Letzte Woche stand Paris ganz im Zeichen der bildenden Kunst: Die gut besuchte FIAC im Grand Palais strahlte aus auf die gesamte Stadt. Ein internationales Publikum tummelte sich auf der Messe, der Satellitenmesse Paris Internationale, in den Museen und in den Galerien der Seine-Metropole
Als am vergangenen Sonntagabend die Türen zum Grand Palais unweit der Place de la Concorde in Paris schlossen, konnten die 195 Galeristen aus 27 Ländern, die zur 45. Ausgabe der FIAC (Foire Internationale d’Art Contemporain) an die Seine gereist waren, erst einmal tief durchatmen. Nach einer anstrengenden, intensiven und dynamischen Messewoche fiel die Bilanz bei den meisten Teilnehmern überaus positiv aus.
In fünf Tagen waren 72.500 internationale Besucher auf die FIAC gekommen. Die Veranstalter listen 66 Länder auf, aus denen die Sammler, Kuratoren, Museumsleute, Journalisten und Messe-Flaneure in diesem Herbst in die pulsierende Kunstmetropole Paris gereist waren.
Florian Lüdde von der Galerie ChertLüdde aus Berlin kommentiert: „Es kamen sehr viele internationale Kuratoren und Vertreter von Institutionen an unseren Stand. Darunter waren auch einige Direktoren der vielen FRACs (Fonds régionaux d’art contemporain) in Frankreich, von denen ja viele bekanntlich einen guten Ankaufsetat haben.“
Die Aussteller präsentierten im lichtdurchfluteten Grand Palais Kunstwerke von der Moderne ebenso wie von etablierteren zeitgenössischen Künstlern bis hin zu Arbeiten von „Emerging Artists“ mit hohem Wertsteigerungspotenzial. Viele der Galerien, darunter ebenso Erstteilnehmer wie Big Player des internationalen Kunstbetriebs, bestätigten gute Verkäufe und schwärmten von einer euphorisierten Stimmung in einer Stadt, die rund um die Messe wieder einmal mit einem attraktiven Ausstellungsangebot in ihren Spitzenmuseen aufwarten konnte. Franz West im Centre Pompidou, Tomás Saraceno im Palais de Tokyo und Grayson Perry in der Monnaie de Paris zählen zu den Highlights, die allesamt noch einige Wochen beziehungsweise Monate zu sehen sein werden.
Geradezu überschwänglich fällt die Messebilanz der international agierenden Top-Galerie Hauser & Wirth mit Hauptsitz in Zürich aus: „Wir können nach unserer Erfahrung auf der FIAC nur bestätigen, dass wir wieder einmal die richtige Entscheidung getroffen haben, an dieser schönen Messe in der atemberaubenden Stadt Paris teilzunehmen. In diesem Jahr gab es eine starke Präsenz von europäischen und US-amerikanischen Sammlern auf der FIAC. Die Kombination von außerordentlich guten Museumsausstellungen und der Messe machen Paris zu einem äußerst attraktiven Ziel für ein internationales Publikum.“ Hauser & Wirth zeigten in Paris unter anderem Aquarelle aus dem Nachlass von Louise Bourgeois sowie frühe Papierarbeiten der im September verstorbenen, erst im hohen Alter wiederentdeckten rumänischen Konzeptkünstlerin Geta Brătescu (1926-2018).
Auch für die im Pariser Stadtteil Belleville ansässige Galerie Jocelyn Wolff war die FIAC ein voller Erfolg: „Dies war eine der besten FIAC-Ausgaben überhaupt für uns. Wir haben unter anderem zwei Arbeiten von Franz Erhard Walther für über 100.000 Euro verkauft und zwei weitere für um die 50.000 Euro.“ Außerdem meldet Jocelyn Wolff gute Verkäufe von anderen Künstlern wie William Anastasi, Miriam Kahn und Katinka Bock. Während der Messe wurde in den Räumen der Galerie eine Solo-Schau des konzeptuell arbeitenden Bildhauers Franz Erhard Walther, Jahrgang 1939, eröffnet. Die große Aufmerksamkeit gerade für das zeichnerische und skulpturale Frühwerk des 2017 mit dem Goldenen Löwen der Biennale Venedig für sein Lebenswerk geehrten Künstlers schlägt sich nun auch in der Preisentwicklung nieder. Walther selbst lässt es sich nicht nehmen, seine Ausstellungen immer noch höchstpersönlich einzurichten, und so war er selbstverständlich auch bei seiner Vernissage in Paris präsent.
