Weniger Galerien, mehr Qualität: Die 20. Ausgabe der Art Rotterdam endete am Sonntagabend mit 28.000 Besuchern. Messedirektor Fons Hof zieht eine positive Bilanz – und reflektiert die Veränderungen auf dem Kunstmarkt
Ein großes gelbes, im Dunkeln leuchtendes „M“ steht in Rotterdam für eine Metrostation. Dass eine solche allerdings auch direkt vor dem Haupteingang der Van Nellefabriek, dem Venue der Kunstmesse Art Rotterdam, existiert, stellte für die Besucher der Vernissage am vergangenen Mittwochabend eine Überraschung dar. Sie waren wie immer mit Privatwagen, Bussen, Taxis oder – ganz landestypisch – mit dem Fahrrad gekommen, denn die Van Nellefabriek liegt an der Peripherie der Stadt.
War die schnelle Rückfahrt mit der U-Bahn ins Zentrum also gesichert? Keineswegs, denn bei der täuschend echt wirkenden „Metrostation Van Nellefabriek“ handelte es sich um eine Mixed-Media-Installation des 1996 geborenen niederländischen Künstlers Willem de Haan. Seine humorvolle Intervention spielt mit der absurden Vision einer universellen Vernetzung in der Realwelt. Was in der virtuellen Welt des Internets problemlos möglich ist, stößt im wirklichen Leben allerdings auf unzählige Hindernisse. Und seien es nur die vielen Wasserflächen und Kanäle, die es zu untertunneln gälte, wollte man tatsächlich eine U-Bahn bis hier draußen bauen. Ob de Haan sich wohl von Martin Kippenbergers ebenfalls aus Fakes bestehendem, weltumspannenden „Metro-Net“ hat inspirieren lassen? Womöglich nicht. Als Kippenberger 1997 starb, war dieser Jungkünstler gerade mal ein Jahr alt – und manche Ideen liegen wohl einfach in der Luft.
Die Art Rotterdam jedenfalls feierte mit der aktuellen Ausgabe ihren 20. Geburtstag. Dieses Jubiläum beging die wichtigste niederländische Kunstmesse jedoch keineswegs nur im Partyrausch sondern – ganz im Gegenteil – mit einer Reihe von Konsolidierungsmaßnahmen. Lag im letzten Jahr die Zahl der teilnehmenden Galerien noch bei 130, so wurde diese jetzt auf 90 reduziert. Das beheizbare Zelt, das 2018 als zusätzliche Ausstellungsfläche errichtet worden war, hatte sich dann doch als Kostenfalle erwiesen. Messedirektor Fons Hof: „Die Art Rotterdam ist in diesem Jahr kompakter und intimer. Die Reduzierung der Galerien ist nicht nur eine konzeptuelle Entscheidung, denn die Nebenräume der Van Nellefabriek stehen nicht mehr zur Verfügung, da diese vermietet und umgebaut werden. Die Zeltlösung vom letzten Jahr war dann doch zu unattraktiv.“
Die neue, alte Übersichtlichkeit tut jedoch der Messe erstaunlich gut. In der den marktstärkeren Galerien vorbehaltenen „Main Section“ ist es insgesamt luftiger geworden, was gerade größere Werke gut zur Geltung kommen lässt. In der „New Art Section“ hingegen, die Nachwuchskünstlern unter 35 Jahren vorbehalten ist, arbeiten die Rotterdamer mit einer offenen Kojenarchitektur voller Durch- und Übergänge, die eher zum flanierenden Bummeln als zum systematischen Abschreiten und Abhaken einlädt. 3.500 Euro zahlen die Galerien hier für einen Stand. Ein fairer Preis, der die Messeteilnahme auch für kleine und mittelständische Galerien erschwinglich macht.
