Japanische Klarheit und Reduktion als entscheidender Katalysator für die Ausbildung der europäischen Moderne: Die Wiener Ausstellung „Faszination Japan“ wagt diese These – und untermauert sie anhand zahlreicher Exponate aus Ost und West
Japan und den Westen verbindet eine wechselvolle Geschichte. Nachdem es im Jahre 1543 ein leck geschlagenes portugiesisches Handelsschiff an die japanische Küste verschlagen hatte und damit ein erster Kontakt zustande kam, begann zunächst ein reger Austausch von Waren, insbesondere mit Portugal, Spanien und Holland. 1639 jedoch schloss Japan, offenbar aus Angst vor einer unkontrollierbaren Christianisierung und kultureller Hegemonie des Westens, abrupt seine Grenzen.
Alle westlichen Ausländer mussten das japanische Festland verlassen. Allein die Holländer durften auf einer künstlich aufgeschütteten Insel vor Nagasaki verbleiben. Fortan galt das Land als nahezu vollkommen isoliert. Erst 1854 gab es einen Neuanfang. Die US-Regierung setzte die japanische Regierung derart unter Druck, dass diese einer neuerlichen Öffnung ihrer Häfen zustimmte. Damit war die über 200 Jahre andauernde, selbstgewählte Isolation des asiatischen Inselstaates auf einen Schlag beendet. Jetzt waren es die Japaner selbst, die verstärkt damit begannen, ihre Waren und Ideen im großen Stil in den Westen zu exportieren. Die groß angelegten Auftritte Japans auf den Pariser Weltausstellungen 1867 und 1878 blieben nicht ohne Folgen – auch nicht für die Kunst. Klarheit und Reduktion, die Grundkomponenten japanischer Formensprache und Ästhetik, stießen im Westen,insbesondere in Paris, auf überaus großes Interesse.
Émile Zola, Edgar Degas, Claude Monet, Charles Baudelaire, aber auch das brüderliche Autorenduo Edmond und Jules de Goncourt – sie alle begannen jetzt damit, japanische Artefakte, insbesondere die „Ukiyo-e“, narrativ stark aufgeladene und oftmals leuchtend-bunte Farbholzschnitte, zu sammeln. Gleichzeitig boten aber auch die großen Pariser Kaufhäuser wie Printemps oder Le Bon Marché, günstige Japonika wie Lackdosen, Stoffe, Kimonos, Fächer oder Keramik für ein Massenpublikum an. Der Pariser Kritiker Ernest Chesneau kommentierte die grassierende Japanomanie im Jahr 1878 mit den Worten: „Das ist keine Mode mehr, das ist Leidenschaft, das ist Verrücktheit.“
Die Japan-Begeisterung machte jedoch an der französischen Grenze nicht halt. Außerhalb Frankreichs waren es unter anderen – allerdings mit zeitlicher Verzögerung – die Künstler des Blauen Reiters, also Franz Marc, August Macke und Wassily Kandinsky, die sich von der exotischen Ästhetik anstecken ließen. In Österreich gehörten Gustav Klimt und Egon Schiele zu den größten Bewunderern und Sammlern japanischer Artefakte. Aus den Beständen Gustav Klimts stammt auch eine ganze Reihe fantasievoller Objekte, darunter bemalte Schachteln, Tierminiaturen und eine No-Maske, die jetzt in der Schau „Faszination Japan. Monet • Van Gogh • Klimt“ zu sehen sind.
Die von Evelyn Benesch kuratierte, groß angelegte Herbstausstellung des Bank Austria Kunstforum Wien zeigt anhand von mehr als 150 Exponaten, wie begierig die fernöstliche Bildsprache ab dem späten 19. Jahrhundert von der westlichen Avantgarde aufgesogen, und wie variantenreich sie adaptiert und modifiziert wurde. Neben Meistern des japanischen Farbholzschnitts, darunter Katsushika Hokusai oder Utagawa Hiroshige präsentiert die Schau insgesamt rund 65 Künstler, darunter neben Monet, van Gogh und Klimt auch weitere Europäer wie Paul Gauguin, James Ensor, Edvard Munch oder Félix Valloton.
„Ich beneide die Japaner um die ungemein saubere Klarheit, die alle ihre Arbeiten haben. Nie ist das langweilig, und nie scheint es zu sehr in Eile gemacht. Das ist so einfach wie Atmen, und sie machen eine Figur mit ein paar Strichen mit derselben Leichtigkeit, als wäre das genau so einfach, wie seine Weste zuzuknöpfen“, schrieb Vincent van Gogh 1888 an seinen Bruder Theo. Weniger beim allgemeinen Publikum, dafür aber besonders unter Künstlern waren japanische Farbholzschnitte beliebt. Ihre entscheidenden Charakteristika wie die Flachheit der Darstellung, das Fehlen jeglicher Zentralperspektive, der Mut zu vollkommen leeren Flächen, die Verlagerung des Bildgeschehens vom Zentrum an die Ränder, die häufig ornamentale Hintergrundgestaltung und das unorthodoxe Spiel mit Größenverhältnissen faszinierten die westlichen Künstler.
