Die Entdeckermesse Art Rotterdam ist vergangene Woche zu Ende gegangen. Einige Neuerungen sorgten für ein Facelift und guten Publikumszuspruch
Am Sonntag, 9. Februar ist die 21. Ausgabe der Art Rotterdam zu Ende gegangen. Die Veranstalter zählten 27.500 Besucher und blieben damit nur geringfügig unter der Rekordmarke von 28.500 Besuchern im vergangenen Jahr. Die Kunstmesse, eingebettet in die Rotterdam Art Week, nennt sich im Untertitel „The Fair to Discovery Young Art“ und positioniert sich einmal mehr mit ihrer Mischung aus junger Kunst zu Einsteigerpreisen und einem Fokus auf niederländische Galerien sowie einigen Händlern aus anderen europäischen Ländern. Mit 225 Euro pro Quadratmeter ist der Kojenpreis auf der Art Rotterdam vergleichsweise günstig. Exakt 100 Galerien waren nach Rotterdam gereist, um in der historischen Van Nellefabriek etwas außerhalb des Stadtzentrums Kunst von etablierten Stars der internationalen Kunstszene, darunter etwa Documenta-Teilnehmer Guillaume Bijl, bis hin zu ganz jungen Akademie-Absolventen zu präsentieren. Allein 67 Nachwuchskünstler wurden in der kuratierten und eher unkonventionellen Sektion „Prospects & Concepts“ gezeigt.
Die Besucher der Art Rotterdam kamen überwiegend aus den Benelux-Ländern sowie aus dem nahen Nordrhein-Westfalen. Die seit vielen Jahren kontinuierlich von Fons Hof, dem Direktor und Eigentümer der Art Rotterdam, verantworte Messe hält auch für gut vernetzte Kunstprofis noch Überraschungen bereit. Meike Behm, Direktorin der Kunsthalle Lingen und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV), findet: „Die Art Rotterdam bietet für Kuratoren und Leiter von Museen und Institutionen eine gute Möglichkeit, Künstlerinnen und Künstler zu entdecken, da viele Galerien Einzelpositionen zeigen.“
So präsentierte die Wiener Galerie Koenig2 die Multi-Media-Installation „Don’t be Maybe“ des 1982 in München geborenen Künstlers Felix Burger. Vor wandfüllenden Spiegelwänden war eine Art Fitnessstudio mit kopflosen Puppen aufgebaut, die von modifizierten Sexmaschinen angetrieben wurden. Körperoptimierung, Schönheitswahn und gesellschaftliche Zwänge werden von Felix Burger kritisch und ironisch hinterfragt. Die Gesamtinstallation wurde für 40.000 Euro angeboten, Videoarbeiten in Dreierauflage kosten 3.500 Euro, Siebdrucke mit Kampfmotiven sind für 2.000 Euro (Auflage: 3) erhältlich.
Die Amsterdamer Galerie Hero hatte Fotografien von Oliver Chanarin (Jahrgang 1971) im Angebot. Es ist die erste Soloarbeit des Londoner Fotografen, der auch Teil des Künstlerduos Broomberg & Chanarin ist, welches seit Herbst 2016 an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg eine Professur für Fotografie bekleidet. Grundlage für Oliver Chanarins Farbfotografien sind Aufnahmen aus den sozialen Netzwerken. Chanarin hat zu einzelnen Personen, die sich exponiert im Internet präsentiert hatten, Kontakt aufgenommen und die im Netz existierenden Fotos auf seine Weise neu interpretiert. Die Unikate aus der Serie „The Apparatus“ kosten je 4.000 Euro.
Eine weitere Entdeckung auf der Art Rotterdam stellte der walisische Konzeptkünstler S Mark Gubb, Jahrgang 1974, dar. Am Stand der Londoner Galerie Division of Labour in der Solo Section war als Eyecatcher eine großformatige Fotografie zu sehen, die das Bronzedenkmal eines Minenarbeiters in der Innenstadt von Cardiff zeigt. S Mark Gubb hat dem „Working Class Hero“ den Kopf der Medusa als Gouachezeichung hinzugefügt und der bearbeiteten Fotografie den Titel „From Enslavement to Obliteration“ gegeben. Das Unikat war für 6.000 Euro im Angebot. Eine weitere Arbeit von S Mark Gubb mit dem Titel „The Only thing that Matters is the Everlasting Present“ zeigt einen Filmstill aus dem Science Fiction-Filmklassiker „Fahrenheit 451“ aus dem Jahr 1966. Darauf zu sehen ist das für den Film zentrale Buch „The Moon and Sixpence“ von William Somerset Maugham aus dem Penguin Verlag. Der Künstler hat sich davon ein Exemplar besorgt, dieses verbrannt und mit der Asche wiederum das Motiv auf Papier gedruckt. Auch diese prozesshafte Arbeit mit Unikatcharakter war für 6.000 Euro zu haben.
