Eleganz durch Reduktion: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert in einer opulenten Ausstellung den Mythos Coco Chanel.
Drei Dinge machen ein echtes Chanel-Kostüm aus: der gerade Schnitt der Jacke. Die Kragenlosigkeit. Und die kontrastierende, ringsum gesetzte Borte. Mit dieser Beschränkung auf das Essentielle und der gleichzeitigen Verwendung edelster Garne wie Wolltweed oder Seide hat Coco Chanel (1883-1971) einen Klassiker der Damenmode geschaffen. Zwei weitere Klassiker kommen hinzu: Chanel No. 5, das bis heute meistverkaufte Parfüm der Welt, und angeblich auch das kleine Schwarze, ein schlicht geschnittenes Kleid in zeitlosem Schwarz, das die Frau von Welt zu fast jeder Gelegenheit gut aussehen lässt.
Doch genau hier fängt die Mythenbildung schon an. Das kleine Schwarze, so wie es Audrey Hepburn im Hollywood-Klassiker „Frühstück bei Tiffany’s“ berühmt gemacht hat, stammte nämlich aus dem Haus Givenchy. „Erfunden hat sie das kleine Schwarze nicht. Sie hat es aber berühmt gemacht,“ sagt Maria Spitz, die Kuratorin der Ausstellung „Mythos Chanel“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Die opulent inszenierte Schau zeigt über 200 Exponate, darunter Kleider, Kostüme, Schmuck, Handtaschen, historische Fotografien und Magazincover.
Allein 38 originale Coco-Chanel-Entwürfe und über 50 Schmuckkreationen werden in den sanft beleuchteten und mit hellem Teppichboden ausgelegten Ausstellungs-räumen präsentiert. Hinzu kommen von Coco Chanel inspirierte Kreationen anderer Modemacher bis hin zu Billigversionen bekannter Modediscounter wie C&A. Einen der Höhepunkte der Schau bildet ein Konvolut von zehn Kleidungsstücken, die Chanel exklusiv für die in Paris lebende deutsche Schauspielerin Marlene Dietrich entworfen hat.
Mit anderen „Erfindungen“, die Coco Chanel zugeschrieben werden, verhält es sich ähnlich wie mit dem kleinen Schwarzen: ob Bubikopf-Frisur, die Befreiung der modernen Frau aus dem Korsett oder das Ersetzen echter Juwelen durch effektvollen Modeschmuck. Initiiert hat Coco Chanel keinen dieser Trends. Dennoch war sie es, die den Zeitgeist immer wieder mit ihren untrüglichen seismographischen Fähigkeiten erkannt, aufgegriffen und verstärkt hat.
Das Mädchen aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen, das schon früh den Kontakt zu reichen Industriellen und Aristokraten pflegte, wagte 1910 mit einem Hutsalon den Einstieg in die Modewelt. Im Pariser Kaufhaus Galeries Lafayette erwarb Chanel Hutmodelle aus Massenproduktion, die sie durch kleine, aber effektvolle Eingriffe in begehrte Unikate verwandelte. Die erste Säule ihres Modeimperiums, das schon im Jahre 1930 über rund 2400 Mitarbeiter verfügte, war geboren. Mit dem Parfüm Chanel No. 5 gelang ihr 1921 der größte Coup ihrer Karriere. Der bahnbrechende Erfolg dieses Duftes, der in einem ebenso schlicht wie avantgardistisch gehaltenen Flakon auf den Markt kam, garantierte ihr zeitlebens finanzielle Unabhängigkeit. Dass Coco Chanel, die von dem unbedingten Willen geprägt war, ihrer wenig glanzvollen Kindheit und Jugend für immer zu entkommen, eine glänzende Geschäftsfrau und Pionierin der Selbstvermarktung war, zeigt sich allein daran, dass sie den berühmtesten Fotografen ihrer Zeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit Modell stand. Henri Cartier-Bresson, Man Ray, Horst P. Horst oder Richard Avedon: Sie alle haben „La Mademoiselle“, wie sie auch genannt wurde, gekonnt in Szene gesetzt.
Die 1883 als Gabrielle Chanel geborene, teils im Waisenhaus aufgewachsene spätere Queen der Modewelt hat es zeitlebens verstanden, virulente Zeitgeisterscheinungen in perfekt durchdachte modische Klassiker zu übersetzen. Weniger war für sie immer mehr. So gibt es bei Chanel keinen Knopf, der keine Funktion hat, und keine Tasche ohne Eingriff. „Mode ist vergänglich. Stil bleibt. Ich mache Stil,“ hat Coco Chanel einmal gesagt. So fortschrittlich und modern sie als Designerin und Stilikone auch agierte, liegt über ihrer Biografie dennoch ein schwarzer Schatten. Während der deutschen Besatzung arrangierte sich Chanel mit den Machthabern und ging 1940 sogar so weit, ihre jüdischen Finanziers und Anteilseigner beim Pariser Generalkommissariat für Judenfragen zu denunzieren, um in den Alleinbesitz von „Les Parfums Chanel“ zu gelangen – was ihr jedoch nicht glückte. Zusammen mit dem ehemaligen NS-Offizier Hans Günther von Dincklage zog sie sich – wohl aus Angst vor Repressalien – von 1945 bis 1953 ins Schweizer Exil zurück.
Comeback mit 70
1954 feierte Coco Chanel dann ihr Comeback in Paris. Trotz anfänglicher Skepsis des Publikums konnte sie rasch an ihre Vorkriegserfolge anknüpfen. Ihre Entwürfe trafen offenbar den Geschmack der Damen der feinen Gesellschaft: in Europa genauso wie in den USA. Im Februar 1955 lancierte sie die legendäre Handtasche „2.55“, Markenzeichen: Steppnähte und goldfarbene Trägerkette, die bis heute produziert wird und zu den Lieblingsaccessoires unter anderem von Jackie Kennedy, Liz Taylor und Marlene Dietrich gehörte. 1957 entwarf sie einen weiteren Bestseller: das Chanel-Kostüm. Dass dieses immer wieder kopiert wurde, störte sie keineswegs – sie empfand das als Bestätigung.
Nach Coco Chanels Tod 1971 versuchten rasch wechselnde künstlerische Leiter, den Mythos Chanel aufrecht zu erhalten – jedoch mit wenig Fortune. 1983 übernahm dann Karl Lagerfeld die prestigeträchtige Leitung des Labels. Der letzte Raum der Schau zeigt daher Entwürfe, die der gebürtige Hamburger einerseits mit großem Respekt vor Coco Chanel, andererseits mit dem Selbstbewusstsein eines auf der Höhe seiner Zeit stehenden Couturiers machte.
Was auch den Lagerfeld-Stil von Beginn an auszeichnete, war seine Nähe zum jeweiligen Zeitgeist. Gleich die erste Kollektion machte Anleihen bei den damals tonangebenden japanischen Designern Yohji Yamamoto und Rei Kawakubo. Gleichzeitig präsent in Lagerfelds ersten Entwürfen war auch die Anfang der 1980er Jahre durchstartende Pop- und Stilikone Madonna. Dass er sich aber, bei aller Innovationsfreude, immer der Tradition Coco Chanels verpflichtet sieht, hat Lagerfeld bereits 1986 deutlich gemacht: „Für mich ist es wie eine Stil-Übung. Ich kann damit spielen.“
Auf einen Blick:
Ausstellung: Mythos Chanel
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Zeit: 28. Februar bis 18. Mai 2014. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr.
Katalog: Draiflessen Collection, 378 S., über 100 Farbabb., 50 Euro
Internet: www.mkg-hamburg.de
www.stilbrise.de
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