Die 17. Ausgabe der Art Rotterdam endete am Sonntag mit einem neuen Besucherrekord. Die größte niederländische Kunstmesse bietet für Händler, Sammler und Besucher aus dem In- und Ausland viele Nischen.
Ein weißes, schlichtes Holzhaus stand zur Begrüßung der Besucher der Art Rotterdam vor der mächtig aufragenden Van Nelle- fabriek. Der amerikanische Künstler Ryan Mendoza, Jahrgang 1971, hat die stark baufällige Behausung in Detroit erworben, dort abgebaut und als Kunstinstallation auf die am Sonntag zu Ende gegangene Messe Art Rotterdam gebracht. Ein Monument des Leerstands, aber auch der intelligenten Umnutzung.
Das „Detroit House“ erfährt so eine Aufwertung ganz ähnlich wie der Austragungsort der 17. Art Rotterdam selbst. In der Ende der Zwanziger Jahre als Paradebeispiel für moderne, arbeiterfreundliche Industriearchitektur errichteten Van Nellefabriek finden heute ganz unterschiedliche kulturelle Veranstaltungen statt. Wo einst Tabak, Kaffee und Tee produziert wurden, werden jetzt Mieter aus dem kreativen Bereich und Start-up-Unternehmen begrüßt.
Kein schlechtes Umfeld also für die gerade beim Publikum beliebte Art Rotterdam, die auch in diesem Jahr wieder in die an Eröffnungen reiche Rotterdam Art Week eingebettet war. Rund 26.500 Besucher, überwiegend aus Holland, Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, waren in die moderne Hafenstadt gekommen, um das Angebot der 130 angereisten Galerien zu begutachten.
„Besonders gut liefen die Werke im niedrigen und mittleren Preissegment“, hat Jochen Hempel aus Leipzig beobachtet. Er hatte unter anderen die Galeriekünstler Ulf Puder und Esko Männikkö mit an den Stand gebracht. „Die Art Rotterdam ist eine typische Mitnahmemesse.“ So sah man an den vier Messetagen immer wieder spontane Käufer mit wetterfest verpackter Ware unterm Arm zum Parkplatz eilen.
Kleine und mittlere Formate kommen in Rotterdam besonders gut an. Die alteingesessene Rotterdamer Galerie Cokkie Snoei zeigte unter anderem drei augenfällige Collagen des Schweizers Costa Vece. Die farbigen Mixed Media-Arbeiten mit abstraktem Hintergrund und aufgeklebten Figuren waren einer der Eyecatcher am Stand (je 1.995 Euro). Einen anderen, ganz besonderen Eyecatcher hatte die Zürcher Galeristin Barbara Seiler mit nach Rotterdam gebracht. Sie zeigte ein kleines Aquarium des jungen Niederländers Bob Eikelboom, in dem echte Goldfische schwammen.
Der Clou: Auf dem Boden des Bassins lief ein Videoloop mit Kuss-Szenen aus dem Romeo und Julia-Film von Baz Luhrman aus dem Jahr 1996. Der 1992 geborene Bob Eikelboom begann schon mit 16 Jahren sein Kunststudium in Den Haag. Barbara Seiler sieht ihn in der Tradition der kaliformischen Westküstenkunst: „Für mich ist er ein moderner Larry Bell“, stellt sie fest und attestiert Den Haag mit seiner ganzjährig aktiven Surferszene im Seebad Scheveningen eine Westcoast-Mentalität. Die Arbeit trägt den erzählerischen Titel „I feel wet, wait a second …. what just happened“. Sie wurde für 8.500 Euro angeboten.
Die Amsterdamer Galerie Ron Mandos präsentierte in diesem Jahr einen Shooting Star aus London: Der 1983 in Tschechien geborene britisch-polnische Künstler Konrad Wyrebek sorgte bei Sammlern und Besuchern mit seinen „Data Error Paintings“ für Aufmerksamkeit. Jedem Bild liegen digitale Übertragungsfehler zu Grunde, wie sie beim Überspielen etwa eines Videos vom Handy auf den Computer auftreten können. Konrad Wyrebek nimmt diese Störerscheinungen zum Ausgangspunkt seiner abstrakten Malerei und überführt sie in mehrschichtige Gemälde, wobei die Farbe teils von Maschinen, teils von Hand aufgetragen wird. So verbindet er auf subtile Art und Weise digitale Technik und Malerei. Das ursprüngliche Motiv, in einem Falle etwa selbst gemachte Aufnahmen vom Amazonas, ist am Ende nur noch als kaum wahrnehmbare, digitale Restspur vorhanden.
Rund einen Monat benötigt Konrad Wyrebek, um ein Bild fertigzustellen. „Alle visuelle Information trägt Fehler in sich. Das ist es, was mich interessiert“, sagt er. Die Gemälde kosteten zwischen 6.000 und 12.000 Euro. Ebenfalls am Stand waren einzelne Bilder aus der Serie „Art History Is not Linear (Boijmans)“ des amerikanischen Malers Ryan McGinness, Jahrgang 1972, zu sehen. Die ganze Serie hingegen war während der Messetage in einer von der Galerie bespielten Dependance im denkmalgeschützten „Het Industriegebouw“ in der Rotterdamer Innenstadt zu sehen.
Der New Yorker hat markante Werke der Sammlung des Museums Boijmans Van Beuningen in einem mehrschrittigen Verfahren in extrem reduzierte, eingängige Piktogramme übersetzt und diese dann per Siebdruck auf großformatige Holzpaneele geprintet. Wer sich die Zeit nimmt, entdeckt auf den stark farbig gehaltenen Werken nach und nach bekannte Motive von Künstlern wie Dan Flavin, Hieronymus Bosch, Neo Rauch oder Salvador Dalí. Arbeiten aus dieser Werkgruppe waren für 44.000 Euro im Angebot.
