Der Düsseldorfer Fotograf Axel Hütte zeigt im arp museum Bahnhof Rolandseck Werke aus der Zeit von 1997 bis heute

Ausstellungsansicht Axel Hütte. Stille Weiten, Foto: Mick Vincenz
„Ich stehe still, staune und versuche dieses Staunen zu übersetzen“. So beschreibt der Düsseldorfer Fotograf Axel Hütte seine künstlerische Methode. Er scheint ein extrem geduldiger Mensch zu sein. Denn dieses Stillstehen und Staunen kann schon mal etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, als sich Außenstehende das vielleicht vorstellen. Auf die Einladung eines norditalienischen Museums hin hat er einmal rund sechs Wochen vor Ort in den italienischen Alpen verbracht. Am Ende, nachdem er den Ort seiner Aufnahme festgelegt hatte, hat er dann noch zwei bis drei Tage auf das Schauspiel des aufsteigenden Nebels und das richtige Licht gewartet. Hütte als Perfektionisten zu beschreiben, greift fast schon zu kurz. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Fotograf bereitet er jede einzelne seiner Aufnahmen in wochen- und monatelanger akribischer Recherche vor. Er studiert dann zum Beispiel möglichst detailgenaue Landkarten. So stößt er auf Orts- und Gemarkungsbezeichnungen, die Namen von Bergen, Gletschern, Weihern, Wäldern, kleinen oder großen Wasserläufen.

Axel Hütte: Glacier des Boissons, Frankreich, 1997,
© Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Alles Orte, die schon bei der Vorbereitung im Studio so sehr sein Interesse wecken, dass er sich mit seiner nicht gerade handlichen Kameraausrüstung dorthin begibt. Danum Valley, Glacier des Bossons, Totenkopf, Unterer Truchseßweiher, Henri Pittier oder Blaubeuren. Geografische oder topografische Bezeichnungen wie diese fließen schließlich auch in die sachlich-präzisen Titel seiner Aufnahmen ein.
Fotografien von allen Kontinenten der Welt
Axel Hütte fotografiert mit einer klassischen Plattenkamera, genau so, wie es 100 Jahre vor ihm der epochemachende Fotograf August Sander (1876-1964) getan hat. Nur dass der in erster Linie Menschen fotografierte, während Hütte eher an den überzeitlichen Erscheinungsformen unseres Planeten und seiner Landschaften interessiert ist. Rund 25 Kilo wiegt Hüttes Ausrüstung. Und genau wie ihr Besitzer hat sie schon alle Kontinente dieser Welt bereist.

Ausstellungsansicht Axel Hütte. Stille Weiten, Foto: Mick Vincenz
Die Ausstellung im Richard-Meier-Bau
Die Resultate dieser intensiven Ortsbesichtigungen können sich auf jeden Fall sehen lassen. 32 großformatige Fotografien und vier Videoarbeiten umfasst die von Jutta Mattern kuratierte Ausstellung Axel Hüttes im arp museum Bahnhof Rolandseck mit dem Titel „Stille Weiten“, die noch bis Mitte Juni 2025 in dem weiß über dem Rhein strahlenden Richard Meier-Bau nur ein paar Kilometer südlich der Bonner Stadtgrenze besichtigt werden kann. Die Ausstellung ist allerdings nicht primär als chronologischer Überblick konzipiert. Vielmehr greift sie bestimmte Werkaspekte wie Konstruktionen und Obstruktionen des freien Blicks, Formen der Naturbetrachtung und deren Umsetzung in durchrhythmisierte Bildkompositionen bis hin zur (scheinbaren) Abstraktion auf.

Ausstellungsplakat, Foto: Heiko Klaas
Die exponierte Lage des Museums rund 40 Meter hoch über dem Rheinufer spricht für sich, und sie korrespondiert aufs Vortrefflichste mit Hüttes Motiven. Denn er ist keineswegs nur in den tropischen Wäldern Borneos und Venezuelas oder den Weiten Australiens tätig gewesen. Auch etwas so Naheliegendes wie den Rhein hat Hütte mehrmals fotografiert: Die Aufnahmen „Rheingau/Nebel I, Germany, 2009“ und „Ingelheim, Germany, 2009“ zeigen den winterlichen Fluss. Schiffe oder Zivilisationsspuren sind nicht zu sehen. Einmal verunklären Nebelschwaden den freien Blick auf die kahlen Bäume am gegenüberliegenden Ufer, einmal wirkt die beinahe erstarrte Wasseroberfläche fast schon wie ein Spiegel, in dem sich die Konturen der Bäume am gegenüberliegenden Ufer verdoppeln.