Rosario Caltabiano, der Inhaber der 2010 gegründeten Pariser Galerie 22,48 m2, präsentiert hier überwiegend kleinteilige Arbeiten des vierköpfigen Pariser Künstlerkollektivs Salut c’est Cool. In erster Linie sind die ausschließlich männlichen Mitglieder als Elektro-Punk-Band unterwegs. Doch mittlerweile produzieren sie auch Kunstobjekte zum Anfassen und Kaufen. Aus farbiger Modelliermasse haben die Franzosen zahllose Alltagsgegenstände auf recht nonchalante Art und Weise nachgeformt: Fernbedienungen, Bohrmaschinen, Autoschlüssel, Illustrierte, Nägel, Schrauben, einen Feuerlöscher, vor allem aber kleine Snacks und Knabbereien, wie sie in Frankreich gerne zum Aperitif gereicht werden. Ein riesiges Canapé in Form eines angeschnittenen Camemberts dient derweil als bequeme Sitzgelegenheit, um auch die Videos des Quartetts zu betrachten. Die die Fallhöhe zwischen E- und U-Kultur, Infantilität und Konsumkritik mutig auslotenden Werke wurden zu Preisen zwischen 300 und 7.000 Euro angeboten.
Wesentlich konzeptueller und minimalistischer ist hingegen die künstlerische Strategie des in Berlin lebenden Japaners Takahiro Kudo, Jahrgang 1984. Am Stand der Archiraar Gallery aus Brüssel waren etliche Arbeiten aus seiner Blinker-Serie im Angebot. Im Englischen bedeutet „to blinker“ „die Scheuklappen anlegen“. In komplett weiß gehaltenen Rahmen präsentiert Kudo Tageszeitungen hinter Passepartout-Kartons, deren kleine, rechteckig oder rund zugeschnittene Öffnungen gerade einmal einzelne Wörter, Satzfragmente oder Gesichter freilegen. Ein ebenso prosaisches wie bedeutungsgeladenes Beispiel: „Untitled (Lovers)“ aus dem Jahr 2018 legt lediglich die Worte „You“ und „#MeToo“ frei, die innerhalb des großformatigen Rahmens auch noch denkbar weit voneinander entfernt sind. Die hintersinnig-poetischen Arbeiten kosten zwischen 1.500 und 1.800 Euro.
Die aus Köln angereiste Philipp von Rosen Galerie zeigte Werke des 1985 geborenen Tomma-Abts-Schülers Jonas Maas. Maas befragt die Möglichkeiten des Mediums Malerei, indem er seine abstrakten Kompositionen zunächst mit einem Bildbearbeitungsprogramm am Computer entwirft und dann auf Holz- oder Aluminiumoberflächen drucken lässt. Rasterpunkte, strenge oder auch verspielte geometrische Formen und monochrome Flächen treffen dann zuweilen doch wieder auf „echte“ Pinselspuren, so dass Jonas Maas’ Bilder zu raffinierten Reflexionen über den Status der Malerei im digitalen Zeitalter werden (Preise zwischen 3.200 und 11.000 Euro (für ein ganzes Ensemble)).
Die Amsterdamer Galerie Martin van Zomeren hatte Arbeiten der 1979 geborenen niederländischen Künstlerin Katja Mater mit nach Rotterdam gebracht. Raum, Zeit, das Erzeugen von Wahrnehmungsverschiebungen durch Spiegelungen, Drehungen und Überlagerungen der Ausgangsmotive kennzeichnen Maters Methode. Dabei verwendet sie eigene Zeichnungen und Gemälde ebenso als Ausgangsmaterial wie etwa gefundene Tarotkarten. Mittelgroße Arbeiten sind in der Galerie zu Preisen zwischen 4.000 und 4.500 Euro (Auflage 5) erhältlich. Für ihr mutiges experimentelles Vorstoßen in die Grenzbereiche des optisch Darstellbaren erhielt Katja Mater am Vernissage-Abend der Art Rotterdam den mit 10.000 Euro dotierten Art Award 2019 der Versicherungsgesellschaft NN Group.
Am Stand der Amsterdamer Galerie Ron Mandos waren unter anderem Arbeiten des in London lebenden, deutsch-französischen Künstlerkollektivs Troika zu sehen. Es handelt sich um an die Wand gelehnte Plexiglaskörper, in deren Inneren sich hauchdünne Fotofolien mit Farbverläufen befinden, die je nach Lichteinfall und Position des Betrachters unterschiedlich wahrgenommen werden. (Preise zwischen 10.000 und 20.000 Euro). Arbeiten des Trios sind zur Zeit auch in der großformatigen Installation „Borrowed Light“ im Londoner „The Barbican“ zu sehen.
