Der 1997 verstorbene KP Brehmer gilt als zentraler Vertreter des Kapitalistischen Realismus, so nennt man die politisch aufgeladene deutsche Variante der Pop Art. Die Hamburger Kunsthalle widmet dem selbsternannten „Kleptomanen“ jetzt eine große Retrospektive
Im Kreis der Vertreter des sogenannten „Kapitalistischen Realismus“ um Wolf Vostell, Sigmar Polke, Konrad Lueg und Gerhard Richter, die in den 1960er und 1970er Jahren die kapitalistische Bilderwelt mit ihren konsum- und gesellschaftskritischen Bildproduktionen aufs Korn nahmen, nahm er stets eine Sonderrolle ein. Die Rede ist von KP Brehmer, der 1938 als Klaus Peter Brehmer in Berlin geboren wurde und sich 1967 in politisch bewegten Zeiten das Künstler-Pseudonym KP Brehmer zulegte. Sicherlich auch in Anspielung auf die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Politische Kunst hat der in Düsseldorf und Krefeld als Reproduktionstechniker und freier Grafiker ausgebildete KP Brehmer, der von 1971 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1997 an der Hochschule für Bildende Künste (HFBK) in Hamburg lehrte, eigentlich immer gemacht.
„KP Brehmer war von dem Gedanken geprägt, wie man reale Prozesse in ästhetische Bilder umsetzt“, sagt Petra Roettig, Kuratorin der Ausstellung „KP Brehmer. Korrektur der Nationalfarben“ in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Die Schau versammelt rund 200 Arbeiten aus den Medien Druckgrafik, Malerei, Film, Collage und Display. Die titelgebende Arbeit „Korrektur der Nationalfarben“ ist gleich mehrfach zu sehen. Einmal in Form von drei reproduzierten Fahnen im öffentlichen Raum, die prominent an den Fahnenmasten vor der Kunsthalle im Wind wehen, und einmal als Original.
Die im Oktogon-Raum im Sockelgeschoss herabhängende Stofffahne in den Farben der deutschen Nationalflagge, bringt die verblüffend entlarvende Bildsprache KP Brehmers prägnant auf den Punkt. Die Dicke der Streifen wurde von Brehmer variiert oder, wie es der Titel nahelegt, „korrigiert“. Ein massiver goldgelber Block bildet den Besitzanteil des Großkapitals ab, ein schmaler schwarzer Streifen repräsentiert die Mittelschicht und der kaum mehr wahrnehmbare schmale rote Strich das Vermögen aller restlichen Haushalte. Das mitunter plakative Übersetzen von Statistiken in künstlerische Arbeiten kennzeichnet das Werk KP Brehmers, dessen ästhetische Methodik man immer vor dem Hintergrund betrachten muss, dass er sich in erster Linie als Grafiker verstand. Nach einem Paris-Aufenthalt erwarb er eine Druckerpresse, auf der er mit verschiedenen Drucktechniken experimentierte. „Seine Ideen kamen immer aus dem Druckprozess heraus“, erläutert Petra Roettig.
Wie kann man die Diagnose gesellschaftlicher Verhältnisse in Kunst übersetzen? Brehmers vielfältige Transformationsprozesse von vorgefundenen Materialien aus Werbung, Medien oder Statistiken mittels Montage- und Rastertechniken, Größenverschiebungen und Einfärbungen produzieren erhellende Wiedererkennbarkeiten, wo vorher keine waren. Was KP Brehmer zudem auszeichnete, war aber auch seine große Sensibilität für Sprache. Diese lässt sich besonders in seiner sprachlichen und bildlichen Verwendung bestimmter Farbtöne ablesen. So etwa in der Werkreihe „Ideale Landschaft“, in der er sich mit biedermeierlichen und kleinbürgerlichen Traditionen der deutschen Landschaftsdarstellung auseinandersetzt.
So spielt er mit stark konnotierten und emotional aufgeladenen Begriffen wie „Tannengrün“ oder „Azurblau“, die beim Betrachter Assoziationen von Ideallandschaften oder Seelenzuständen auslösen. „Es war ihm ein großes Anliegen, das Publikum vielleicht nicht zu erziehen, das wäre ihm sicherlich zu didaktisch gewesen. Aber es ging ihm darum, seine Betrachter zum genaueren Hinsehen zu bewegen“, erläutert Petra Roettig. Dennoch kommt man nicht umhin, manche von KP Brehmers Arbeiten heute als ein wenig oberlehrerhaft zu empfinden, etwa dann, wenn er auf einem Gemälde von 1967 das Rot auf einer amerikanischen Briefmarke als „bloodred“ brandmarkt.
Besonders sehenswert dagegen sind die Arbeiten im ersten, dem visuell stärksten Raum der Ausstellung. Mitte der 1960er Jahre entwickelte KP Brehmer seine an der amerikanischen Pop Art geschulte „Aktionsgrafik“ mit einem offenen und kritischen, durchaus aber auch humorvollen Blick auf die Welt des Konsums, der Werbung und der Massenmedien. Postkarten, Warendisplays, Aufsteller und eine ganze Sammlung fiktiver und echter, überdimensionaler Briefmarken spielen mit den widersprüchlichen Klischees der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die teils stark politisiert war, andererseits aber auch von einem hedonistischen Lebensgefühl geprägt. Vitrinen mit Zeitungsausschnitten und Statistiken aus dem Nachlass des Künstlers geben einen Überblick über das Quellenmaterial KP Brehmers, der stets um eine demokratische Verbreitung von erschwinglichen Arbeiten und Multiples bemüht war und den aufgeblasenen Kunstmarkt kritisch beäugte. Stark gefördert durch den einflussreichen Galeristen René Block, der ihn seit den 1960er Jahren in Berlin, New York und anderswo ausstellte, ist KP Brehmer ein Künstler, der von Kollegen, Weggefährten und seinen Studierenden hochgeschätzt wird, aber beim breiteren Publikum immer noch als Insider-Tipp gilt.
Das könnte sich mit der Hamburger Schau nun ändern. Viele Werke stammen übrigens aus der Kunsthalle selbst, die bereits sehr früh Werkgruppen von KP Brehmer für ihre Sammlung erwarb. Der Großteil der Arbeiten ist jedoch aus dem Nachlass, der vom Sohn des Künstlers, Sebastian Brehmer, akribisch betreut wird.
„KP Brehmer hinterließ ein komplexes Werk, das gekennzeichnet war durch ein ständiges Nachdenken über Formen von Kunst“, resümiert Petra Roettig. Der Künstler, der sich selbst einmal als „ideologischen Kleptomanen“ bezeichnete, formulierte sein artistisches Credo folgendermaßen: „Ich versuche, die Dinge möglichst objektiv zu machen und mich selbst rauszuhalten.“ Randnotiz: Einer der Hauptsponsoren dieser im Kern kapitalismuskritischen Ausstellung ist ironischerweise die Deutsche Bank, die auch etliche Werke des Künstlers besitzt.
Auf einen Blick:
Ausstellung: KP Brehmer – Korrektur der Nationalfarben
Ort: Hamburger Kunsthalle – Galerie der Gegenwart
Zeit: 29. März bis 23. Juni 2019. Di-Fr 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
Katalog: Koenig Books London, 232 S., ca. 200 Abb., 29 Euro (Museum), 29,80 Euro (Buchhandel)
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de
Weitere Stationen der Ausstellung: Gemeentemuseum, Den Haag und Arter, Istanbul