Das Hamburger Bucerius Kunst Forum zeigt im Rahmen der diesjährigen Triennale der Photographie ausgewählte Werke des musikaffinen niederländischen Porträt-Fotografen Anton Corbijn – und entdeckt dabei bislang unbekannte Seiten seines Œuvres
Als ihn im Jahr 2001 der Bürgermeister seines auf einer kleinen Insel in den Süd-Niederlanden gelegenen Geburtsortes Strijen fragte, ob er dort eine Ausstellung machen wolle, sagte der Fotograf Anton Corbijn, Jahrgang 1955, erst nach einigem Zögern zu. Der Sohn eines protestantischen Predigers lebte damals längst in London. Er war der Enge und rigiden Religiosität seines Elternhauses entflohen und hatte eine atemberaubende Karriere als Fotograf gemacht, genauer gesagt als gefragter Porträtfotograf der Musikszene. Ian Curtis von Joy Division, David Bowie, Nick Cave, die Band Depeche Mode, Elvis Costello, Bono von U2, PJ Harvey – sie alle hatte der Musikfan Corbijn zunächst auf Konzerten, später an den Orten, wo sie lebten, getroffen und mit seiner analogen Kamera aufgenommen: direkt, authentisch und ohne exaltierte Posen. Auf technischen Firlefanz wie Stative oder künstliches Licht verzichtet er meist. Gerade deshalb aber wirken seine Porträts menschlich, intim, natürlich und echt. Außerdem ist Corbijn kein distanzierter Beobachter wie viele andere Fotografen. Er gehört sozusagen zum Betrieb.
Corbijn kehrte also in sein Heimatdorf zurück und entwickelte dort eine neue Foto-Serie, die sich von seinen kommerziellen Aufnahmen für Musikzeitschriften, Plattencover und Werbekampagnen stark unterscheidet: Er schlüpfte in die Rolle von früh verstorbenen Musiker-Legenden wie John Lennon, Freddy Mercury oder Janis Joplin und posierte in Maske und Kostüm vor dem Hintergrund von Kuhwiesen, Kirchturmspitzen und verwitterten Bushaltestellen. Die Serie „a. somebody“ war entstanden.
Diese Serie ist jetzt zusammen mit vielen anderen ikonischen Fotografien im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen. Die von Direktor Franz Wilhelm Kaiser und Anton Corbijn gemeinsam kuratierte Schau, die im Rahmen der Hamburger Triennale der Photographie stattfindet, gliedert sich in zwei Teile. Zu sehen sind rund 120 Fotografien, allesamt aus dem Besitz des Künstlers, davon 77 im Auftrag entstandene Musikerporträts, sowie 42, teils unveröffentlichte freie Arbeiten aus mehr als 40 Schaffensjahren. Im Erdgeschoss werden die kommerziellen Musikerporträts von den 1970er Jahren bis in die 2000er Jahre gezeigt, Auftragsarbeiten also, die die besondere Bildästhetik Anton Corbijns, der stets mit analoger Kamera und überwiegend in Schwarz-Weiß arbeitet, eindrücklich vermitteln. Im Obergeschoss hingegen werden Corbijns freie Arbeiten präsentiert: die bereits erwähnte Serie „a. somebody“ sowie „Cemeteries“, eine in Hamburg jetzt erstmals öffentlich gezeigte Serie von ebenso bildgewaltigen wie berührenden Grabmalen, die bereits 1982/83 auf Friedhöfen in Frankreich, Norditalien und Österreich entstanden ist.
„Ein wichtiger Aspekt meiner Fotografie ist der Sinn für das Imperfekte“, sagt Anton Corbijn, der zu Beginn seiner Karriere oft aus Geldmangel an Material und Equipment sparen musste. „Das macht die Aufnahmen so menschlich. Da ist eine Menge Intuition in meiner Arbeit und in meinem künstlerischen Ansatz.“
„Wir sind umgeben von Bildern“, erläutert Franz Wilhelm Kaiser und stellt die Frage: „Was ist der Unterschied zwischen den Fotos, die uns alltäglich umgeben und denen, die hier an der Wand hängen?“ Für ihn stellen die Bilder von Anton Corbijn eine gelungene Verbindung von Kunst und Fotografie dar: „Kunst hat immer auch Sinnfragen gestellt. Nicht nur die freien Serien von Anton Corbijn stellen diese zentralen Sinnfragen, sondern auch die ikonischen Aufnahmen von Musikern, für die er berühmt geworden ist.“
Anton Corbijn ist aber nicht nur für seine unverfälschten Musikerporträts bekannt. Immer wieder hat er auch Musikvideos und längere Filme gedreht wie zum Beispiel im Jahr 2007 den Film „Control“ über die Band Joy Division. Im August werden in Zusammenarbeit mit dem Metropolis Kino im Freiluftkino auf dem Hamburger Rathausmarkt vier Spielfilme von Anton Corbijn gezeigt. Außerdem zeigt das Abaton Kino an mehreren Tagen den 82-minütigen Dokumentarfilm „Anton Corbijn Inside Out“ aus dem Jahr 2012 von der niederländischen Filmemacherin Klaartje Quirijns.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Anton Corbijn: The Living and the Dead
Ort: Bucerius Kunst Forum Hamburg
Zeit: 7.6.2018 bis 6.1.2019, täglich 11 – 19 Uhr, Do 11 – 21 Uhr
Katalog: Verlag Schirmer/Mosel, 220 S., deutsch-englisch, 39,80 Euro (Ausstellung), 49,80 Euro (Buchhandelsausgabe)
Internet: www.buceriuskunstforum.de