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Virtuosin der Doppeldeutigkeiten

01.06.25  Von Nicole Buesing und Heiko Klaas


Im Kunstmuseum Luzern animiert Wiebke Siem zur Zeit das Publikum zum Figurenbauen. In ihrem Berliner Atelier hingegen bereitet sie eine große Werkschau vor, die ab September im chinesischen Guangzhou gezeigt wird

 

Wiebke Siem
Der Traum der Dinge
in Kooperation mit Fumetto Comic Festival Luzern, Kunstmuseum Luzern 2025, Courtesy of the artist, Foto: Marc Latzel

Ein spärlich beleuchteter, komplett schwarzblau gestrichener Raum im Kunstmuseum Luzern. Ordentlich auf dem Boden angeordnet sind alle möglichen glatt polierten Holzobjekte, die den meisten von uns seltsam unvertraut vorkommen dürften. Wer benutzt heute noch Spazierstöcke, Perückenköpfe, Krautstampfer oder Stiefelspanner? Um nur einige Beispiele für die Vielfalt an Gebrauchsgegenständen zu nennen, die da – mit metallenen Haken und Ösen versehen – auf dem dunklen Fußboden ausliegen. „Der Traum der Dinge“, so lautet der Titel dieser von Eveline Suter kuratierten, als Mitmachausstellung gedachten, interaktiven Installation der Berliner Bildhauerin, Zeichnerin, Objekt- und Installationskünstlerin Wiebke Siem.

 

Wiebke Siem in ihrem Berliner Atelier, Foto: Heiko Klaas

Sie ist bekannt dafür, triviale, vertraute, angejahrte oder sonstwie aus der Zeit gefallene Materialien und Objekte aus ihrem konventionellen Kontext herauszulösen und in neuen, mitunter grotesken Zusammenhängen zu präsentieren. In ambivalent aufgeladenen Settings lässt sie Spießiges auf Wohlgestaltetes treffen, oder sie betätigt sich in der raumfüllenden Installation „Die Fälscherin“ (2008/09) voller Selbstironie als dreiste Schwindlerin, die vermeintlich wertvolle außereuropäische Fetisch- und Kultgegenstände aus gängigen Küchenutensilien zusammenbastelt.

Die Besucher:innen der Luzerner Ausstellung werden explizit dazu eingeladen, aus dem ausgelegten Objektfundus mittels neuer Kombinationen und Verbindungen Figuren zu bauen. Es gilt also, eine potenziell unendliche Anzahl von Möglichkeiten auszuloten. Ob eher funktional oder poetisch, bleibt dabei der Kreativität und Fantasie jedes Einzelnen überlassen. Ein auf einem kleinen Monitor präsentierter nonverbaler Kurzfilm gibt dazu Anregungen. Und von der Decke hängen an mehreren Stellen schwere Stahlketten herab, an welchen man sich betätigen kann. Vorhandene Elemente dürfen abgenommen und durch andere ausgetauscht werden. Der Fantasie sind im Grunde genommen keine Grenzen gesetzt. Eine große Spanschachtel könnte man beispielsweise als Bauch einsetzen, Kleiderbügel oder Kochlöffel als Arme und hölzerne Wäscheklammern als Finger. Aber das wäre fast schon etwas zu konventionell.

 

Wiebke Siem
Der Traum der Dinge
in Kooperation mit Fumetto Comic Festival Luzern, Kunstmuseum Luzern 2025, Courtesy of the artist, Foto: Heiko Klaas

Das Angebot wird von Besucher:innen aller Generationen erstaunlich gut angenommen. Während manche nur behutsame Modifikationen an den gerade dort hängenden Figurinen vornehmen, betätigen sich insbesondere etwas ältere, männliche Besucher als Kombinatoren mit geradezu berserkerhafter Verve und versuchen, indem sie auf den Zehenspitzen stehend schwerste Elemente ganz oben aufhängen, besondere „Hingucker“ zu produzieren. Dass die Objekte dadurch Schaden nehmen könnten, nimmt Wiebke Siem bewusst in Kauf: „Ich lasse die Leute praktisch in mein Atelier hinein und sage: Machen Sie mal!“

