Grimassen.
Genau das ist auch ein Leitthema der Ausstellung. Wie kommen künstlerische Ideen überhaupt zustande? Wie lässt sich Vorgefundenes geistreich transformieren und mit selbst Ausgedachtem in ein ausgewogenes Verhältnis bringen?
Über seine ganze Karriere hinweg hat sich Tobias Rehberger dabei nie als genialischer Einzelkünstler definiert. Bekannt ist er für seine Kollaborationen mit anderen Kunstproduzent:innen. So zeigt ihn eine Fotografie, die er hier als Wandtapete aufgezogen hat, im Kreise seiner Künstlerfreunde Not Vital, Richard Long und Rirkrit Tiravanija in der Sahara sitzend, während sie über gemeinsame Projekte sinnieren.
Davor sind, in Rot, Gelb und Blau, drei große Skulpturen platziert, die aus Eins-zu-eins—Abformungen von Termitenhügeln hervorgegangen sind. Die Frage der Formfindung hat er in diesem Fall komplett den Staaten bildenden Insekten überlassen. Er selbst fungierte, wie so oft, nur als Katalysator oder Einschleuser in die Wahrnehmungsmechanismen des Kunstbetriebs.
Ganz ähnlich vorgegangen ist er auch bei der Produktion seiner neuesten Skulpturen: benutzbare Sitzmöbel in typisch knalligen Farben à la Rehberger. Die Formen resultieren aus einer Internetrecherche. Zwei geballte Fäuste, einen Felsen oder ein ausgespucktes Kaugummi hat er im 3D-Printer jeweils in Sesselgröße ausdrucken lassen und um ein kleines, verwegenes Detail in Form einer als Aschenbecher dienenden Vertiefung ergänzt. Logisch, dass die Aschenbechersammlung im selben Raum zu finden ist.
Und selbst denjenigen, die die Ausstellungsräume von GL Strand aus Schwellenangst oder anderen Gründen nicht betreten mögen, macht Rehberger ein Angebot. Seine extra für die Ausstellung entstandene Arbeit „We are not done yet“ auf dem Vorplatz besteht aus einem großen Bluetooth-Lautsprecher, den Vorbeikommende mit ihrem Handy aktivieren können. So wird der Platz zur temporären Partyzone, während die Neonarbeit an der Fassade rhythmisch dazu blinkt. Ganz im Sinne von Tobias Rehbergers Credo, dass Kunst dann am besten rüberkommt, wenn man sie nicht angestrengt zu entschlüsseln versucht, sondern ganz entspannt in ihr „abhängt“.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Tobias Rehberger: through the back side of my eyes
Ort: Kunstforeningen GL Strand, Kopenhagen
Zeit: 15.9.2023 bis 14.1.2024. Di/Mi/Fr 11-18 Uhr. Do 11-20 Uhr. Sa/So 11-17 Uhr
Katalog: keine Publikation. Zur großen Retrospektive 2022 im Kunstmuseum Stuttgart ist folgender Katalog erschienen: I do if I dont’t. 320 Seiten, 250 Bilder, Deutsch/Englisch
Dr. Cantz’sche Verlagsgesellschaft (DCV), 44 Euro
Internet: www.glstrand.dk