Regelmäßig auf der Art Rotterdam ist auch die Galerie Rotwand aus Zürich. Mit der Präsentation des konzeptuell arbeitenden Finnen Mikko Rikala, Jahrgang 1977, waren sie auch in diesem Jahr wieder sehr erfolgreich. Die poetisch aufgeladenen Arbeiten entstehen of in der Natur und verbinden Raum, Zeit und Distanz. Mikko Rikala arbeitet in den Medien Fotografie, Zeichnung und Skulptur. Die feinen Arbeiten des in Stockholm lebenden Finnen kosteten zwischen 3.000 und 7.000 Euro.
Auch die auf zeitgenössische niederländische Fotografie spezialisierte Galerie Van Kranendonk aus Den Haag hatte interessante junge Positionen mit nach Rotterdam gebracht. Während sich Tom Janssen quasi Backstage begibt und riesige, mit Blumenmotiven geschmückte Wagen während des alljährlich stattfindenden, folkloristischen Blumencorsos in der niederländischen Provinz aus der Distanz fotografiert (2.250 Euro, Auflage: 5), geht sein Kollege Robert Glas einem sehr viel ernsteren Thema nach. Er erhielt die Erlaubnis, leere Einzelzellen in einer Abschiebehaftanstalt in Den Haag zu fotografieren. Erst nach einem gerichtlichen Prozess erhielt der Künstler das Recht, diese brisanten Aufnahmen auch auf dem Kunstmarkt anbieten zu dürfen. Ein Diptychon in 5er-Auflage kostet 2.800 Euro. Eine Kopie des Gerichtsurteils gibt es dazu.
Abstrakte Arbeiten des 1981 geborenen, in Brüssel lebenden Österreichers Nick Oberthaler dann bei der Galerie Martin van Zomeren aus Amsterdam. Das mittelformatige, rote Gemälde „Untitled (distinct oscillations/butterflies II)“, ausgeführt in Gips und Acryl auf Aluminium, spielt auf die Formensprache des Niederländers René Daniëls an. Es war für 17.000 Euro im Angebot.
Art Rotterdam-Direktor Fons Hof zieht am Ende der gut besuchten Messe ein positives Fazit: „Eine kontinuierlich wachsende Gruppe von Menschen ist interessiert an zeitgenössischer Kunst und zeigt auch Kaufinteresse. In diesem Jahr haben wir uns sehr darauf konzentriert, auch mehr Hintergrundinformationen zu liefern.“ So konnte man konzentrierte Messebesucher dabei beobachten, wie sie etwa in der Sektion „Projections“ Künstlervideos in einem extra abgedunkelten Raum mit Kopfhörern und Soundduschen ansahen. Publikumsrenner hier war mit Abstand der Film „The Thought Leader“ der New Yorkerin Liz Magic Laser, Jahrgang 1981.
Ein kleiner Junge agiert im Habitus eines Motivationstrainers. Er fordert sein gebannt zuhörendes, erwachsenes Publikum dazu auf, egoistisch und rücksichtslos mit seinen Mitmenschen umzugehen. Was sich anhört wie eine Lektion aus dem Lehrbuch des Turbokapitalismus, entstammt tatsächlich Fjodor Dostojewskis provokantem Kurzroman „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ aus dem Jahr 1864.
In der Begleitausstellung „Intersections“ wurden einzelne installative, skulpurale und performative Arbeiten gezeigt. Die junge Rotterdamer Kuratorin Suzanne Wallinga hatte dieses Jahr ein freches und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Wer sich noch die Zeit für einen kunsttheoretischen Exkurs nehmen wollte, war im Diskussionsprogramm „Reflections“ gut aufgehoben. Hier traf man ein sehr interessiertes, junges Publikum, das beispielsweise am Samstagnachmittag dem brillanten Vortrag der in London und New York lebenden Kunstkritikerin Orit Gat zum Thema „Technologischer Fortschritt und Kunst“ aufmerksam folgte.
Nach so viel Input in der Van Nellefabriek stiegen viele Besucher auf die liebevoll restaurierten Oldtimer-Busse um, die im 20-Minuten-Takt auf das sozialutopische Skulpturengelände des Bildhauers Joep van Lieshout und zu den wichtigsten Museen und Kunstinsitutionen in der Stadt fuhren.
Das Witte de With Center for Contemporary Art punktete mit der gesellschaftskritischen Gruppenausstellung „Spending Quality Time with my Quantified Self“ sowie einer All Over-Installation aus manipulierten Stofftieren als Gesamtkunstwerk des amerikanischen Performers und Musikers Charlemagne Palestine im zweiten Stock. Haha, said the Clown. Ein paar Ecken weiter im Museum Boijmans Van Beuningen eröffnete am Freitagabend die vielbeachtete Solo-Show des Schweizers Ugo Rondinone mit dem Titel „Vocabulary on Solitude“. 45 lebensgroße Clownskulpturen in knallbunten Harlekinkostümen sind über den offenen, 1.500 Quadratmeter großen Ausstellungsraum verteilt. Wie in einer Dauerperformance hocken, liegen und kauern die melancholischen Spaßmacher und werden dabei zum beliebten Fotoobjekt mit ambivalenter Aufladung. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Auf einen Blick
Messe: Art Rotterdam 2016
Ort: Van Nelle Fabriek
Zeit: 10.-14. Februar 2016 (beendet)
Katalog: 304 S., 7,50 Euro
Internet: www.artrotterdam.com