Doch Risikobereitschaft, so die Künstlerin mit dem Verweis auf Kolleginnen wie Yoko Ono oder Marina Abramović, die sich in manchen ihrer Performances sogar der körperlichen Gefährdung durch das Publikum ausgesetzt haben, gehöre nun einmal zum Geschäft. Gute Kunst, so Wiebke Siem, sei immer eine Zumutung – für Künstler:innen und Publikum zugleich.

 

Wiebke Siem
Der Traum der Dinge
in Kooperation mit Fumetto Comic Festival Luzern, Kunstmuseum Luzern 2025, Courtesy of the artist, Foto: Marc Latzel

Das Repertoire der von ihr zur Benutzung angebotenen Objekte ist überwiegend weiblich, ja hausfraulich, konnotiert. Genauso wie die Arbeiten im zweiten Teil der Schau, die die Künstlerin außerhalb des abgedunkelten Ausstellungsraums in einer Glasvitrine präsentiert. 19 an einzelnen Fäden hängende, anthropomorphe Figurinen sind da zu sehen. Jede einzelne ist zusammengesetzt aus Utensilien, die seit Generationen beim Nähen und der Herstellung von Kleidern Verwendung finden: vornehmlich Knöpfe, hölzerne Stopfeier, Schnallen und Schließen. Teilweise aber auch aus Bakelit gefertigte Dosen, wie sie früher von Nähmaschinenherstellern für die Aufbewahrung von Zubehör produziert wurden.

 

Wiebke Siem
Der Traum der Dinge
in Kooperation mit Fumetto Comic Festival Luzern, Kunstmuseum Luzern 2025, Courtesy of the artist, Foto: Heiko Klaas

Wiebke Siem hat die aus unzähligen Knöpfen zusammengesetzten Arme und Beine jeder Figur in akribischer Detailarbeit aufgefädelt und vielfach verknotet. Das bunt zusammengewürfelte Figurenensemble voller suggestiver Fantastik versammelt klapperdürre, rundliche und eckige, zum Teil auch an Roboter erinnernde Gestalten. Siem reiht sich mit diesem Panoptikum selbstbewusst in die lange Tradition der künstlerischen Beschäftigung mit Puppen, Kunstmenschen und humanoiden Automaten ein. Ob E.T.A. Hoffmanns Automatenfrau Olimpia, Hannah Höchs DADA-Puppen, Sophie Taeuber-Arps aus geometrischen Formen zusammengesetzte Marionetten, Oskar Schlemmers Triadisches Ballett oder die dunklen Bühnenräume des polnischen Theaterregisseurs Tadeusz Kantor: In den Arbeiten Wiebke Siems wird immer auch ein wenig die DNA kunst- und designhistorischer, literarischer oder theatraler Vorläufer:innen und Quellen verarbeitet und in zeitgenössische und humorvolle Arbeiten mit feministischem Subtext transferiert.

 

Wiebke Siem: Der Traum der Dinge, 2016/2022, interaktive Installation (Detail), diverse Holzobjekte, Courtesy of the artist, Foto: Stefan Alber

Die Vitrinenarbeit weist aber durchaus auch formale Ähnlichkeiten mit Präsentationen außereuropäischer Artefakte in ethnologischen Sammlungen auf, deren aus heutiger Sicht problematische Sammlungs- und Aneignungsstrategien Wiebke Siem bereits in zahlreichen anderen Werken auf kritisch-ironische Art und Weise untersucht hat. Was beiden in Luzern gezeigten Werkgruppen gemeinsam ist, sind Fragestellungen, mit denen sich die Künstlerin seit Beginn ihrer Karriere beschäftigt: Warum ist unsere visuelle Welt immer noch primär an den Vorlieben des männlichen Betrachters ausgerichtet? Wie manifestieren sich Gender-Klischees und geschlechtsspezifische Konnotationen in Alltagsobjekten? Was sagt das über tradierte Hegemonien, Machtverhältnisse und das zuweilen angespannte Verhältnis der Geschlechter aus? Und: Lassen sich diese Differenzen überhaupt überwinden und auflösen?