Die Leipziger Galerie ASPN zeigte abstrakte Gemälde des Leipziger Künstlers Benedikt Leonhardt, Jahrgang 1984. Der junge Maler hat bei Astrid Klein an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert und im Jahr 2017 den renommierten Preis der Leipziger Volkszeitung erhalten. Benedikt Leonhardt ist außerdem zur Zeit in der Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ zu sehen, die einen Überblick über aktuelle Nachwuchsmalerei in Deutschland liefert und letzte Woche als zweite Station in den Hamburger Deichtorhallen startete. Seine vielschichtigen Gemälde basieren auf kleinen Details oder Farbstimmungen, die der Künstler digitalen Bildern entnimmt. Diese werden aber so weit verfremdet, dass sie nur noch als ungegenständliche Spur in den fertigen Arbeiten aufscheinen. Kleinere Formate von Benedikt Leonhardt waren bereits für 3.600 Euro im Angebot, Großformate kosteten 11.700 Euro.
In der Sektion für Film und Videokunst, die seit dieser Ausgabe der Art Rotterdam in „citizenM Projections“ umbenannt wurde, war in einer abgedunkelten Halle eine Auswahl von 16 aktuellen Kunstfilmen und Videoarbeiten zu sehen. Herausragend war hier die eher konzeptuelle und zurückgenommene Arbeit „Walking and Talking“ (2018/2019) des aus Marokko stammenden Künstlers Hamza Halloubi. Der Filmemacher wurde 1982 in Tanger geboren und hat in Gent und Brüssel studiert. Er thematisiert in seinem sprachbasierten Video auf sehr sinnliche Art und Weise die Hürden, die außereuropäische Künstler häufig nehmen müssen, um zwischen den Alten Meistern in westlichen Museen Präsenz zu zeigen. Außerdem auf großes Interesse stieß die 1978 geborene niederländische Künstlerin Melanie Bonajo mit ihrem Video „TouchMeTell“ von 2020. Sie stellt Kindern im Kita- und Grundschulalter Fragen zur Liebe, zur Sexualität und zu anderen „Erwachsenen“-Themen und produziert auf diese Weise Bilder mit Auftritten ungehemmt und theatralisch antwortender Kinder von entwaffnender Offenheit und Unverklemmtheit.
Messedirektor Fons Hof zieht eine positive Bilanz: „Insbesondere die runderneute Sektion „citizenM Projections“ wurde von den Besuchern sehr gut angenommen und hatte auch gute Verkaufsresultate. So erwarb citizenM das Video „Stripes3“ des französischen Bruderpaars Quist Rebert bei der Upstream Gallery, das Centraal Museum Utrecht erwarb gemeinsam mit dem Frans Hals Museum in Haarlem die Videoarbeit „Qu’un sang impur“ von Pauline Curnier Jardin bei der Galerie Ellen de Bruijne, und die Galerie Ron Mandos konnte eine Videoarbeit von Hans Op de Beeck und eine Lichtbox von Geer Mul an das Kröller Müller Museum verkaufen.“
Neu in diesem Jahr war „The Performance Show“, ein von der Kuratorin Zippora Elders zusammengestelltes Performance-Programm auf dem Gelände „AVL Mondo“ Atelier Van Lieshout. Shuttlebusse brachten das Publikum zu diesem auf dem Weg von der Van Nellefabriek zum Stadtzentrum gelegenen Kunstort mit alternativem Flair. Ein gut besuchtes Highlight war hier eine mehrmals aufgeführte Performance des südafrikanisch-belgischen Künstlers Kendell Geers, der seit dem Jahr 2000 in Brüssel lebt und von der Galerie Ron Mandos vertreten wird.
In Rotterdam wird mit Spannung die Eröffnung des neuen Schaudepots des zur Zeit wegen Renovierung geschlossenen Museums Boijmans Van Beuningen erwartet. Wenn der spektakuläre Bau der Rotterdamer Stararchitekten MVRDV denn im nächsten Jahr eröffnet sein wird, dürfte die Rotterdam Art Week noch um eine Attraktion reicher sein.
Messe: Art Rotterdam. The Fair To Discover Young Art
Ort: Rotterdam, Van Nellefabriek
Zeit 5.-8. Februar 2020, nächster Termin: Februar 2021
Katalog: www.galleryviewer.com
Internet: www.artrotterdam.com