Der Schweizer Enzo Enea denkt Landschaftsarchitektur ganzheitlich. In seinem Baummuseum am Zürichsee kann man sich davon überzeugen. Rund 40 Werke internationaler Künstler:innen wirken hier als Verstärker der Wahrnehmung von Kunst und Natur
Schon die Annäherung an diesen Ort ist ein Erlebnis. Eine sattgrüne Sumpfzypressenallee bildet das eindrucksvolle Entree zum Baummuseum, das Enzo Enea, der derzeit wohl gefragteste Landschaftsarchitekt der Welt, im schweizerischen Rapperswil-Jona in einem 75.000 Quadratmeter großen Park angelegt hat.
Warum gerade Sumpfzypressen? Den Grund und Boden für sein Baummuseum hat Enzo Enea von den Schwestern des benachbarten Zisterzienserklosters Mariazell Wurmbach auf 99 Jahre gepachtet. Das weitläufige Gelände unweit des Zürichsees hat aber einen entscheidenden Nachteil: Es ist ungewöhnlich sumpfig. Wie also der Lage Herr werden? Enzo Enea kam auf die Idee, sich die Großherzöge der Toskana zum Vorbild zu nehmen, die ab dem 18. Jahrhundert den Anstoß gaben, die Sümpfe der küstennahen Maremma mit Hilfe intelligenter Entwässerungsmaßnahmen nach und nach trockenzulegen, in fruchtbares Agrar- und Weideland zu verwandeln und damit am Ende sogar die dort jahrhundertelang grassierende Malaria auszurotten.
Die ursprünglich am Mississippi und in Florida heimische Sumpfzypresse erschien Enea als probates Mittel für sein Vorhaben. Sie entzieht dem Boden pro Baum und Tag 800 Liter Feuchtigkeit. Durch diese Pflanzaktion hat der stets an unkonventionellen Lösungen interessierte „Gartenflüsterer“ kurzerhand den Grundwasserspiegel gesenkt und den Boden urbar gemacht. Schöner Nebeneffekt: Die wasserziehenden Alleebäume betören im Frühjahr und Sommer durch ihr intensives Grün, im Herbst aber bieten sie ein wunderbares Farbspektakel aus Orange- und Gelbtönen. „Da kann selbst das Orange von Hermès nicht gegen anstinken“, kommentiert Enzo Enea sein Meisterstück nicht ohne Stolz.
Das bisher weltweit einzige Baummuseum wurde im Jahr 2010 eröffnet. Seit 2013 wird die großzügige Anlage, die über 3.000 exklusive Gehölze beherbergt, nach und nach um zeitgenössische Skulpturen und Interventionen namhafter Künstlerinnen und Künstler ergänzt. Bei der Auswahl wird Enea von dem Schweizer Kurator und Ausstellungsmacher Christoph Doswald und der Art Managerin Sarah Badreddin unterstützt. Zur Zeit sind rund 40 zeitgenössische Kunstwerke und Installationen zu sehen, darunter Arbeiten der Schweizerin Sylvie Fleury, ihres Landsmanns Ugo Rondinone, des Amerikaners John Giorno, des Spaniers Jaume Plensa oder deutscher Künstler:innen wie Stella Hamberg, Olaf Nicolai und ganz aktuell Gregor Hildebrandt.
„Ich versuche, mit möglichst viel Ästhetik und Schönheit die Menschen zu sensibilisieren“, sagt Museumsgründer Enzo Enea, der Kunst als Wahrnehmungsverstärker betrachtet. „Die Kunst muss schön aussehen, aber auch eine Message mitbringen. Ich möchte Kunst aus der ganzen Welt ins Baummuseum bringen“. Es gehe ihm dabei jedoch nicht um Dekoration, sondern um Integration, betont Enea. Im Fokus stehen für ihn immer noch die Pflanzen.
Im Museum selbst sind über 50 vor der endgültigen Abholzung bewahrte und nach Rapperswil-Jona transferierte Bäume oder besser Baumindividuen aus mehr als zwei Dutzend Arten zu bewundern. Etliche davon stammen aus entfernteren Weltgegenden und können auf ein über 100 Jahre altes Leben zurückblicken. So zum Beispiel einige besonders bizarre Exemplare des japanischen Bergahorns aus der Zeit um 1880, die Enzo Enea nach Rapperswil geholt hat und hier in großen historischen Eisengefäßen präsentiert. Generationen von Gärtnern haben den jetzigen, ästhetisch perfekt durchgeformten Zustand in Japan durch gezielte Eingriffe herbeigeführt. Dass diese seltenen Gewächse jetzt im schweizerischen Baummuseum ihren neuen Platz gefunden haben, ist dem leidenschaftlichen Engagement, vielleicht auch ein wenig der Verrücktheit Enzo Eneas zu verdanken. Denn er ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Mann, der Bäume versetzen kann.