„Ich denke, die diesjährige Ausgabe der Art Rotterdam ist lebhafter und gleichzeitig konzentrierter“, sagt Ron Mandos, der regelmäßig an der niederländischen Messe teilnimmt. „Ich habe eine bessere Qualität in der Auswahl der Galerien und der Werke festgestellt.“
Wie in jedem Jahr war ein Teil der Messehalle für die auf Videoarbeiten reservierte Sektion „Projections“ reserviert. Neben etablierten Vertretern des Medien wie Johan Grimonprez und Michel Auder waren auch Arbeiten jüngerer Künstler zu sehen. So zeigte die Brüsseler Galerie Montoro12 die Videoarbeit „Nation Estate“ der dänisch-palästinensischen Künstlerin Larissa Sansour, Jahrgang 1973, aus dem Jahr 2014. In ihrer von Science Fiction-Filmen inspirierten Vision hat sich die gesamte palästinensische Nation in einen luxuriösen Wolkenkratzer zurückgezogen, der in vertikaler Anordnung den Felsendom, Sushi-Restaurants und weitere Attraktionen beherbergt. Larissa Sansour wird Dänemark auf der kommenden Venedig-Biennale vertreten. Am Stand der Galerie Montoro12 wurden C-Prints zum Video in 3er Auflage für 9.500-10.500 Euro angeboten.
Eine weitere Entdeckung bei den „Projections“ stellte das Video „Burried House (Dallas)“ aus dem Jahr 2013 der spanischen Künstlerin Lara Almarcegui, Jahrgang 1972, dar. Der siebenminütige Loop zeigt den Abriss eines Holzschuppens mit Hilfe eines Baggers. Im Anschluss daran werden die Trümmer des Häuschens mit Erde bedeckt. Der Schuppen findet quasi an der Stelle seine letzte Ruhestätte, wo er zuvor gestanden hat. Lara Almarcegui wird von der Amsterdamer Galerie Ellen de Bruijne Projects vertreten.
Als Geburtstagsgeschenk an die Messe hat der Sponsor AkzoNobel die Sonderausstellung „Now/Forever“ mit 20 größeren Werken von 20 Künstlern der teilnehmenden Galerien zusammengestellt. Kuratorin Hester Alberdingk Thijm, die Direktorin der AkzoNobel Art Foundation hat die Ausstellung als Vorschlag konzipiert, wie eine fiktive Unternehmenssammlung aussehen könnte. Die podestartige Plattform für diese Präsentation wurde von dem Architekten Tom Postma entworfen, der auch für die Architektur der TEFAF in Maastricht verantwortlich ist.
Fons Hof, der langjährige Direktor der Art Rotterdam, hat sich ein paar grundsätzliche Gedanken zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Kunstmarkt gemacht. Im ausführlichen Interview mit der Zeitung NRC Handelsblad sagte er: „Der Markt verändert sich. Der Connaisseur-Sammler wird zum Auslaufmodell. Im Kommen ist der Gelegenheitskäufer. Die jüngere Generation verbringt ihre Zeit mit allen möglichen Aktivitäten. Kunst zu kaufen ist nur ein Teil davon.“
Zu den Veränderungen im Galerienbetrieb äußert sich Fons Hof folgendermaßen: „Weltweit sieht man, dass kleine und mittelgroße Galerien es schwer haben. Gleichzeitig werden im höchsten Segment immer wieder neue Rekordpreise erzielt. Doch das ist nur ein sehr kleiner Teil der Kunstwelt.“
In Panik bricht er jedoch nicht aus. Gefragt, ob er ein Abwandern des Kunstmarkts ins Internet befürchtet, antwortet Fons Hof dem NRC Handelsblad: „Daran glaube ich nicht. Den Kunstmarkt kann man nicht mit Spotify oder Youtube vergleichen. Vielmehr vielleicht mit dem Restaurantwesen. Es geht um das Gesamterlebnis, darum, das Kunstwerk physisch zu erleben, aber auch um die Gespräche mit den Galeristen, mit den Künstlern und mit anderen Besuchern.“
