Als die Bomben noch schwiegen und Globalisierung ein Fremdwort war: Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt sensationelle Farbaufnahmen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg aus dem Archiv des Pariser Bankiers Albert Kahn.
Ein buddhistischer Hohepriester im purpurnen Prachtgewand, aufgenommen im Palast des Himmlischen Friedens in Peking, ein geschmückter Elefant vor dem Maharadscha-Palast im indischen Dhundar oder ein frisch verheiratetes Paar im schwedischen Laksund. Das sind nur drei Beispiele aus der schier unendlichen Fülle von 72.000 Farbaufnahmen aus der ganzen Welt, die zwischen 1908 und 1931 im Auftrag des jüdischen Pariser Bankiers, Philanthropen und Weltreisenden Albert Kahn (1860-1940) entstanden.
Der von dem Ideal eines friedlichen und von Toleranz geprägten Zusammenlebens aller Völker überzeugte Mäzen sandte Fotografen in die entlegensten Winkel der Welt aus, um für sein ambitioniertes Großprojekt „Les Archives de la planète“ farbige Diapositive, Stereoaufnahmen in Schwarzweiß und Filme zu belichten. Eine Auswahl von rund 200 Exponaten aus einem der frühesten Multimediaarchive der Welt ist jetzt in der Ausstellung „Die Welt um 1914. Bilder vor dem Großen Krieg“ im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen. Alle Aufnahmen sind unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstanden.
Kahn war damals nicht der Einzige, der versuchte, so etwas wie ein enzyklopädisches Fotoarchiv der ganzen Welt aufzubauen. Doch andere waren von eher kommerziellen Interessen geleitet: Der Berliner Unternehmer August Fuhrmann etwa, der im gesamten deutschsprachigen Raum in rund 300 Sälen im wöchentlichen Rhythmus stereoskopische Ansichten der Welt zeigte, oder Kahns Landsmann Jules Gervais-Courtellemont, der in einem eigenen Theater mit 200 Sitzplätzen dem Pariser Publikum seine farbigen „Visions d’Orient“ vorführte.
Kahns Bilderwelten, die nur vereinzelt einmal im National Geographic Magazine abgedruckt wurden, fristeten bis heute ein Dasein im Verborgenen. Kahn teilte seine Schätze lediglich mit einer kleinen elitären Gruppe junger Stipendiaten, hochrangiger Diplomaten und Koryphäen des Wissenschaftsbetriebs. Darunter der Philosoph Henri Bergson, Albert Einstein oder Gustav Stresemann.
Man traf sich in den weitläufigen, japanisch inspirierten Gärten des Bankiers oder zu abendlichen Salongesprächen, um beim gemeinsamen Betrachten der Bilder in Debatten über den Zustand der Welt einzutreten. Viele der rund 200 Aufnahmen sind nun zum ersten Mal seit ihrer Entstehung öffentlich zu sehen. Als Ergänzung dazu zeigt die Ausstellung Fotografien deutscher Landschaften von Adolf Miethe, dessen Sammelbilder in Schokoladentafeln der Marke Stollwerck sich damals großer Beleibtheit erfreuten, und Aufnahmen des russischen Fotografen Sergei M. Prokudin-Gorskii, die die kulturelle Vielfalt im russischen Zarenreich dokumentieren.
„Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt herum“, schrieb Hermann Alexander Graf Keyserling in seinem 1914 erschienenen „Reisetagebuch eines Philosophen“. Ein Motto, das sicherlich auch der visionäre Kosmopolit Albert Kahn unterschrieben hätte. Insofern sollte man Kahns spektakuläres Archiv der Welt um 1914 als Aufforderung begreifen, es dem reisebegeisterten Bankier gleichzutun und die Welt bereisen, ehe die in diesen Aufnahmen noch spürbare kulturelle Vielfalt angesichts der fortschreitenden Globalisierung vollends verschwunden ist.
Auf einen Blick
Ausstellung: Die Welt um 1914. Farbfotografie vor dem großen Krieg.
Albert Kahn, Sergei M. Prokudin-Gorskii, Adolf Miethe
Ort: Martin-Gropius-Bau, Berlin
Zeit: 1. August bis 2. November 2014
Bis 24. August täglich 10-20 Uhr, ab 25. August Mi-Mo 10-19 Uhr, Di geschlossen
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 144 S., 101 Abb. 16 Euro (Museum), 24,80 (Buchhandel)
Internet: www.gropiusbau.de