Der 1964 geborene Schweizer mit italienischen Wurzeln hat nämlich eine aufwändige Technik entwickelt, mit der er jahrhundertealte Bäume in der Regel schadlos von einem Ort zum anderen transferieren kann. Es handelt sich dabei um eine spezielle Schnitttechnik, die den Baum vorsichtig mitsamt großer Teile seiner Wurzel dem ursprünglichen Standort entnimmt. Die Wurzel wird dann mit einer Spezialfolie für den Transport umwickelt. „So etwas mache ich mittlerweile weltweit“, erläutert Enzo Enea. Der gelegentlich als „Picasso der Gärten“ bezeichnete Landschafts-gestalter ist mit diesem Patent berühmt geworden. Sein Unternehmen beschäftigt zur Zeit rund 240 Mitarbeitende, darunter Fachleute für Botanik, Landschaftsarchitektur, Architektur, Design, Planung, Konstruktion und Innendesign. Neben luxuriösen Privatgärten und Terrassen ist das Unternehmen auch auf die Gärten von größeren Unternehmen, Hotels, Restaurants und Ferienanlagen spezialisiert. Zudem werden Golfplätze und öffentliche Parks geplant und realisiert. Zu Enzo Eneas Kunden zählten – so viel ist offiziell bekannt – unter anderen der damalige Prince of Wales, heute König Charles III, Pop Stars wie George Harrison und Tina Turner oder der New Yorker Glamourkünstler Jeff Koons. Die Liste ließe sich wohl noch um etliche prominente Namen ergänzen. Doch in Eneas Branche zählt eben auch Diskretion.
Doch wie hat alles angefangen? Bereits der Vater Enzo Eneas war auf gehobene Gartendekoration für anspruchsvolle Klienten spezialisiert. Sozusagen als Inspirationsquelle besaß er eine imposante Sammlung von Terrakottagefäßen von der Antike bis zu den Zeiten der Medici. Diese beeindruckende Kollektion wird bis heute im Baummuseum präsentiert und in Ehren gehalten. Enzo Enea selbst hat zunächst Industriedesign und im Anschluss daran in London Landschaftsarchitektur studiert. 1993 hat er dann die Firma seines Vaters übernommen. Auf dieser Grundlage entwickelte der Experte für Landschaftsgestaltung sein heute global operierendes Unternehmen. 2005 wurden Filialen in Zürich und Miami etabliert, 2016 kam der Standort New York hinzu. Bereits in den Jahren zuvor hatte Enzo Enea seinem Unternehmen auf internationalen Gartenbaumessen Sichtbarkeit verschafft, so zum Beispiel in Brasilien oder auf der traditionsreichen Chelsea Flower Show in London, wo er bereits 1998 eine Auszeichnung erhielt.
Enzo Enea eilt der Ruf voraus, mit schweizerischer Sorgfalt und Präzision Bäume zu retten. Dies tut er seit mehr als 30 Jahren. So hat er beispielsweise einen Baum vor der Abholzung bewahrt, der ursprünglich vor dem Arbeitszimmer eines Herzchirurgen an einer Schweizer Kinderklinik stand. Auf diesen Baum schaute der Arzt immer wieder. Vor allem, wenn nach vergeblichen Rettungsversuchen ein Kind verstarb, fand er Trost im Anblick dieses Stücks Natur. Eine Klinikerweiterung hätte den Baum das Leben gekostet – wenn nicht Enzo Enea ins Spiel gekommen wäre. Jetzt steht der ehemalige Klinikbaum im Baummuseum in Rapperswil. Allein der Transfer hat 40.000 Schweizer Franken gekostet.
Praktisch jeder Baum im Baummuseum hat eine lange Geschichte. Enzo Enea hat davon noch so einige parat. Wer nicht das Glück hat, den Gründer des Baummuseums persönlich zu treffen, kann all diese Geschichten auf Deutsch oder Englisch auf dem seit Kurzem neu verfügbaren, von Enea selbst eingesprochenen Audioguide anhören. Hier noch eine der spannendsten: Sie handelt von einer prächtigen Rosskastanie auf einem Dorfplatz im ländlichen Raum, die dort jahrzehntelang als Schwarzes Brett für Plakate und lokale Nachrichten, Notizen und Mitteilungen diente. Von der Dorfbevölkerung wurde sie wie eine Art analoges Facebook genutzt. Die Abholzung dieses Baumes sollte gerade beginnen, als Enea zufällig vorbeikam. Durch geschicktes Verhandeln konnte er den Baum retten. Er gab ihm den Namen „Messenger“. An seinem neuen Standort im Baummuseum verleiht zur Zeit die Künstlerin Sara Kieffer dem in Würde gealterten „Nachrichtenbaum“ mit einer immersiven künstlerischen Intervention eine neue Existenz. „Der Baum bleibt im Kontext und bekommt so ein neues Leben“, ordnet Enzo Enea das Projekt in die Grundphilosophie seines Baummuseums ein.
