Karin Schick, die neue Sammlungsleiterin der Liechtensteiner Hilti Art Foundation, zeigt jetzt unter dem Titel „In Touch“ ihre erste Präsentation in Vaduz

Pablo Picasso: Frau im Sessel, 1932 © Succession Picasso, 2025 ProLitteris, Zürich, Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Seit rund einem Jahr arbeitet die deutsche Kunsthistorikerin Karin Schick jetzt als neue Sammlungsleiterin der Hilti Art Foundation. Die vorwiegend auf Klassische Moderne spezialisierte Stiftung der Industriellenfamilie Hilti – der Liechtensteiner Konzern ist einer der weltweit größten Werkzeughersteller – zeigt Teile der über 500 Spitzenwerke umfassenden Kollektion in sorgsam kuratierten Sammlungspräsentationen in einem architektonisch bemerkenswerten Museumsgebäude im Zentrum von Vaduz. Mit dem benachbarten Kunstmuseum Liechtenstein, dem staatlichen Museum für moderne und zeitgenössische Kunst des Fürstentums, teilt sich die Stiftung die Flächen für das Foyer, den Kassenbereich, den Museumsshop und die Gastronomie. Vor zehn Jahren wurde das Gebäude der Hilti Art Foundation eröffnet. Damals mit von der Partie waren nicht nur der Firmenchef Michael Hilti, sondern auch der langjährige Sammlungsleiter Uwe Wieczorek, der durch sensible, klug gesetzte Ankäufe, unterstützt von einem fachkundigen Beirat, 21 Jahre lang die Geschicke der Sammlung leitete. Diese besteht, genau genommen, aus zwei Sammlungen, nämlich der eher museal aufgestellten des Hilti Familientrusts und der zeitgenössischer und freier agierenden privaten Sammlung von Michael Hilti und seiner Frau Caroline.

Karin Schick in der Ausstellung „In Touch“, Foto: Heiko Klaas
Ein Pfund, mit dem jetzt auch Karin Schick wuchern kann. Die ausgewiesene Expertin für die Klassische Moderne verfügt über langjährige Erfahrungen als Direktorin des Kirchner Museums in Davos und als Sammlungsleiterin für die Abteilung Klassische Moderne an der Hamburger Kunsthalle. Nächste Station also: Vaduz. „Eine neue Etappe beginnt“, sagt Karin Schick. Auf drei Etagen zeigt die Kunstexpertin jetzt in ihrer ersten Sammlungspräsentation unter dem Titel „In Touch – Begegnungen in der Sammlung“ rund 40 Werke von 23 Künstlerinnen und Künstlern. Dabei wirft sie einen neuen, frischen Blick auf die Sammlung und stellt spannende Dialoge und Querverweise zwischen den einzelnen Exponaten her. Vor allem aber erzählt sie Kunstgeschichte in Form von Kunst-Geschichten und eröffnet so neue Perspektiven auf die einzelnen Exponate.

Ausstellungsansicht In Touch © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Besonderen Wert legt Karin Schick auf innovative Vermittlungsformate. Wichtig ist es ihr, „einen Zeitbogen zu spannen und das Angebot, welches die Kunstwerke bereithalten, mit Texten und möglichst vielen weiteren Informationen zu erweitern.“ Besonders hervorzuheben ist der anlässlich der Neupräsentation zusammen mit dem Berliner Unternehmen „tonwelt“ entwickelte Mediaguide. Auf sogenannten Vertiefungsebenen bietet die App unkonventionelle Zugänge und Sichtweisen auf einzelne Werke. Da interpretieren etwa Schüler einer Internationalen Schule Joan Mirós surrealistische Gouache „Mann und Frau“ aus dem Jahr 1935. Der Violinist Luke Hsu spielt in Erinnerung daran, dass Paul Klee ein begeisterter Geigenspieler und Bach-Interpret war, Fugen des Barockkomponisten. Klees ausgestelltem Gemälde „Zank-Duett“ (1938) fügt das eine ganz neue Dimension synästhetischer Erfahrung hinzu.

Lovis Corinth: Junge Frau mit Katzen (Charlotte Berend-Corinth), 1904 © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Für Karin Schick spielt aber auch Oral History eine wichtige Rolle. So kommen in der App auch Familienangehörige von Künstlern und andere Zeitzeugen zu Wort. Max Beckmanns Enkelin und Nachlassverwalterin Mayen Beckmann erzählt zum Beispiel von ersten Aufbrüchen des Malers ins Dreidimensionale. Die damit korrespondierende Plastik „Mann im Dunkeln“ (1934), eine von nur acht Skulpturen im Gesamtwerk, liefert dazu das passende Anschauungsmaterial. Und Kitty Kemr, die langjährige Lebensgefährtin des Malers Gotthard Graubner, berichtet, wie ein ausgedehntes Bad im Mittelmeer mit Blick auf die Fassaden der slowenischen Küstenstadt Piran ihn zu einer ganzen Serie von intensiv leuchtenden Bildern inspirierte. Einer dieser „Farbraumkörper“ (Gotthard Graubner) ist selbstverständlich in der Ausstellung zu sehen.

Gotthard Graubner: Ohne Titel aus der Piran-Serie, 1985-86 © 2025 ProLitteris, Zürich, Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
„Kunst ist nicht für den Einzelnen“, so lautet das Motto von Karin Schick. „Sie ist nicht Eigentum, sondern sollte mit den Menschen geteilt werden.“ Bereits im ersten Ausstellungsraum präsentiert sie auf einer großen Wand eine Reihe miteinander korrespondierender Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris, dem damaligen Zentrum der Kunst, lebten. Der Russe Wassily Kandinsky, die Schweizerin Sophie Taeuber-Arp, der Belgier René Magritte, der Niederländer Piet Mondrian und der Spanier Joan Miró verkehrten in denselben Künstlerkreisen und stehen nicht nur für gegenseitige Inspiration, sondern auch – damals wie heute – für die Internationalität in der französischen Hauptstadt. Die Besucher:innen erkennen hier formale Ähnlichkeiten, aber auch stilistische Unterschiede in kunsthistorisch bedeutsamen Werken, die allesamt zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind.

