Die Wegwerfgesellschaft im Spiegel der Kunst: Die ebenso nachdenklich stimmende wie bildgewaltige Ausstellung „Territories of Waste“ im Museum Tinguely in Basel ist absolut sehenswert. Dennoch macht sie wenig Hoffnung auf eine vom Abfall befreite Welt
Es ist so einfach: Wir öffnen eine Getränkedose, drücken Zahnpasta aus der Tube oder kaufen uns aus einem spontanen Impuls heraus Kleidungsstücke, die wir dann doch so gut wie nie tragen. Früher oder später landen diese Dinge auf dem Müll. Aus den Augen, aus dem Sinn. Es gibt ja für alles die passende Tonne!
Dass sich Künstler:innen bereits seit den 1960er Jahren mit der Problematik der Abfallbeseitigung beschäftigt haben, zeigt jetzt die 27 Positionen umfassende Gruppenausstellung „Territories of Waste – Über die Wiederkehr des Verdrängten“ im Museum Tinguely in Basel. Sandra Beate Reimann, die Kuratorin der Ausstellung, versammelt sowohl historische als auch ganz aktuelle, teilweise eigens für die Schau produzierte Arbeiten zu dem Thema. Statt der im Deutschen üblichen Bezeichnungen „Müll“ oder „Abfall“ wählte sie bewusst den weitaus weiter gefassten englischen Begriff „Waste“. Dieser umfasst nämlich nicht nur die mit dem bloßen Auge wahrnehmbaren Überbleibsel unserer Konsumgesellschaft, sondern auch die weitgehend unsichtbaren in Form von Feinstaub, Mikroplastik, Radioaktivität oder Schwermetallablagerungen in Pflanzen, Tieren und Menschen.
Darüberhinaus stellt die Schau auch kritische Fragen nach dem Abbau von Rohstoffen. Was bleibt eigentlich zurück, wenn die Fundstätten Seltener Erden oder wertvoller Metalle entgültig entleert und ausgebeutet sind? Die Videoarbeit „Remains of the Green Hill“ zeigt die in Belgien lebende nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga bei der Begehung einer brutal ins Erdreich getriebenen afrikanischen Mine. Ihr Versuch, dem öden Krater seine Steine und damit seine Erinnerung zurückzugeben allerdings, muss zwangsläufig scheitern. Im rückwärts ablaufenden Video landen die auf dem Kopf der Künstlerin balancierten Brocken am Ende wieder genau dort – als unauslöschliche Erinnerungen an den grünen Hügel, der hier einmal war, aber niemals zurückkehren wird.
Einen anderen, nicht weniger bedrückenden Blick auf den Globalen Süden wirft die pakistanische Künstlerin Hira Nabi in ihrer Doku-Fiktion „All that perishes at the Edge of Land“ (2019). Gezeigt wird die kräftezehrende Zerlegung eines ausgedienten Containerschiffes durch ein Heer nahezu rechtloser Tagelöhner. Nabi lässt in einer Art fantastischem Realismus sowohl die realen Arbeiter zu Wort kommen, als auch die fiktive, weiblich besetzte Stimme des nach und nach in seine Einzelteile zerlegten Schiffes.
Eine Künstlerin, die sich ihre ganze Karriere über mit der sozialen Komponente der Müllbeseitigung und dem Alltag der daran beteiligten Arbeiter:innen beschäftigt hat, ist die New Yorkerin Mierle Laderman Ukeles (*1939). In der Basler Ausstellung sind gleich mehrere ihrer Arbeiten zu sehen. Im Rahmen ihres zwischen Performance und Konzeptkunst angesiedelten Projekts „Touch Sanitation“ (1979/80) etwa schüttelte sie innerhalb eines Jahres allen rund 8.500 Angestellten der New Yorker Abfallbetriebe die Hand und bedankte sich für ihre Mitarbeit. Zahlreiche Fotografien, mit Markierungen versehene Stadtpläne und Gesprächsprotokolle dokumentieren diese vom sozialen Engagement der Künstlerin angetriebene Arbeit, deren Ziel darin bestand, den gemeinhin Übersehenen eine Stimme zu verleihen. Durchaus humorvoll wird es dann, wenn Rotterdamer Müllmänner in einem Video der Künstlerin mit ihren Entsorgungsfahrzeugen Choreografien aufführen, die Mierle Laderman Ukeles eigens für sie entwickelt hat.