Überhaupt Philosophie. Über die Jahrzehnte hat sich Enzo Enea – bei allem Erfolg und internationaler Präsenz – nicht nur eine große Gelassenheit und Lebensfreude erhalten. Der stark von seinen italienischen Wurzeln geprägte Schweizer philosophiert, angesichts des beeindruckenden Alters, das Bäume erreichen können, auch gern einmal über das Phänomen der Zeit: „Zeit ist etwas, das man für kein Geld der Welt kaufen kann“, sagt er. „Zeit ist die Gerechtigkeit dieser Welt.“
Einen großen Auftritt hatte Enzo Enea zuletzt im Juni während der Art Basel. Für den denkmalgeschützten Rundhof des Messegeländes, der für Besucher:innen und Galerist:innen traditionell einen beliebten Treffpunkt bildet, hat er unter dem Titel „Climate Nomads“ ein multisensorisches Konzept entwickelt, um die Aufenthaltsqualität entscheidend zu verbessern. Wieder einmal ging es vordergründig um das Transferieren von Bäumen. Letztlich ging es aber um weit mehr. Nämlich das Art-Basel-Publikum dafür zu sensibilisieren, dass nur noch ganz bestimmte, besonders resiliente Baumarten in Zukunft eine Chance zum Überleben haben.
Für die Rotunde der Messe hatte Enea daher mit persischen Eisenholzbäumen, Waldkiefern und portugiesischen Korkeichen besonders widerstansfähige Baumsorten ausgewählt, die voraussichtlich auch in 50 oder 100 Jahren noch der zu erwartenden Erderwärmung standhalten. Diese Bäume, duftende Strauchrosen und einige weitere Straucharten fanden während der Art Basel-Woche ihren temporären Platz in der Rotunde und dienten dort als Schatten-, Duft- und Sauerstoffspender, Treffpunkt und vor allem natürlicher Gegenpart zum hektischen Messegeschehen, bei dem es vor allem um das Geschäft mit der Kunst geht. Eingepflanzt waren sämtliche Gewächse samt Wurzelballen in gigantische Verschnürungen aus recycelten Fischernetzen, welche gleichzeitig als bankartige Sitzgelegenheiten genutzt werden konnten.
Doch auch die Kunst wurde einmal mehr als Wahrnehmungsverstärker in das Gesamtkonzept integriert. So hatte Enea den zum Thema Klimawandel und weiteren ökologischen Fragestellungen arbeitenden niederländischen Künstler Thijs Biersteker eingeladen, die enorme Pumparbeit eines Baumes anhand eines Schlauchsystems künstlerisch zu visualisieren. Und der Berliner Konzeptkünstler Olaf Nicolai steuerte zwei seiner bereits aus dem Baummuseum bekannten, farbig bemalten Bienenhäuser zur Natur-Installation bei. Von Enea-Design entworfene Sofas und Sessel mit Sitzflächen aus farbigen verspannten Kletterseilen, wie man sie im Bergsport verwendet, rundeten den auf Recycling und Nachhaltigkeit abzielenden Gesamtentwurf ab.
Auch wenn Enzo Enea ein erfolgreicher, global operierender Unternehmer ist, macht er sich gerade in letzter Zeit auch zunehmend Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Bei seiner täglichen Auseinandersetzung mit Landschaft, Natur, Kunst und Transformationsprozessen ist ihm klar geworden, dass wir in Zeiten eines nicht zu übersehenden Klimawandels leben, der uns und die nächsten Generationen noch intensiv beschäftigen wird. Eneas Botschaft fällt daher wie ein Appell an uns alle aus: „Der jetzige Ist-Zustand lautet, dass die Natur stirbt. Es findet eine nicht zu übersehende Veränderung statt. Und wir müssen darauf reagieren.“
Auf einen Blick:
Museum: Enea Baummuseum
Ort: Rapperswil-Jona, Kanton St.Gallen, Schweiz
Zeit: März bis Oktober Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa 10-17 Uhr
November bis Dezember Mo-Fr 9-17.30 Uhr, Sa 10-16 Uhr
Das Baummuseum ist an Sonn- und Feiertagen sowie im Januar und Februar geschlossen.
Internet: www.enea.ch/baummuseum
Eintritt: Erwachsene 15 CHF, Gruppen ab 10 Personen und Studierende 12 CHF