Axel Hütte: Rheingau/Nebel 1, Deutschland, 2009, © Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Was schwarz-weiß zu sein scheint, ist farbig
Wobei wir auch schon bei zwei ästhetischen Stategien wären, die Hütte in seinem Werk immer wieder anwendet. Er benutzt in diesem Zusammenhang Begriffe wie „Blickversperrung“ oder „Blickbegrenzung“. Besonders deutlich wird das an Aufnahmen wie „Val Gelada, Italy, 2022“ und „Gruppo di Brenta, Italy, 2022“. Beide zeigen schroffe Bergformationen in den Dolomiten. Es sind überzeitliche Eindrücke, die Hütte hier fixiert. Keine Häuser oder Hütten, weder Skilifte noch Flutlichtanlagen, weder Serpentinen noch sonstige Spuren der Zivilisation, auch Menschen oder Tiere sind normalerweise auf seinen Landschaftsaufnahmen nicht zu sehen. Während sich auf dem ersten Motiv der Blick in ein zwischen den Felsen liegendes Tal eröffnet, geht die Kamera bei der zweiten Aufnahme wesentlich näher an das Motiv, einen eher etwas weniger schroffen Berg unterhalb der Baumgrenze, heran. Beiden Aufnahmen gemeinsam ist aber, dass wesentliche Partien der Landschaft durch tiefhängende Wolken in den unterschiedlichsten Grauschattierungen verdeckt sind. Der erste Eindruck, wonach es sich hier um Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu handeln scheint, verfliegt im Übrigen beim näheren Herantreten an die Bilder. Wer genau hinschaut, wird Hunderte von Farbvarianten ausmachen können.
Spiegelungen wiederum kommen verstärkt auf den Aufnahmen von Wasseroberflächen zum Tragen. So etwa auf der Aufnahme „Blaubeuren 2, Germany, 2022“. Statt eines Blicks in die Landschaft ist hier eine bewegte, von oben herab fotografierte Wasseroberfläche zu sehen, in der sich Spuren von Landschaft in Form grüner, grauer und bräunlicher Reflexe widerspiegeln.

Axel Hütte: Blaubeuren-2, Deutschland 2022 © Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Verwischung der Grenzen von Sichtbarem und Unsichtbaren
„Fotografie“, so schreibt der Berliner Kunsttheoretiker Karlheinz Lüdeking in seinem Werk „Grenzen des Sichtbaren“ ist „durchaus in der Lage, nicht nur das jeweils von ihr Abgebildete, sondern auch ihre eigenen Abbildungsmodalitäten vor Augen zu führen“.
Wenn Axel Hütte davon spricht, Bilder zu „erzeugen“, statt einfach nur Situationen mit der Kamera festzuhalten, macht er genau das. Er schafft sozusagen fotografische Versuchsanordnungen, innerhalb derer er die Grenzen zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem verwischt. Die Natur, das Wetter, die Wolken, der Nebel, der Dunst, die Tageszeiten und viele andere von ihm nicht beeinflussbare Faktoren tragen zu der reinen Präsenz, Hütte spricht auch von „Empfindsamkeitsstimmung“, seiner Aufnahmen bei.

Axel Hütte: Cayo-1, Belize, 2008 © Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Düsseldorfer Fotoschule
Geboren 1951 in Essen, gehört Axel Hütte gemeinsam mit so bekannten Kolleg:innen wie Thomas Struth, Thomas Ruff oder Candida Höfer zu den ersten Absolvent:innen der Becher-Klasse an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die auch als Düsseldorfer Fotoschule bezeichnete Kaderschmiede der dokumentarisch-konzeptuellen Fotografie besuchte er von 1973 bis 1981. Bekanntermaßen fächerte sich die fotografische Praxis der Klasse später ziemlich weit auf. Während einige seiner Kommilitonen wie Andreas Gursky oder Thomas Ruff heute stark mit elektronischen Bildbearbeitungen operieren, ist er der analogen Aufnahmetechnik (weitgehend) treu geblieben.