Abgesehen von der formalen Ebene waren es aber auch die motivischen Inhalte, die die europäische Avantgarde inspirierte. Claude Monets in der Ausstellung präsentiertes Gemälde „Waterloo Bridge“ von 1902 zeigt kaum wahrnehmbar die im Nebel verborgenen Umrisse des Bauwerks. Der Rest sind flächig aufgefasste Darstellungen von Licht und Wasser. Brückenmotive auf Farbholzschnitten von Utagawa Hiroshige oder Katsushika Hokusai, übrigens alle aus privaten und öffentlichen Wiener Sammlungen, bieten sich hier unmittelbar zum Vergleich an. Ebenso korrespondieren Henri de Toulouse-Lautrecs erotisch aufgeladene Pariser Cabaret-Szenen oder Pierre Bonnards Werbemotive für Revuetheater oder Champagner mit japanischen Geisha-Darstellungen.
Ein nahezu vollkommenes Amalgam westlicher und japanischer Ästhetik stellt das 1872 entstandene Gemälde „Die Japanische Pariserin“ des Belgiers Alfred Stevens dar, welches auf einer kleinen Empore an der Stirnseite des ersten Ausstellungssaals gezeigt wird. Eine Dame mit kunstvoll hochgestecktem Haar, geblümtem Kimono und durchscheinendem Fächer in der Hand betrachtet sich im Spiegel ihrer großbürgerlichen Behausung.
Dass die Ausstellung ausgerechnet in Wien zu sehen ist, hat mehrere Gründe. Zum einen waren es nach den Parisern gerade auch die Wiener Künstler, die sich vom damaligen Japan-Hype beeinflussen ließen – jedoch mit einiger Verspätung. Bereits auf der Weltausstellung in Wien 1873 waren japanische Artefakte zu sehen. Doch dieser Impuls wurde von den Künstlern nicht aufgenommen. Erst 1897 mit der Gründung der Wiener Sezession öffneten sich die Wiener Museen und die Kunstgewerbeschule den fernöstlichen Einflüssen. Plötzlich war es auch an der Donau en vogue, nach japanischer Manier zu arbeiten. Zum anderen trägt der Reichtum der Wiener Sammlungen, aus denen viele der Leihgaben stammen, wesentlich zum Gelingen des Ausstellungskonzept bei. Heute zählen die Ostasiatika-Sammlungen des Museums für angewandte Kunst (MAK) und des Weltmuseums Wien (vormals Museum für Völkerkunde) zu den wichtigsten weltweit.
Gustav Klimts goldene, oft durch Wellenmuster rhythmisierte Hintergründe sind von japanischen Vorbildern ebenso geprägt wie seine variantenreiche Figurenauffassung. Ebenso aber auch der Architekt und Möbeldesigner Josef Hoffmann, von dem in der Ausstellung geradezu minimalistische, streng geometrische Blumenkörbe aus weiß lackiertem Eisenblech zu sehen sind. Hoffmann und der Grafiker Koloman Moser, der ebenfalls in der Schau vertreten ist, nahmen den Manufakturgedanken und damit ein Grundprinzip der japanischen angewandten Kunst sogar ins Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte auf: „Was wir wollen, ist das, was der Japaner immer getan hat. Wer würde sich irgendein Werk japanischen Kunstgewerbes maschinell hergestellt vorstellen können?“
Die in zahlreiche Unterkapitel aufgeteilte und von Evelyn Benesch und ihrer Assistentin Marie-Therese Thier sorgsam eingerichtete Schau hält auch allerlei Skurriles bereit. So sind im Kapitel „Geister – Helden – Fabelwesen“ außerordentlich fantasievolle Darstellungen von Monstern und Unterweltwesen Hokusais und anderer Farbholzschnittkünstler zu sehen, welche wiederum aufs Wunderbarste mit Traumdarstellungen Odilon Redons oder Alfred Kubins korrespondieren.
Die eigens für die Ausstellung angefertigten Teepavillons der drei österreichischen Künstlerinnen Stefanie Pflaum, Margot Pilz und Eva Schlegel fügen der Ausstellung noch eine zeitgenössische Note hinzu. Insgesamt eine sehr gelungene und gerade aufgrund ihrer vielen thematischen Verästelungen sehenswerte Schau.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Faszination Japan. Monet • Van Gogh • Klimt
Ort: Kunstforum Wien
Zeit: 10. Oktober 2018 bis 20. Januar 2019
Täglich 10-19 Uhr, Freitag 10-21 Uhr
24.12.2018 10-15 Uhr, 31.12.2018 10-16 Uhr, 1.1.2019 12-19 Uhr
Katalog: Kehrer Verlag, 264 S., 280 Farbabb., 32,00 Euro (Museumsshop), 39,90 Euro (Buchhandel)
Internet: www.kunstforumwien.at