Die Basler Entdeckermesse LISTE überzeugte auch in diesem Jahr mit qualitätsvollen Arbeiten jenseits des bereits abgesicherten Mainstream und guten Besucherzahlen. Gründungsdirektor Peter Bläuer bereitet indes ohne große Hast seine Nachfolge vor
Die Art Basel hat am Sonntagabend ihre Tore geschlossen. 95.000 Besucher verzeichnete die wichtigste Kunstmesse der Welt in diesem Jahr. Auch die 22. Ausgabe der Liste, der ältesten Nebenmesse der Welt, war mit rund 21.000 Besuchern gut aufgestellt. Eine ausschließlich aus Kuratoren bestehende Jury hatte aus 260 Bewerbern 79 Teilnehmer aus 34 Ländern ausgewählt. Keine ganz leichte Aufgabe, gilt es doch die vielversprechendsten jungen Galerien weltweit zu bestimmen. Wie in jedem Jahr verteilten sich die internationalen Aussteller auf die recht unterschiedlich dimensionierten Räume der ehemaligen Warteck-Brauerei. Steile Treppen, alte Industrieanlagen, bröckelnder Putz, aber auch die ein oder andere Rooftop-Bar mit innovativen Drinks und spektakulären Aussichten verleihen der Satellitenmesse, die als wichtiges Sprungbrett für die Art Basel gilt, ein ganz besonderes Flair. Seit einigen Jahren sorgt zudem eine luftige Zeltarchitektur für zusätzliche Ausstellungsfläche. Das ungewöhnliche Rezept kommt an: „Liste is the hippest of art fairs“, lautete in diesem Jahr das einem Ritterschlag gleichkommende Fazit der altehrwürdigen Financial Times.
Auch in diesem Jahr fiel wieder die hohe Zahl an Solopräsentationen auf, nämlich 34. Ansonsten beschränkten sich die Galerien meist auf zwei bis drei Künstler. Fokussierte Präsentationen statt bunter Gemischtwarenläden wie auf den meisten anderen Nebenmessen charakterisieren den LISTE-Spirit. Messedirektor Peter Bläuer macht sich allerdings auch Gedanken über die Kunst in Zeiten beunruhigender politischer Entwicklungen: „Von unseren 79 Galerien aus 34 Ländern kommen mehrere aus Ländern, deren Entwicklung uns beunruhigt. In immer mehr Ländern wird Demokratie und freie Meinungsäußerung in Frage gestellt oder eingeschränkt. Davon betroffen ist auch die Kunst. Die Kunst lebt und nährt sich auch aus der freien Gedanken- und Meinungsfreiheit. Wir müssen uns wehren, wenn diese Grundwerte bedroht werden. Wir müssen uns wehren, wenn in einigen Ländern wieder vermehrt Kunst gefördert wird, die nationalistische Prägung hat.“
Es überrascht nicht, dass in diesem Jahr ungewöhnlich viele Malereipositionen auf der Messe zu finden sind. „Die Galeristen wollen auf Nummer sicher gehen“, betont Mark Dickenson von der Frankfurter Galerie Neue Alte Brücke. Er hat Gemälde der Künstlerin, Musikerin und Performerin Eliza Douglas, Jahrgang 1984, mit an den Stand gebracht. Douglas ist auch als Partnerin und Performerin von Anne Imhof, die gerade auf der Biennale in Venedig für Furore sorgt, bekannt. Die großformatigen Gemälde zeigen grüne Comicmännchen, die kleine Kärtchen hochhalten. Sie waren für 10.000 Euro im Angebot und gegen Ende der Messe fast ausverkauft. Noch im Frühjahr waren Werke von Eliza Douglas in einer Einzelausstellung im Essener Museum Folkwang zu sehen.
Bereits nach einer Stunde am Vernissagetag ausverkauft waren die Arbeiten eines weiteren Shooting Stars am Stand von Koppe Astner aus Glasgow. Ein intensiv farbiges Gemälde der 1989 geborenen New Yorker Malerin Grace Weaver, die in diesem Jahr unter anderem in den Kunstvereinen Reutlingen und Oldenburg gezeigt wird, war hier für fair kalkulierte 6.000 Euro im Angebot. Auch vier Kohlezeichnungen Weavers für je 2.400 Euro waren sofort ausverkauft. Weaver bedient sich eines stark flächig aufgefassten, figurativen Vokabulars, das seine Anregungen aus so unterschiedlichen Quellen wie Animationsfilmen der 1990er Jahren, dem Manierismus und persischer Miniaturmalerei des 14. Jahrhunderts bezieht.
Gleich nebenan zeigte Gregor Staiger aus Zürich auf Performance basierende Gemälde der Britin Lucy Stein, Jahrgang 1979. Hier mischen sich Feminismus, Modernismus und eine betont aggressiv vorgetragene Malattitüde. Die Gemälde kosteten je £13.000. Ebenfalls am Stand: Großformatige Metallskulpturen in pastelliger Farbgebung der Schweizerin Sonia Kacem, die die Künstlerin aus der Form von Lampenschirmen abgeleitet hat. Die Skulpturen wurden für je 10.000 CHF angeboten.
Am Stand der Galerie Aoyama/Meguro aus Tokio fiel ein Video von Koki Tanaka ins Auge. Der 31-minütige Film zeigt eine Musikergruppe in einem japanischen Restaurant. Ironischerweise bekommt nur ein von Tanaka selbst dargestellter Musiker immer wieder neue Speisen serviert, die anderen spielen unterdessen brav weiter. Tanaka, Jahrgang 1975, nimmt in diesem Jahr auch an den Skulptur Projekten in Münster und an der Biennale Venedig teil. Das Video mit dem Titel „Music für Tonkatsu“ kostet 5.000 Euro, Auflage: 5.
