Kein Anfang und kein Ende: Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet sich jetzt in einer ebenso materialreichen wie sehenswerten Ausstellung dem Phänomen des Loops in bildender Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte
Er begegnet uns im Kaufhaus oder im Aufzug, in der Telefonwarteschleife unserer Bank oder unseres Stromversorgers. Die Rede ist von dem neudeutsch als „Loop“ bezeichneten Phänomen, der sich ständig wiederholenden Klangabfolge, die beim Zuhören, abhängig vom Rezipienten und seiner jeweiligen Stimmungslage, entweder ein einlullendes Gefühl oder aber wütende Reaktionen hervorruft. Doch Loops, Schleifen oder Endlosbänder gab es schon lange vor der Erfindung funktionaler Soundteppiche, wie sie heute von Unternehmen zur subtilen Manipulation von Kunden und Konsumenten eingesetzt werden. Und es gibt sie keineswegs nur auf der Tonebene sondern – und das seit Jahrtausenden – in nahezu allen kulturellen Bereichen.
Die Ausstellung „Never Ending Stories“ im Kunstmuseum Wolfsburg begibt sich jetzt anhand einer überwältigenden Vielzahl von Exponaten aus rund 1800 Jahren Kulturgeschichte auf Spurensuche. Die Schau versteht sich dabei nicht nur als reine Kunstausstellung sondern als umfangreiche Erforschung des Phänomens in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte. Die Wolfs-burger betreiben also eine Art Grundlagenforschung. Eine vergleichbare Ausstellung ist weltweit bisher noch nicht realisiert worden.
Ralf Beil, der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, zur Aktualität des Projekts: „Der Loop scheint geradezu allgegenwärtig in unseren Tagen – ob in der Musik, im Internet, der Videokunst oder in Hotellobbys und Wohnzimmern, wo auf Monitoren Kaminfeuer endlos flackern oder Fische im Aquarium umherflirren. Zugleich ist der geschlossene Kreislauf, die Endlosschleife, spätestens seit der Antike ein wesentlicher Topos der Kulturgeschichte und Philosophie.“
Chronologisch aufgebaut, nähert sich die Ausstellung ihrem Untersuchungsgegenstand in 14 Kapiteln, die auf rund 2200 Quadratmetern in eine eigens entwickelte Architektur aus kleinen und großen Räumen eingebettet sind. Fast ein Viertel der Fläche wird von einem einzigen Künstler bespielt. Gregor Schneider, Jahrgang 1969, wurde im Sommer noch bei den Skulptur Projekten Münster für seine Arbeit „N. Schmidt, Pferdegasse 19“ gefeiert, bei der sich jeden Tag trotz stundenlanger Wartezeit lange Schlangen bildeten. Dort betrat der Besucher eine geheimnisvolle Wohnung. In Wolfsburg präsentiert Schneider jetzt unter dem Titel „Bad“, der im Englischen eine ambivalente Lesart offeriert, eine beklemmende Sequenz von 21 identischen Räumen. Nichts für Klaustrophobiker: Graue Fliesen, eine Leuchte, cremefarbene Wände, weiße Decken und jeweils eine Duschkabine entführen den Besucher in eine mehr als seltsame Raumabfolge, die die Wahrnehmung und Orientierung auf eine harte Probe stellt.
Ein besonderes Raumerlebnis für jeweils eine Person liefert auch der „Infinity Mirrored Room“, der 1929 geborenen japanischen Künstlerin Yayoi Kusama. Das Betreten des komplett verspiegelten und mit LED-Lichtern versehenen Environments wird zu einem nahezu transzendentalen Erlebnis.
Eines der ältesten Objekte, eine Tonschale mit einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, stammt aus Ägypten. Illustrationen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zeigen, wie sich dieses Motiv kulturgeschichtlich weiterentwickelt hat. Daneben sind aber auch mathematische Modelle zu sehen, so etwa diverse Möbiusbänder aus wissenschaftlichen Sammlungen.
Die Künstlerliste umfasst rund 50 große Namen, darunter Max Beckmann, Marcel Duchamp, Douglas Gordon, Stanley Kubrick, Bruce Nauman, Bridget Riley, Günther Uecker und Andy Warhol. Als Beispiele aus der Musik sind Werke unter anderem von Kraftwerk, Donna Summer und Erik Satie zu hören.
Entlassen wird der Besucher mit der Sound- und Plattenspielerinstallation „Loop“ der Münchner Künstlerin Sandra Filic, Jahrgang 1974. Zu hören ist das älteren Ausstellungsbesuchern noch altvertraute Auslaufgeräusch einer oft gespielten Vinylschallplatte. Hier triumphiert noch einmal das Unnachahmliche des Analogzeitalters. Das durch Staub, Flusen und Materialermüdung erzeugte Knistern vergewissert den Besucher im Hier und Jetzt. Angesichts der perfektionierten Glätte der immer mehr um sich greifenden digitalen Endlosschleifen ein nostalgische Erinnerungen hervorrufendes, gleichwohl beruhigendes Gefühl.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Never Ending Stories
Ort: Kunstmuseum Wolfsburg
Zeit: 29.10.2017 bis 18.2.2018. Di-So 11-18 Uhr
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 360 S., 330 Abb., 45 Euro (Museum), 50 Euro (Buchhandel)
Internet: www.kunstmuseum-wolfsburg.de
Buchtipp: Tilman Baumgärtel: „Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops“, Kadmos Verlag, 352 S., 24,90 Euro