Ausstellungsansicht In Touch © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
„Um 1900 fand in der Gesellschaft ein großer Umbruch statt“, erläutert Karin Schick und nennt als Beispiele die Psychoanalyse, die Physik und die Astronomie. Diese Umwälzungen in der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begünstigten natürlich auch zum Teil revolutionäre Neuerungen in der Kunstgeschichte.

Lyonel Feiniger: Der Raddampfer I, 1913 © 2025 ProLitteris, Zürich, Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Auf der zweiten Etage werden unter der Überschrift „Same, same but different“ Darstellungen des Meeres und der Schweizer Bergwelt zueinander in Beziehung gesetzt. Hier kann man wunderbare Vergleiche zwischen der Malerei Otto Freundlichs, der zeitlebens von den Kirchenfenstern in der Kathedrale von Chartres inspiriert war, sowie dem nahezu abstrakten Pinselstrich von Lyonel Feininger ziehen. Auf der anderen Seite des Ausstellungsraumes dann eine Gegenüberstellung zweier Werke von Pablo Picasso mit der Kunst der Schweizer Malerin Verena Loewensberg als Vertreterin der Zürcher Konkreten – eine bislang selten gezeigte Kombination so ganz nach dem Geschmack von Karin Schick.

Ausstellungsansicht In Touch © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Herausragend hier auf der Etage ist dann noch eine der jüngsten Erwerbungen der Hilti Art Foundation: das 1950 in New York entstandene Gemälde „Großer Clown mit Frauen und kleiner Clown“ von Max Beckmann, ein äußerst komplexes Spätwerk des Jahrhundertmalers, in dem er viele existenzielle Themen aufgreift. Es gehört in eine ganze Reihe von Selbstdarstellungen des Künstlers, in welchen er, mehr oder weniger maskiert, in die Rolle von Clowns, Akrobaten oder Harlekins schlüpft. Hier als stark gealterter Clown, der von einer Reihe jüngerer Figuren, darunter eine an die New Yorker Freiheitsstatue erinnernde Dame mit strahlenumkränztem Haupt, flankiert wird. Ihr Zeigefinger weist nach rechts, eine Geste, die dafür stehen könnte, dass Beckmanns Aufenthaltsstatus in den USA bis zuletzt immer wieder auf der Kippe stand. Andererseits kann der Fingerzeig aber auch als Hinweis auf die Sehnsucht des Exilanten nach dem alten Kontinent und seinen verloren gegangenen Verheißungen gesehen werden. In jedem Fall stellt dieses Bild so etwas wie das finale Vermächtnis seines Malerlebens dar. Vier Wochen nach seiner Fertigstellung starb Max Beckmann auf einem Spaziergang in der Nähe des Central Parks an einem Herzinfarkt.

Max Beckmann: Clown mit Frauen und kleiner Clown, 1950 © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Das Gemälde, das sich zuletzt jahrzehntelang in der Sammlung des Krupp-Managers Bertold Beitz befand, wurde erst im Dezember 2024 beim Münchner Auktionshaus Ketterer versteigert. Seitdem stellten Experten Mutmaßungen darüber an, wer es denn nun erworben haben könnte. Mit der Präsentation in dieser Sammlungsausstellung haben Michael Hilti und Karin Schick dieses Rätsel also gelöst.

Ausstellungsansicht In Touch © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Weiter geht es auf der dritten Etage. Hier stellt Karin Schick die auch als „Kissenbilder“ bezeichneten Werke von Gotthard Graubner figurativen Gemälden des deutschen Impressionisten Lovis Corinth gegenüber – eine gewagte Kombination, die jedoch bei genauerer Betrachtung durchaus Sinn macht. Hier auf der dritten Etage wird es in der auf fast zwölf Monate angesetzten Sammlungspräsentation nach einem halben Jahr noch einmal einen Wechsel geben. Ab November 2025 werden Arbeiten des irischen Künstlers Sean Scully Werken von Paul Klee gegenübergestellt. Wieder geht es um die dialogische Gegenüberstellung zweier Künstler unterschiedlicher Generationen, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt sofort zusammengebracht hätte. Doch Reibung erzeugt bekanntlich Wärme.

Sophie Taeuber-Arp: Komposition, 1928 © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Das Arbeiten mit der Sammlung der Hilti Art Foundation bietet Karin Schick viele Möglichkeiten, die sich an großen staatlichen Museen wesentlich schwerer umsetzen lassen. Dazu gehören etwa kleine, feine Kabinettausstellungen, wie sie sie in der Zukunft plant. „Wir genießen es sehr, hier eine bewegliche Yacht zu haben“, sagt sie. Also auf zu neuen Ufern. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen und Begegnungen sich aus den Beständen der vielfältigen Sammlung noch herausarbeiten lassen.

Wassily Kandinsky: Zwischen Zweien, 1934 © Hilti Art Foundation, Foto: Günter König
Auf einen Blick:
Ausstellung: In Touch – Begegnungen in der Sammlung
Ort: Hilti Art Foundation, Städle 32, 9490 Vaduz, Liechtenstein
Zeit: bis 12. April 2026, Di-So 10-17, Do 10-20 Uhr
Internet: www.haf.li