Zu den regelmäßigen Teilnehmern der LISTE zählt auch die rumänische Galerie Sabot aus Cluj. Sie präsentierten unter anderen den 1991 geborenen Briten Joe Fletcher Orr mit seiner launigen Neontextarbeit „For the Collector who has everything“ und zwei mit Buchcovern begehrter Künstler wie Yves Klein und David Hockney bedruckten Teppichen. Die Preise zwischen 2.500 und 3.000 Euro waren extrem günstig kalkuliert, die Arbeiten waren sofort ausverkauft. „Ich möchte die Arbeiten zugänglich machen“, erläutert Galeristin Daria Dumitrescu. „Warum sollte ich daher Preise festlegen, die die Leute abschrecken?“
Ebenfalls sofort verkauft war eine Installation von Luís Lázaro Matos bei der Galerie Madragoa aus Lissabon. Der 1987 geborene Portugiese sammelt historische Drucke, etwa Uniformdarstellungen von Soldaten des Britischen Empire. Diese bearbeitet und übermalt er und verleiht ihnen so eine dandyhafte Erscheinung. Die Installation, bestehend aus Dutzenden von ironisch übermalten Blättern, präsentiert auf einer Wandmalerei des Künstlers, ging an eine Privatsammlung.
Eine interessante chinesische Künstlerin dann am Stand von Leo Xu Projects aus Shanghai. Die Galerie nahm zum ersten Mal an der LISTE teil. Die 1985 geborene Künstlerin Liu Shiyuan wurde in New York und Peking ausgebildet und lebt heute in Kopenhagen. Sie sammelt Textzitate aus dem Internet, aus der Werbung und politischer Propaganda, die sie auf Teppichbodenfliesen drucken lässt, deren Muster an Textilien, Tapeten oder Bildschirmschonprogramme erinnern. Shiyuan thematisiert in der Arbeit auch ihre Biografie als Immigrantin. Auch MoMA PS1-Kurator Klaus Biesenbach ist auf sie aufmerksam geworden und präsentierte sie 2016 in einer Gruppenshow mit junger chinesischer Kunst in Hongkong.
Eine überaus politische Arbeit dann am Stand von Laveronica aus dem sizilianischen Modica. Die 14-minütige Zweikanal-Videoarbeit „East Side Story II“ (2006-2013) des Kroaten Igor Grubic, Jahrgang 1969, zeigt eine von Gegendemonstranten bedrohte Gay Pride Demonstration in Zagreb. Tänzerische Performance trifft hier auf den abgrundtiefen Hass der rechten Szene. Das Video kostet 36.000 Euro, Auflage: 5.
Brandneue Fotografien von Tobias Zielony, Jahrgang 1973, dann bei KOW aus Berlin. Zielony hatte eine Residency in Kiew, wo er sich mit der Kamera in der LGBTQ-Community sowie in der Technoszene bewegte. Herausgekommen sind sehr eigenwillige, hochästhetische Farbaufnahmen in Form einer Sozialstudie mit Tiefgang. Die gesamte Serie wird 42 Aufnahmen umfassen und voraussichtlich im Herbst 2017 im Von der Heydt-Museum in Wuppertal zu sehen sein. Auf der LISTE zu sehen waren die ersten Aufnahmen in einer Auflage von 6 für 8.500 Euro beziehungsweise 10.000 Euro (je nach Größe).
Vor 22 Jahren wurde die LISTE durch die Galeristen Eva Presenhuber und Peter Kilchmann und den Basler Kurator Peter Bläuer ins Leben gerufen. Die seither als Non-Profit-Unternehmen geführte Messe gilt quasi als Prototyp der mittlerweile nahezu inflationären Satelliten- oder Nebenmessen, welche die großen Kunstmessen weltweit umschwirren wie Motten das Licht. Ihren Ruf als die Entdeckermesse schlechthin konnte die LISTE allerdings bis heute verteidigen. Hier schauen in der Art-Basel-Woche alle vorbei: New Yorker Sammler, Kuratoren aus dem Amsterdamer Stedelijk Museum und dem MoMA und auch Art Basel-Direktor Marc Spiegler, der die anderen Nebenmessen keines Blickes würdigt. Das LISTE-Team jedenfalls ist stolz darauf, dass es kaum eine Galerie gibt „die nach 1996 gegründet wurde und heute zu den weltweit bedeutendsten Galerien zählt, deren Weg nicht über die LISTE führte.“ Ob die LISTE 2018 jedoch unter der bewährten Leitung von Peter Bläuer stattfinden wird, ist zumindest fraglich. Bläuer, dann 65 Jahre alt, möchte sich allmählich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen und die Messeleitung in jüngere Hände übergeben. Da er das Neuordnungsverfahren jedoch keineswegs überstürzt sondern mit typisch schweizerischer Bedachtsamkeit und Sorgfalt angeht, wird einem um die Zukunft des Erfolgsmodells LISTE nicht bange.
Auf einen Blick:
Kunstmesse: LISTE Basel
Ort: Ehemalige Warteck Brauerei, Werkraum Warteck pp
Zeit: 13.-18.6.2017
Katalog: 228 S., 15 CHF
Internet: www.liste.ch
Nächster Termin: 12.-17.6.2018