Es muss nicht immer nur New York sein: Der junge amerikanische Maler Zachary Armstrong feiert internationale Erfolge. In der Berliner Gnyp Gallery zeigt der Mann aus Dayton, Ohio jetzt seine neuesten Gemälde
Die eigenen Kinderzeichnungen (und die der besten Freunde gleich dazu) als Referenz- und Quellenmaterial für großformatige Gemälde zu benutzen, das klingt erst einmal ungewöhnlich. Doch der 1984 geborene amerikanische Maler Zachary Armstrong befindet sich in bester Gesellschaft, wenn es um die Wertschätzung von Kinderzeichnungen durch arrivierte Künstler geht. Ob Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, Paul Klee, Pablo Picasso, Joan Miró, Jean Dubuffet oder die Mitglieder der international zusammengesetzten Künstlergruppe CoBrA: Sie alle haben im Laufe ihrer Karriere Sammlungen von Kinderzeichnungen zusammengetragen und sich von der Unverkrampftheit kindlichen Bildschaffens inspirieren lassen.
Der russische Maler Wassily Kandinsky hat sich schon 1912 zum Thema Kinderzeichnung geäußert: „Die Erwachsenen, besonders die Lehrer, bemühen sich, dem Kinde das Praktisch-Zweckmäßige aufzudrängen und kritisieren dem Kinde seine Zeichnung gerade von diesem flachen Standpunkte aus: »dein Mensch kann nicht gehen, weil er nur ein Bein hat…« Der Künstler, der sein ganzes Leben in vielem dem Kinde gleicht, kann oft leichter als ein anderer zu dem inneren Klang der Dinge gelangen.“
Besucher von Zachary Armstrongs aktueller Ausstellung in der Berliner Gnyp Gallery treffen gleich mehrmals auf eine Art halsloses Strichmännchen, das aus zwei Kreisen (Gesicht und Bauch), zwei baseballschlägerartigen Formen (Beine und Füße) sowie zwei Armen mit einmal fünf und einmal vier zackenartigen Fingern zusammengesetzt ist. Mit offen stehendem Mund und zu Berge stehenden Haaren scheint sich dieses Wesen gerade die Welt zu erobern. Die merkwürdige Gestalt mit durchaus hohem Wiedererkennungswert stammt aus einem kindlichen Selbstporträt des Künstlers vom 7. März 1990. Zachary Armstrong war damals sechs Jahre alt. „Wenn du ein Kind bist“, sagt er heute, „dann zeichnest du die obskursten Gestalten und Monster – dir stehen einfach viel mehr Freiheiten zur Verfügung, was Augen oder Gesichtszüge angeht – für Fantasie und Kreativität ist da viel mehr Raum.“
Dass er sich auch heute noch viele Freiheiten nimmt, ist seinen aktuellen Bildern anzumerken. Armstrong kombiniert „recycelte“ Motive aus Kinderzeichnungen mit kunsthistorischen Zitaten und typographischen Elementen zu oft komplexen, polyzentrischen Bildgefügen. Den ursprünglichen Vorlagen treibt er durch zahllose Akte der Wiederholung, durch die Variierung der Formate und die Re-Kombination einzelner Elemente mit popkulturellen Versatzstücken oder urtypischen Americana ihre kindliche Naivität aus.