Und auch das zeigt die Schau: Der Kunst- und Ausstellungsbetrieb selbst wird sich zunehmend seines eigenen CO2-Fußabdrucks bewusst. Der Basler Künstler Eric Hattan hat mitten im Hauptraum der Schau einen beängstigend großen Haufen aus Sperrholz, Paletten, Latten, Folien etc. errichtet. Er besteht aus sämtlichen nichtorganischen Überbleibseln all der Museumsaustellungen, die seit Anfang 2022 im Museum Tinguely abgebaut wurden. Seine interaktive Arbeit „Jet d’OH“ im Park des Museums wiederum besteht aus einem gewöhnlichen Abfalleimer, der sich jedoch gelegentlich etwas widerspenstig anstellt, indem er den ihm anvertrauten Müll wieder ausspuckt.
Die alltägliche Umweltverschmutzung beispielsweise in Form illegal entsorgter Autoreifen oder Toilettensitze führt die polnische Künstlerin Diana Lelonek im Garten hinter dem Verwaltungsgebäude des Museums vor Augen. Eingestreut in die sattgrünen Blumen- und Kräuterbeete hat sie auf Basler Stadtbrachen gefundenen Zivilisationsmüll. Die Natur hat sich diesen jedoch in einem Akt des kreativen Widerstands bereits teilweise einverleibt, indem sie ihn mit Moosen und Gräsern überwuchert hat.
Die Schwarz-Weiß-Fotografie „Braunkohleabbaugebiet bei Leipzig“ (1990) von Barbara Klemm, der ehemaligen Redaktionsfotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wiederum erinnert daran, dass manche Wunden, die unsere turbokapitalistische, auf den Verbrauch fossiler Energien ausgerichtete Lebensweise in der Landschaft hinterlässt, wohl nie wieder verheilen werden.
Dass es unliebsame und, einem Bumerang gleich, immer wieder zurückkehrende Hinterlassenschaften längst auch im Informationszeitalter gibt, zeigt die in der Schweiz geborene Londoner Künstlerin Fabienne Hess, die sich als digitale Lumpensammlerin betätigt, in ihrer Serie „Corrupted Portraits“, indem sie dem Publikum in Form bedruckter Seidentücher anschaulich vor Augen führt, dass angeblich gelöschten oder mehrfach überschriebenen Bilddateien, immer noch jede Menge – im Zweifel heikle Informationen – entlockt werden können.
Wie es gehen könnte, zumindest den Plastikmüll wieder aus den Meeren herauszubekommen, zeigt die mit utopischem Potenzial daherkommende Arbeit „Ecosystem of Excess“ der türkisch-amerikanischen Architektin und Künstlerin Pinar Yoldaş, die als Vertreterin der „Speculative Biology“ gilt, einer Kunstpraxis, die Elemente des Bio-Engineering mit digitalen Technologien und bildhauerischen Methoden verbindet. In einem stark abgedunkelten Raum befinden sich etliche auf Säulen stehende Glaszylinder, in deren effektvoll ausgeleuchtetem Inneren, so suggeriert es die Arbeit, neu gezüchtete Verdauungsorgane leben, die gelernt haben, sich vom Plastikmüll zu ernähren und somit in der Lage sind, die Meere auf Dauer wieder davon zu befreien. Leider zu schön, um wahr zu sein.
Manchmal helfen einfach nur überbordende Fantasie und ein Schuss Lebensfreude, um dem Elend der zunehmenden Vermüllung etwas entgegenzusetzen. So lässt die indische Künstlerin Tejal Shah in ihrem Video „Landfill Dance“ eine queer-feministische Tänzerinnentruppe in futuristischen Kostümen über eine Müllhalde tanzen – und überführt so die dystopische Realität zumindest für ein paar Minuten in ihr Gegenteil.
Der Kuratorin Sandra Beate Reimann und dem Museum Tinguely ist mit „Territories of Waste“ eine facettenreiche, gut recherchierte, ebenso bildgewaltige wie aufrüttelnde Ausstellung zu einem der virulentesten Themenkomplexe unserer Zeit gelungen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Territories of Waste – Über die Wiederkehr des Verdrängten
Ort: Museum Tinguely, Basel
Zeit: bis 8. Januar 2023. Di-So 11-18 Uhr. Do 11-21 Uhr.
Katalog: Hrsg. Museum Tinguely, 110 S., zahlreiche Farbabb., 27 CHF
Eine PDF-Version des Katalogs wird als kostenloser Download auf der Website des Museums angeboten
Internet: www.tinguely.ch