Auch die Londoner Galerie White Cube zog eine überaus positive Bilanz: „Es war eine außerordentlich gute Ausgabe der FIAC, eigentlich die bisher allesbeste für uns. Wir haben von allen zwölf Künstlern, die wir mit auf die Messe gebracht haben, mindestens eine Arbeit verkauft. Wir haben uns an unserem Stand auf den US-amerikanischen Documenta-Teilnehmer Theaster Gates konzentriert, der im nächsten Februar eine Einzelausstellung hier im Palais de Tokyo eröffnen wird. Wir haben gleich am Vernissage-Tag zwei Arbeiten von ihm verkaufen können.“ White Cube vermeldet den Verkauf eines Wandteppichs von Theaster Gates, auf dem er sich mit dem Civil Rights Movement auseinandersetzt, für 750.000 US$. Außerdem wechselten zwei Gemälde von Georg Baselitz für 495.000 Euro den Besitzer. Auch Tracey Emin, in den 1990er Jahren einer der größten Stars der Young British Artists, war mit zwei Gemälden am Stand vertreten, die beide zum Preis von £290.000 bzw. £240.000 in Paris verkauft werden konnten.
Wesentlich günstiger hingegen wurden die konzeptuellen Gemälde der New Yorkerin Ann Craven angeboten. Die Shane Campbell Gallery aus Chicago präsentierte die seriellen, farbigen Acrylgemälde mit Vogel- und Mond-Motiven in einer Solo-Show. Zur Zeit ist Ann Craven in der noch bis Mitte April 2019 laufenden Gruppenschau „Peindre la Nuit“ („Die Nacht malen“) im Centre Pompidou Metz mit ihren Mond-Gemälden vertreten. Die mittelformatigen Vogel-Gemälde wurden für 12.000 US$ angeboten, die kleineren Mondgemälde kosteten 8.000 US$.
Kontrastprogramm dann am Stand der New Yorker Galerie „Queer Thoughts“. Sie zeigten den französischen Illustrator und Zeichner David Rappeneau, der aus seiner Biografie ein Geheimnis macht, jedoch in den letzten Jahren in der Kunstwelt immer stärkere Aufmerksamkeit erlangte.
Seine realistisch-nostalgischen Großstadtdarstellungen sind aufgeladen mit einigen verstörenden Details wie Tablettenblistern, einer geöffneten WC-Schüssel, Halsketten mit übergroßen Kreuzen und Davidsternen, aber auch leicht wiedererkennbaren Verweisen auf Literaten wie Gustave Flaubert oder das Modelabel Comme des Garçons. Je nach Größe lagen die Zeichnungen zwischen 2.000 und 5.500 US$. Außerdem am Stand waren Arbeiten der in New York zur Zeit gehypten Konzept- und Performancekünstlerin Puppies Puppies zu sehen. Ihre Objekte aus der „Trigger“-Serie wurden 2017 auf der Whitney Biennale gezeigt. Hier thematisiert sie die in den USA vehement geführte Debatte um Gewalt und Waffenbesitz, indem sie die Abzüge bei Massenerschießungen verwendeter Schusswaffen als konzeptuelle, kühl-ästhetische Kunstobjekte präsentiert.
Der Pariser Galerist Jérôme Poggi zeigte eine 2007 entstandene Foto-Serie von Eric Baudelaire, die der französisch-amerikanische Konzeptkünstler in der zentralfranzösischen Stadt Clermont-Ferrand anfertigte. Ursprünglich als Auftragsarbeit angelegt, fotografierte Baudelaire Alltagsmotive wie Waldstücke, unspektakuläre Siedlungen, Hotelzimmer und Ansammlungen von Bürostühlen in analoger Technik.
Eric Baudelaire: Site Displacement / Déplacement de site (series) -2007 – C-Print dyptich framed – Varying Dimensions, Galerie Jérôme Poggi, Paris, Foto: ©Adcgp, Paris
Der Clou: Er bat einen seiner Studenten, entsprechende Situationen urbaner Erscheinungsformen in seiner Heimat Indien zu suchen und ebenfalls bei ähnlichen Lichtverhältnissen zu fotografieren. So zusammengeführt, entstanden Diptychen mit verblüffenden, formalen und inhaltlichen Korrespondenzen. Diese stark nachgefragten Bilderpaare in 6er-Auflage wurden je nach Format zwischen 2.000 und 9.600 Euro angeboten.
Einen besonders gelungenen Stand hatte die Pariser Galerie Mor Charpentier zusammengestellt. Zu sehen waren unter anderem Werke von Sadâane Afif, darunter eine kleinformatige, vielschichtige Papierarbeit mit dem gesprayten Umriss der Hand des Künstlers auf einem Artikel in der Zeitung Libération über eine Ausstellung Afifs, in der er sich auf das Urinal von Marcel Duchamp bezieht (8.000 Euro). Das Thema Readymade wird hier gleich auf mehreren Referenzebenen durchgespielt.