Dennoch will Fons Hof auch die Zufallskäufer bedienen. „Die Gewinnformel ist eine Kombination von Online- und Offlineaktivitäten“, sagt er. „Online sollen die Menschen sich orientieren, offline soll dann die endgültige Kaufentscheidung stattfinden. Deshalb haben wir vor vier Monaten die Website galleryviewer.com ins Leben gerufen, auf der auch der Online-Katalog der Art Rotterdam eingesehen werden kann. Diese Website wird von ungefähr 10.000 Besuchern im Monat besucht.“
Am Sonntagabend ist die Messe zu Ende gegangen. 28.000 Besucher kamen diesmal in die Van Nellefabriek, das waren 2.000 mehr als im Vorjahr. Eingebettet war die Messe auch in diesem Jahr in die Art Rotterdam Week, zu deren Highlights sicherlich die gut besuchte Eröffnung der Ausstellung „Trouble in Paradise“ in der Kunsthal Rotterdam mit Werken aus der Sammlung Rattan Chadha gehörte. Der in Indien geborene niederländische Geschäftsmann ist der Gründer des Modeunternehmens Mexx und der Hotelkette Citizen M. Seine umfangreiche Sammlung umfasst, frei nach dem Motto „Sex and Drugs and Rock ‘n‘ Roll“, teils schrille Arbeiten von Künstlern wie Candice Breitz, Marc Bijl, Thomas Hirschhorn, Marlene Dumas, Rita Ackermann, Gilbert & George und vielen anderen.
Mit etwas Wehmut wurde dann die Ausstellung „nederlands – bauhaus. pioneers of a new world“ im Museum Boijmans van Beuningen eröffnet. Annähernd 800 Objekte von internationalen Bauhaus-Künstlern wie Paul Klee, László Moholy-Nagy oder Oskar Schlemmer werden hier mit Werken niederländischer Bauhaus-Vertreter konfrontiert, darunter Arbeiten von Mart Stam, Paul Citroen, Piet Zwart oder Lotte Stam-Beese. Für das Museum Boijmans van Beuningen ist dies die letzte Ausstellung vor der umfangreichen Sanierung und der damit verbundenen Schließung für voraussichtlich sieben Jahre. Bleibt zu hoffen, dass diese Zeit ausreicht. Erfahrungen mit derart aufwändigen Renovierungsprojekten hat ja bereits die Nachbarstadt Amsterdam gesammelt. Sanierung und Umbau des Rijksmuseums und des Stedelijk Museums haben damals sowohl die Zeitpläne als auch die Budgets kräftig überschritten.
Doch für die Rotterdamer gibt es einen Trost. Gleich neben dem Museum wird vom Rotterdamer Architekturbüro MVRDV zur Zeit das öffentlich zugängliche Boijmans Art Depot errichtet. Das an eine verspiegelte Salatschüssel erinnernde, spektakuläre Gebäude wird einen Skulpturengarten auf dem Dach beherbergen. 90% der Sammlung werden für die Öffentlichkeit sichtbar sein. Transparenz ist hier Trumpf. Besucher werden so zum Beispiel auch die Restauratoren bei der Arbeit beobachten können. Das Baubudget beträgt 28,5 Millionen Euro. Die Eröffnung ist bereits für 2021 geplant. Von dem Gebäude dürften ähnliche Impulse ausgehen wie bereits von der ebenfalls von MVRDV geplanten Rotterdamer Markthalle, die 2014 fertiggestellt wurde und jährlich zwischen 4,5 und 7 Millionen Besucher verzeichnet, darunter Architekturfans aus der ganzen Welt. Rotterdam bleibt also in Bewegung.
Auf einen Blick:
Messe: 20. Art Rotterdam – The Fair to Discover Young Art
Ort: Van Nellefabriek, Van Nelleweg 1, 3044BC Rotterdam
Zeit: 7.–10. Februar 2019
Online-Katalog: galleryviewer.com
Internet: www.artrotterdam.com
Nächster Termin: 6.-9. Februar 2020