Ausstellungansicht Axel Hütte. Stille Weiten, Foto: Mick Vincenz
Ästhetik und Melancholie
Während Hütte in erster Linie für seine Landschafts- und Architekturaufnahmen bekannt ist, hat er sich in der Corona-Zeit einem anderen Sujet zugewandt. Einer Art Gegenprogramm zu seinen vielen Reisen. Der Düsseldorfer, der auch in Berlin eine Wohnung hat, hat in der Zeit der Lockdowns und der Reisebeschränkungen damit angefangen, in dieser Wohnung Blumenstillleben zu fotografieren – und zwar mit der Digitalkamera. Doch auch hier macht er es sich keineswegs zu leicht. Statt frische, in voller Blüte stehende Blumen abzulichten, konzentriert er sich in dieser neuen Werkgruppe auf Blumen, die bereits verwelkt sind. „Meine Blumenvasen italienischer Art wollten bestückt werden“, so der Künstler. Nach bisweilen sechsmonatigen Trocknungsprozessen setzten dann Effekte ein, die ihn zu interessieren begannen. Die Stiele verholzten, die Formen verdrehten sich, und die Farbigkeit verschwand, mitunter aber auch nicht. Hütte zeigt diese Aufnahmen nun invertiert, also ins Negative verdreht. Alles was ursprünglich hell war, ist jetzt dunkel und umgekehrt. Das Resultat sind aus tiefem Schwarz heraus leuchtende, nahezu übersinnliche Erscheinungen. Fast so, als meldeten sich die Geister der untoten Blumen aus dem Jenseits zurück. Mittels digitaler Methoden, die den Effekt von Mehrfachbelichtungen simulieren, wird auf den als Metal Prints ausgeführten Arbeiten zudem eine fast feinstoffliche Aura erzeugt, die die einzelnen Blumen nicht nur äußerst skulptural wirken lässt, sondern ihnen auch ein surreales Fluidum verleiht. Hütte gelingt es in diesen Aufnahmen, das Spannungsfeld zwischen Schönheit und Vergänglichkeit, Ästhetik und Melancholie auf eine für ihn bisher unbekannte Art und Weise auszuloten.

Axel Hütte: Flower, 2020 © Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Farbkonzept der Berliner Architekten sauerbruch hutton
All diese Arbeiten werden übrigens auf Wänden präsentiert, denen ein ausgefeiltes Farbkonzept zugrunde liegt. Dafür verantwortlich zeichnet das Berliner Architektenpaar sauerbruch hutton. Laut eigenen Aussagen „parieren“ Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch mit dezent farbigen Wänden, die „chromatische Bezüge“ zu den jeweils auf ihnen gezeigten Werken aufweisen, ein wenig das „ubiquitäre Weiß“ des Richard-Meier-Baus. So schaffen sie für Hüttes Bilder eine Art abgeschottetes Reservat innerhalb des musealen Gesamtgefüges, eine ausgeklügelte Raumfolge, in welcher Betrachter:innen und Bilder ganz zu sich selbst kommen können.

Ausstellungsansicht Axel Hütte. Stille Weiten, Foto: Mick Vincenz
Und denjenigen, die Hütte am Ende des Rundgangs nochmals von einer ganz anderen, bisher weitgehend unbekannten Seite entdecken möchten, sei unbedingt noch der Raum mit seinen Videoarbeiten empfohlen. Hier zu erleben ist eine synästhetische Erlebniswelt, etwa mit stark verfremdeten Ansichten eines Feuerwerks oder dem nächtlichen Blick heraus aus einem Hotelzimmer in Detroit – alles unterlegt mit minimalistischen Klangteppichen von Philip Glass und jüngeren deutschen Komponisten aus dem Umfeld des Künstlers.

Porträt Axel Hütte, Foto: Heiko Klaas
Auf einen Blick:
Ausstellung: Axel Hütte. Stille Welten
Ort: Arp Museum. Bahnhof Rolandseck
Zeit: bis 15.6.2025. Di-So und Feiertage 11-18 Uhr
Katalog: 120 S., 49 farbige Abbildungen, Verlag der Buchhandlung Walther König, 34 Euro
Internet: www.arpmuseum.org

Axel Hütte, Totenkopf, Österreich, 2011 © Axel Hütte, VG Bild-Kunst, Bonn 2025