Ebenso beachtenswert waren auch die Miniaturskulpturen der 1941 geborenen Argentinierin Liliana Porter, die seit 1964 in New York lebt. Eine besonders schöne Vintage-Fotografie zeigt Liliana Porter als junge Frau in genialischer Eintracht mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem uruguayischen Konzeptkünstler Luis Camnitzer, der 1937 in Lübeck geboren wurde, 1939 mit seinen Eltern emigrieren musste und heute in den USA lebt. An der Außenwand des Standes verwies eine wandfüllende Fotografie der Mexikanerin Teresa Margolles auf die umstrittenen Mechanismen, mit welchen die USA ihre Grenze zu Mexiko abschotten.
Das wohl preisgünstigste Kunstwerk auf der FIAC stammte von der Berliner Konzeptkünstlerin Karin Sander. Sie hat für die bekannte französische Käsemarke „La Vache qui rit“ die runde Verpackungsschachtel künstlerisch modifiziert, indem sie ein weißes Raster mit 1176 kleinen Löchern auf den Deckel appliziert hat.
Somit erscheint das Motiv der fröhlich lachenden, roten Kuh vor einer idyllischen Landschaft als verfremdetes Vexierbild. Karin Sander knüpft damit an ihre Serie „Reisebilder“ an, inspiriert von einer Zugfahrt von Rom nach Zürich, bei der der Ausblick auf die Landschaft durch eine auf die Scheiben geklebte, gerasterte Werbung verfremdet wurde. Dieser irritierende Moment findet nun seine Entsprechung auf der bedruckten Käseschachtel. Schnäppchenjäger und Sander-Fans konnten dieses demokratische Multiple in limitierter Auflage exklusiv auf der FIAC für nur 5 Euro erwerben. Nach Hans-Peter Feldmann, Thomas Bayrle, Jonathan Monk und Wim Delvoye ist Karin Sander die erste weibliche Künstlerin, die die „Boîte Collector“ („Sammlerschachtel“) für die Traditionsmarke gestaltet hat.
Unter Sammlern und Kunstkennern hatte es sich schnell herumgesprochen: Im bürgerlichen 8. Arrondissement in der Rue Alfred de Vigny fand parallel zur FIAC die 4. Ausgabe der laut eigener Aussage nicht-kommerziellen Satellitenmesse „Paris Internationale“ statt. 2015 von einigen jüngeren Galeristen als Alternative zur etablierten, teuren, alles beherrschenden FIAC gegründet, hatten die Initiatoren für diese Ausgabe als Venue ein leerstehendes, herrschaftliches Wohnhaus aus dem späten 19. Jahrhundert gefunden. 42 internationale Galerien und 8 Off-Spaces aus 21 Ländern verteilten sich auf die verwinkelten Etagen mit eingebauten Küchen, eleganten, leicht abgewohnten Salons und stylishen Originalbädern, unter anderem von Pierre Cardin.
Und die Kunst? Frisch, jung, eigenständig und manchmal etwas provokativ. „Wir denken, dass wir ein interessantes Sammler- und Kuratorenpublikum auf die „Paris Internationale“ locken konnten“, bestätigt der Zürcher Galerist Gregor Staiger, einer der Mitbegründer der Messe. Er präsentierte durchlöcherte, bemalte Tierhäute der gefragten Deutschen Raphaela Vogel an seinem Stand.
Wer es nicht auf die FIAC geschafft hat, hat noch bis Ende Oktober Gelegenheit, die Außenskulpturen innerhalb des „Hors les Murs“-Programms im Jardin des Tuileries anzuschauen. Gigantische Werke von Franz West, Robert Indiana, Alicja Kwade, Richard Long oder Thomas Schütte sind als Satelliten der Messe auf die Gärten und Wasserspiele verteilt. Mit besonderer Genehmigung des Louvre-Präsidenten Jean-Luc Martinez wird die hoch aufragende Skulptur „Janey Waney“ von Alexander Calder sogar noch bis zum Herbst 2019 stehenbleiben.
Während die 46. und 47. Ausgabe der FIAC in den nächsten beiden Jahren wiederum im Grand Palais veranstaltet werden, muss die Messe in den Jahren 2021 und 2022 wegen dringender Renovierungsarbeiten des für die Weltausstellung 1900 errichteten Glaspalastes umziehen. Ein neuer Ort ist auch schon gefunden: Auf dem Champ de Mars im 7. Arrondissement unweit des Eiffelturms soll eine spektakuläre, temporäre Architektur für die FIAC errichtet werden. In Zukunft gibt es dann also auch in Paris ein bisschen Frieze-Feeling.
Auf einen Blick:
Messe: FIAC (Foire Internationale d’Art Contemporain)
Ort: Grand Palais, Paris
Zeit: 18.-21.10.2018
Katalog: 70 Euro (inklusive Ticket-Preis)
Internet: www.fiac.com
Nächster Termin: 17.-20.10.2019