Neben Farbe und Figuration spielt auch Schrift eine große Rolle. Immer wieder taucht auf seinen Gemälden der Name »Keydoszius“ auf. Was zunächst rätselhaft anmutet, ist ganz einfach der Mädchenname seiner Mutter. Andere, nicht unbedingt gängige Bezeichnungen wie etwa „Hills & Dales“ oder „Elder Beerman“ beziehen sich auf Quartiers- oder Ladenbezeichnungen aus seiner näheren Umgebung. Doch darauf, dass der Betrachter all diese verborgenen Hinweise dechiffrieren kann, legt Zachary Armstrong keinen besonderen Wert. Lieber wäre es ihm eigentlich, wenn die Arbeiten ihr Geheimnis für sich behielten. „Mir gefällt es, wenn der Betrachter nicht genau weiß, was er da eigentlich sieht“, sagt er. Und weiter: „Mein Werk spiegelt mein Zuhause wieder, den Ort, wo ich lebe. Und es ist voller Bezüge zu meiner Person. Niemand, der mich nicht ganz genau kennt, kann all diese Elemente entschlüsseln. Was mir daran gefällt, ist die Tatsache, dass diese Elemente außerhalb Ohios und außerhalb meiner unmittelbaren Umgebung und Wohlfühlzone ziemlich abgedreht wirken.“
Zarachy Armstrong wurde 1984 in Dayton, Ohio geboren. Er lebt bis heute in der 140.000 Einwohner-Stadt, wo er in einem großen Studio arbeitet. Armstrong, der bis zu zwölf Stunden täglich im Atelier verbringt, könnte wahrscheinlich auch ein Atelier in New York betreiben – seine besten Freunde sind längst dorthin gezogen – doch zumindest vorerst bevorzugt er es, im Mittleren Westen zu bleiben. Dayton sei zwar, was die dortige Kunstszene angehe, ein ziemlicher Flop, dennoch sei es schön, nicht permanent unter dem Einfluss New York Citys zu stehen: „Mein Urteilsvermögen wird hier jedenfalls nicht vernebelt“, beschreibt Armstrong die selbstgewählte Distanz zur hektischen Kunst-Metropole.
Gewissermaßen sein Markenzeichen ist die Enkaustik, eine bereits in der griechisch-römischen Antike nachweisbare Maltechnik, bei der in Wachs gebundene Farbpigmente heiß auf den Malgrund aufgebracht werden. Im Resultat entsteht eine ganz spezielle Oberflächenqualität: dicht pigmentierte, klar gegliederte Oberflächen, die allerdings auch kleinere „Verletzungen“ in Form von Schrammen, Schraffuren oder narbenartigen Läsuren aufweisen – die dem Material und der Arbeitsweise wiederum eigen sind. Armstrongs 1930 geborener Landsmann Jasper Johns, dessen seit Mitte der 1950er Jahre entstandene „Flag“-Paintings zu den meist reproduzierten Werken der amerikanischen Kunstgeschichte gehören, dürfte zu den prominentesten Repräsentanten dieser in der zeitgenössischen Kunst heute relativ selten verwendeten Maltechnik gehören. Zachary Armstrong hat vor sechs Jahren damit angefangen, mit Enkaustik zu arbeiten. In seinem Atelier sind immer fünf bis sechs Herdplatten gleichzeitig eingeschaltet, in denen er das Wachs schmilzt und mixt.
Zachary Armstrong dazu: „Durch den Einsatz von Enkaustik kann ich ein Bild zu etwas vollkommen anderem machen. Das Material ist zwar schwierig und verhält sich ganz ungewöhnlich. Die Effekte, die ich mit diesem Medium erreichen kann, sind aber außerordentlich vielfältig. Besonders meine neuen, großformatigen Collagenblöcke und meine in Segmente unterteilten, abstrakten Bilder profitieren sehr davon. Auch wenn ich meine Werke als »Collagen« bezeichne, ähnelt der Herstellungsprozess doch eher einer blockförmigen Anordnung. Ich möchte, dass meine Bilder eher gebaut als gemalt aussehen.“
Genau das gelingt ihm auch. Etwa auf dem nahezu atelierfrischen, 335 x 244 cm großen Gemälde „21 Faces“ aus dem Jahr 2017. Zahlreiche, sich teilweise überlappende und gegenseitig verdeckende rechteckige Flächen fragmentieren die Bildoberfläche in ein collagenartiges All-Over aus figürlichen, abstrakten und typographischen Versatzstücken. In diesem Gemälde voller Selbstzitate und Anspielungen auf frühere Werke führt Armstrong gewissermaßen alle Elemente seiner Berliner Ausstellung zusammen. Sein in der Schau in gleich drei verschiedenen Formaten vertretenes Gemälde „Crown for Keith“ taucht hier ebenso wieder auf wie ein Fisch. Auf dem Bild liegt dieser auf einem Teller. Eine Art „Bild im Bild“ zeigt eine an Picasso erinnernde Szene mit einer weiblichen Protagonistin, deren versetzt angeordnete Augen auf eben diesen Fisch blicken. Das Motiv des Fisches taucht aber auch in Form von fischförmigen Wandreliefs (Enkaustik auf Holz) gleich mehrfach in der Ausstellung auf. Diese zweifarbig gehaltenen Arbeiten erinnern in ihrer formalen Reduziertheit an Werke der Folk Art oder Artefakte der amerikanischen Ureinwohner.
