Die New Yorker Künstlerin Josephine Meckseper zeigt neue Arbeiten in der Stuttgarter Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff
Josephine Meckseper ist eine in New York City lebende Künstlerin, bekannt für ihre raumgreifenden Installationen und Filme, die eine konventionelle Interpretation vertrauter kultureller Bildwelten und die Systeme für deren Zirkula- tion und Ausstellung hinterfragen. Ihr eine Vielzahl an unterschiedlichen Medien umfassendes Werk legt gleichzeitig Signifikanten wie beispielsweise kunsthistorische Verweise und Alltagsgegenstände bloß und kaschiert sie, um so eine Untersuchung des kollektiven Unbewussten unserer Zeit vorzunehmen.
In Hans Christian Andersens Märchen „Der Schatten“ entwickelt der Schatten eines gelehrten Mannes ein Eigenleben, kehrt später als der Erfolgreichere der beiden zu dem armen Schriftsteller zurück und nimmt schließlich dessen Identität an. Am Ende des Märchens wird der Künstler durch die Machenschaften des Schattens standrechtlich hingerichtet.
Der Erzählstrang in Josephine Mecksepers Ausstellung ist weniger linear, es handelt sich eher um eine intensive Halluzination in Einblendungen, und jede von ihnen ein filmischer Drop Frame. Der seltsame Ausstellungstitel folgt einer Regel im Deutschen, die es erlaubt, Worte in eine Schlange von Nomen zusammenzucollagieren; niemand kann etwas dagegen einwenden. Anders gesagt, ist der Titel exemplarisch dafür, wie Meckseper denkt, schreibt und ihr „Netz von Verbindungen zwischen spekulativer Finanzwirtschaft, Politik, Wirtschaft und Krieg knüpft“.1 Es kommt immer eins zum anderen. Wie diese in einem Spinnennetz der Präzision arrangierten Arbeiten.
Inmitten der neuen Gemälde, Skulpturen und Mecksepers typischer Zurschaustellung der Materialien und Strategien der Zurschaustellung als solcher, befindet sich eine kopflose Schaufensterpuppe, die ein abstraktes Gemälde im Arm hält. Schaufensterpuppen, als eine Art Schatten von Körpern, spielen schon lange eine Rolle im Werk der Künstlerin, ob sie Schilder in die Luft halten oder schick oder weniger schick angezogen sind, genau wie im Schaufenster. Die Puppe hier bietet eine Leinwand dar – oder ist es nur ein Malereiverweis, „Malerei neben der Rolle“2, eine Sonderkollektion der Geschichte? – die so farblos ist wie ihr eigener Körper. Wir fragen uns vielleicht, was für ein Deal das ist, vielleicht ein weiterer „GOING OUT OF BUSINESS SALE“ (AUSVERKAUF WEGEN GESCHÄFTSAUFGABE) wie in Mecksepers bedeutender skulpturaler Installation Ten High (2008).
Was, wenn die künstlerische Figur, ja die ideale Autorin der Ausstellung, diese geköpfte Schaufensterpuppe wäre, die zwischen digital gedruckten, schablonierten, und gemalten Gemälden von sich schlängelnden Kordeln, nebulösen Flaschen oder Fossilien und zweifelhafter Ausschussware Hof hält? Ernst Jünger theoretisierte um 1938 den Arbeiter als eine für den und vom Krieg mobilisierte Person, mit metallischen Gesichtszügen, wie verzinkter Stahl, aber was ist mit dem Arbeiter ohne Gesicht, oder ohne Kopf? Wir könnten das den Schatten eines Künstlers nennen.
Macht das fehlende Gesicht der Schaufensterpuppe sie weniger zu einer Figur, mit der man sich identifizieren kann, als das Model aus einer Jil-Sander-Werbung aus den 2000er Jahren mit seinem wie bei Geldscheinen doppelt gedruckten UV-Tintengesicht, gleich nebenan ausgestellt? Das Fenster zur Seele scheint aus der Reproduktion weggelassen worden zu sein; betrachtet man es als Gegenstand oder Schatten – wer würde etwas dagegen einwenden? Wir sind zum Recyceln angehalten; ergo befolgt Meckseper diese weitere Regel, sei es, indem sie kommerzielle Bilder umarbeitet oder Scans von plattgedrücken Blechdosen über Texturen aus geschreddertem Papier und Sperrholzprodukten (eine Pressung aus Holzschnitzeln) collagiert. Der trockene Humor ihrer Bilder in durchgehend satter Auflösung täuscht nicht darüber hinweg, dass es zusammengepresste Reststoffe sind, ob nun JPEG oder TIFF. Selbst die leuchtenden, biomorphen Gemälde sind mit Schablonen angefertigt, die Meckseper im Müll gefunden hat – die Schaufensterpuppe-Arbeiterin bzw. das Model würde das verstehen.