 

Wiebke Siem beim Künstlerinnengespräch mit Eveline Suter im Kunstmuseum Luzern, Foto: Heiko Klaas

Doch Wiebke Siem gibt niemals die Oberlehrerin. Doppeldeutiges liegt ihr näher als platte sozialkritische Kommentare. Mit subtilen Irritationen und den Mitteln der Satire und Ironie arbeitet sie sich nicht nur an der männlich dominierten bereits historisch gewordenen Moderne ab sondern auch an der Dominanz und Selbstherrlichkeit ihrer männlichen Zeitgenossen.

Als explizit feministische Künstlerin würde sie sich dennoch nicht bezeichnen: „Ich habe so gut wie nie an einem feministischen Diskurs, an feministischen Ausstellungsprojekten oder Podiumsdiskussionen teilgenommen. Ich werde nicht als feministische Künstlerin gesehen. Ich bin mir aber bei jeder einzelnen Arbeit, die ich mache, dessen bewusst, dass ich eine Künstlerin bin und kein Künstler. Der Umgang mit der Kunst der Moderne und den davor liegenden Epochen ist fast ausschließlich aus einer männlichen Sicht auf die Welt entstanden. Als Künstlerin kann ich nicht anders, als das zu reflektieren, ob ich will oder nicht.“

Wiebke Siem
Der Traum der Dinge
in Kooperation mit Fumetto Comic Festival Luzern, Kunstmuseum Luzern 2025, Courtesy of the artist, Foto: Marc Latzel

Die 1954 in Kiel geborene Künstlerin hat von 1979 bis 1984 an der Hamburger Hochschule für bildende Künste bei dem niederländischen Konzeptkünstler Stanley Brouwn studiert. Neben zahlreichen Auszeichnungen und internationalen Stipendien erhielt sie 2014 den Kaiserring der Stadt Goslar.

Wiebke Siem in ihrem Berliner Atelier, Foto: Heiko Klaas

 

Ortswechsel: Berlin-Lichtenberg, ganz in der Nähe des Dong Xuan Centers, Deutschlands größtem Asiamarkt. Die Gegend rund um die Herzbergstraße hat in den letzten Jahren immer mehr Künstler:innen angezogen. Ausgelöst durch Mieterhöhungen, Umwidmungen und den Einzug zahlungskräftigerer Branchen in ehemalige Atelierräume in zentraler gelegenen Stadtteilen wie Kreuzberg, Neukölln oder Mitte verlagern sich die Produduktionsorte immer mehr in die peripherer gelegenen Stadtteile. So auch bei Wiebke Siem, die einst über großzügige Räumlichkeiten in Kreuzberg verfügte. Jetzt arbeitet sie in unmittelbarer Nachbarschaft der Haubrok Foundation in einer Gegend geprägt von Autowerkstätten, einer Tankstelle und diversen Altmetallverwertern.

Wer zuvor in der Luzerner Ausstellung war und jetzt ihr großzügig bemessenes Atelier betritt, trifft auf alte Bekannte. Auch hier stapeln sich aus der Zeit gefallene Objekte wie Waschbretter, Perückenköpfe, Teigwannen oder aus Holz gedrechselte Vasen, die die Künstlerin im Internet entdeckt und gleich dutzendweise bestellt hat. Dazu ganze Ensembles von Systemmöbeln und Schränken der Hersteller Musterring (BRD) oder Hellerau (DDR). Mit massenhaft hergestellten Möbeln dieser Art schafft Wiebke Siem begehbare Rauminstallationen, in welchen sie die Pole Spießigkeit und Solidität, Bauhaus versus Massenproduktion subtil gegeneinander ausspielt.