Der Fisch taucht ebenso auf den ebenfalls in drei Formaten vertretenen Gemälden auf, die den Titel „Crown for Charlie“ tragen. Hier fungiert er als Platzhalter für den Mund des Porträtierten. Fratzenhafte, mit versetzten Augen, kaputten Gebissen, an karnevaleske Masken oder indianische „Kriegsbemalung“ erinnernde gemalte Köpfe tauchen auf Armstrongs Gemälden immer wieder auf. Doch seine Dämonen wirken eher schützenswert als bedrohlich. Der Kopf als Sitz des Bewusstseins scheint ihn bei der Darstellung dieser absurden Gestalten sowieso mehr zu interessieren als der menschliche Körper insgesamt. Eine Vorliebe, die er übrigens mit Jean-Michel Basquiat teilt.
Zachary Armstrong wuchs in einem kunstaffinen Elternhaus auf. Sein Vater war Kunstlehrer und Keramiker. Er betrieb im Haus der Familie ein Studio. Zacharys Bruder ist ebenfalls Maler. Ohne eine Kunsthochschule zu besuchen, wurde Zachary Armstrong zum anerkannten Künstler. Kunst als reine Gesellschaftskritik oder politisches Statement interessiert ihn jedoch nicht. Vielmehr geht es Zachary Armstrong darum, seinen eigenen, noch aus der Kindheit stammenden Bilderkosmos von dessen ursprünglicher Naivität zu befreien, ihn weiterzuentwickeln und in souverän ausformulierte Malerei auf der Höhe der heutigen Zeit umzusetzen.
Der Maler aus Ohio betont außerdem, dass er intuitiv und materialorientiert arbeitet und theoretischen Diskursen keine große Beachtung schenkt. Andererseits sagt er aber auch: „Ich bin besessen von Kunst. Ich versuche, immer alles mitzukriegen, was gerade in der Kunstwelt passiert und welche neuen Arbeiten entstehen. Zumindest in meinem Unterbewusstsein kann ich es gar nicht vermeiden, über andere Kunstwerke nachzudenken. Beim Malen erwische ich mich häufig dabei, an andere Künstler zu denken, die ich bewundere und mit denen ich gerne gemeinsam in einer Gruppenausstellung ausstellen würde.“ Daneben gibt es natürlich auch kunsthistorische Größen wie etwa Willem de Kooning oder Jean Dubuffet, zu denen er aufschaut.
Dass er seiner ländlich geprägten Heimat Ohio bis heute treu geblieben ist, macht Zachary Armstrong eher zu etwas Besonderem, als dass es ihn ausgrenzt. Von Dayton, Ohio sind schließlich schon ganz andere Entwicklungen ausgegangen, die später weltweit für Furore sorgten: Die Gebrüder Wright konstruierten hier vor rund 100 Jahren ihre ersten motorisierten Fluggeräte, mit denen sie zu den wichtigsten Pionieren der Luftfahrtgeschichte wurden.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Zachary Armstrong
Ort: GNYP Gallery, Knesebeckstraße 96, 10623 Berlin (Charlottenburg)
Zeit: bis 25. Juni 2017. Do und Fr 11-18 Uhr. Sa 12-17 Uhr. Außerdem nach Vereinbarung unter 030-31014010
Katalog: Hrsg. GNYP Gallery Berlin, in engl. Sprache, 156 S., zahlreiche Farbabb., 55 Euro. Der Katalog enthält ein längeres Gespräch zwischen der Galeristin Marta Gnyp und dem Künstler
Internet: www.gnypgallery.com