(Text: Paige K. Bradley, Übersetzung ins Deutsche: Wilhelm Werthern)
Mecksepers Arbeiten sind weltweit in zahlreichen Einzelausstellungen in Museen gezeigt worden, unter anderem im Lewis Center of the Arts, Princeton University, Princeton (2024); im Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich (2009); im Indianapolis Museum of Art, Indianapolis (2009); sowie im Museum of Modern Art, New York (2008); und dem Kunstmuseum Stuttgart (2007). Arbeiten von ihr sind in den Sammlungen wichtiger Institutionen zu finden, darunter das Whitney Museum of American Art, das Solomon R. Guggenheim Museum, das Museum of Modern Art und das Metropolitan Museum. Meckseper wurde 2022 mit einem Guggenheim Foundation Fellowship sowie einem Visiting Fellowship an der Princeton University ausgezeichnet.
1 Sylvère Lotringer, „Crashing“, Josephine Meckseper. Zürich: JRP|Ringier, 2009.
2 David Joselit, „Painting Beside Itself“, OKTOBER 130, Herbst 2009, SS. 125-134.
Josephine Meckseper is a New York City based artist, known for her large-scale installations and films that challenge the conventional reading of familiar cultural imagery and the systems of circulation and display. Her work, which encompasses a variety of media—simultaneously exposes and encases signifiers such as art historical references and everyday objects, to form an investigation into the collective unconscious of our time.
„In Hans Christian Andersen’s story „The Shadow“ (1847), a learned man’s shadow departs from him and takes on a life of its own, later returning to the poor writer as the more successful of the two and eventually superseding his identity. By the end of the tale, the artist is summarily executed through the connivance of the shadow.
The narrative in Josephine Meckseper’s show is less linear, more an acute hallucination compressed into flashes and each piece a cinematic drop frame. Its curious title obeys a rule of German which allows you to do things like collage words into a snake of nouns; nobody can object. In English, the lineup would be something like „Babys- ablethoothtigerfullycomprehensiveinsurancepolicyapplicationcertificate.“ Translated another way, it’s a shorthand for how she thinks, writes, and weaves her „web of connections between speculative finance, politics, economy and war.“1 It’s always one thing after another. Like these works, arranged in a spiderweb of precision.
Amidst the new paintings, sculptures, and Meckseper’s characteristic displays of the materials and strategies of display itself is a headless mannequin cradling an abstract painting. Mannequins, which are like shadows of bodies, are an ongoing motif of the artist’s work whether holding aloft signs or appearing dressed up (and down) as they are in the retail window. The mannequin here proffers a canvas—or is it the model of painting, „painting beside itself,“2 a capsule collection of history?—as drained of color as its own body. We might wonder what kind of bargain this is, perhaps another „GOING OUT OF BUSINESS SALE“ as in Meckseper’s important sculptural installation Ten High (2008).
What if the artistic figure, even ideal author, of the show was this beheaded mannequin holding court amongst digitally printed, stenciled, and, yes, painted paintings of snaking cords, nebulous bottles or fossils, and ambiguously desirable debris? Ernst Jünger’s ca. 1938 theorization of a worker was a person mobilized for and by war, whose face would become metallic, like galvanized steel, but what of the worker without a face, nor a head? We might call that a shadow of an artist.
Does the mannequin’s missing face make them any less relatable than the model from a ca. 2000s Jil Sander advertisement with their UV-ink face double-printed like currency, exhibited just adjacent? The window to the soul seems left out of the reproduction; consider them an object, or a shadow—who would object? We’ve been told to recycle; ergo Meckseper, again, is following the rules whether by reworking commercial images or collaging scans of flattened aluminum cans over textures of shredded paper and plywood product (a compression of wooden shreds). Their altogether rich resolution as an image is a dry joke—it’s compressed recyclables whether JPEG or TIFF. Even the bright, biomorphic paintings are made using stencils Meckseper found in the bin—the mannequin worker/model could relate“.
(text: Paige K. Bradley)
Meckseper’s works have been featured in numerous solo museum exhibitions worldwide, including the Lewis Center of the Arts, Princeton University, Princeton (2024); the Frac des Pays de la Loire, Nantes (2019); the Migros Museum für Gegenwartskunst, Zurich (2009); the Indianapolis Museum of Art, Indianapolis (2009); and the Museum of Modern Art, New York (2008); and the Kunstmuseum Stuttgart (2007). Her works are in the permanent collections of major institutions, including the Whitney Museum of American Art; the Solomon R. Guggenheim Museum; the Museum of Modern Art; and the Metropolitan Museum. Meckseper was awarded a Guggenheim Foundation Fellowship and a Visiting Fellowship at Princeton University in 2022.
1 Sylvère Lotringer, „Crashing,“ Josephine Meckseper. Zurich: JRP|Ringier, 2009.
2 David Joselit, „Painting Beside Itself,“ OCTOBER 130, Fall 2009, pp. 125-134.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Josephine Meckseper:
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Ort: Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff, Stuttgart
Zeit: bis 15. November 2024, Di-Fr 13-18 Uhr sowie nach Vereinbarung
Internet: www.reinhardhauff.de
Dieser Text wurde DARE freundlicherweise von der Galerie Elisabeth und Reinhard Hauff zur Verfügung gestellt.