 

Wiebke Siem in ihrem Berliner Atelier, Foto: Heiko Klaas

Im Atelier von Wiebke Siem finden sich afrikanische Masken und Figuren, aber auch bemalte Bauernmöbel. Auf Kleiderpuppen sind überdimensionale handgefertigte Gewänder aus grober Wolle oder Filz drapiert. Auf Onlineplattformen erwirbt die Künstlerin oft ganze Konvolute von Knöpfen und anderen Kurzwaren, die sie sorgsam in Tütchen aufbewahrt, um sie in späteren Werken zu verwenden. Als Sammlerin würde sie sich jedoch nicht bezeichnen. Die vielen Gegenstände sind einerseits Anregung für sie. Gleichzeitig können sie auch irgendwann Teil einer Installation oder einer Arbeit werden.

Wiebke Siems Arbeiten waren zwischen Sommer 2022 und Herbst 2023 auf einer Ausstellungstournee mit dem Titel „Das maximale Minimum“ zu sehen, die im Kunstmuseum Den Haag, dem Museum der Moderne Salzburg und dem Kunstmuseum Bonn Station machte. Zur Zeit bereitet sie eine große Werkschau im chinesischen Guangzhou anlässlich der Eröffnung des dortigen Aranya Art Centers vor. Demnächst werden dann zahlreiche ihrer Installationen, modifizierten Möbel, skurril-befremdlichen Kleider, comichaften Textilfiguren und surreal anmutenden Zeichnungen ins Reich der Mitte reisen. Wiebke Siem ist sehr gespannt, wie man in China auf ihre Arbeiten reagiert. „In Deutschland versteht man oft die Ironie nicht, die in meinen Arbeiten steckt“, sagt sie. „Die Chinesen haben da vielleicht einen anderen Zugang.“

 

Wiebke Siem in ihrem Berliner Atelier, Foto: Heiko Klaas

 

Auf einen Blick:

Ausstellung: Wiebke Siem – Der Traum der Dinge

Ort: Kunstmuseum Luzern, Europlatz 1, 6002 Luzern, Schweiz

Zeit: bis 29.6.2025. Di-So 11-18 Uhr. Mi 11-19 Uhr

Katalog: kein Katalog. Im Jahr 2022 erschienen: Das maximale Minimum, Hirmer Verlag, 160 S., 100 Farbabb., 39,90 Euro

Internet: www.kunstmuseumluzern.ch

Ab dem 27. September 2025 ist im Aranya Art Center in Guangzhou eine große Werkschau von Wiebke Siem zu sehen.

 

Wiebke Sie vor ihrem Ausstellungsplakat in Luzern, Foto: Heiko Klaas

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Nicole Buesing und Heiko Klaas
Nicole Büsing und Heiko Klaas sind seit 1997 als freie Kunstjournalisten und Kritiker für zahlreiche Magazine, Tageszeitungen und Online-Magazine tätig. Daneben schreiben sie auch Katalogbeiträge. Sie leben in Hamburg und Berlin. Regelmäßige Veröffentlichungen über Kunst und Kunstmarkt z.B. in Kunstmarkt.com, Monopol, Artmapp, Hatjecantz.de, Artist Kunstmagazin, Artline, Spiegel online, DARE, Kultur & Gespenster, Photonews, Kunsttermine, Zeitkunst, Künstler-Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Next Level, Art, Die Welt, Der Tagesspiegel, www.artlog.net, diverse regionale Tageszeitungen wie Kieler Nachrichten, Weser-Kurier, Neue Osnabrücker Zeitung, Saarbrücker Zeitung, Südkurier, Nürnberger Nachrichten, Flensburger Tageblatt, Freie Presse, etc. klaas.buesing@gmail.com




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