Die Art Antwerp, die kleine Schwestermesse der Art Brussels, hat sich mit ihrer zweiten Ausgabe kräftig internationalisiert und dürfte sich in Zukunft zur festen Institution am Ende des Messejahres mausern – ganz fest steht das jedoch noch nicht
Warum nicht kurz vor Weihnachten noch eine Kunstmesse veranstalten? Die Art Antwerp wurde im letzten Jahr als eine Art Aufbruchssignal nach den langen Monaten des Covid-Lockdowns von den Macher:innen der Art Brussels gegründet. Die flämische Stadt mit ihren 40 Galerien, namhaften Museen, der florierenden Modeszene und einer etablierten Sammlerschaft schien dafür genau der richtige Ort zu sein. „Zeitgenössische Kunst hat hier nichts bourgeoises, sie ist vielmehr ein Lifestyle, an dem alle teilhaben“, konstatiert Nele Verhaeren, seit diesem Jahr Managing Director der Art Brussels und der Art Antwerp. Mit 68 Galerien, die Hälfte davon aus dem Ausland, kommt die 2. Art Antwerp als eine überschaubare Messe voller Wohlfühlfaktoren daher. Einen exklusiven VIP-Bereich gibt es hier erst gar nicht. Stattdessen geschmackvoll eingerichtete Relaxzonen mit Teppichen, gemütlichen Sitzmöbeln und exzellentem Essen für alle. „Wir bieten dasselbe Erlebnis wie auf einer großen Messe, aber auf einem kleineren Level“, sagt Verhaeren. „Dass wir klein sind, heißt nicht, dass wir nicht gut sind.“
Die Galerien können sich hier nicht bewerben. Sie kommen auf Einladung eines Zulassungskomitees auf die Messe. „Wir achten darauf, dass sie langjährige Beziehungen mit ihren Künstler:innen und Sammler:innen pflegen“, so Verhaeren. „Sie müssen zu unserer DNA passen.“ 279 Künstler:innen werden auf der Art Antwerp präsentiert. 30% davon sind unter 35 Jahre alt. Kunstwerke zu Preisen zwischen 600 und 180.000 Euro sind im Angebot. „Man kann also bereits für den Preis eines iPhones ein Kunstwerk erwerben“, so Nele Verhaeren.
So etwa bei der spanischen Galerie L21 mit Sitz in Palma de Mallorca. Für je 1.200 Euro gibt es hier mit Müslipartikeln, Marmelade und Kaffeeflecken verunreinigte Zeitungsausschnitte des Städelschülers Ian Waelder, Jahrgang 1993. Waelder, der 2023 bei Haegue Yang seinen Abschluss machen wird, nimmt die Geschichte seiner von den Nazis aus Deutschland vertriebenen jüdischen Familie als Ausgangspunkt seiner narrativ verschachtelten Arbeiten. Etwas tiefer in die Tasche greifen müssen Sammler:innen am Stand der aus Köln angereisten Galerie Ruttkowski;68. „Köln ist zwar kunsthistorisch geprägt, aber nicht so progressiv. Wir haben viele poppige Künstler. Die passen gut hierher.“ sagt Galerist Nils Müller. Eyecatcher am Stand ist eine aus alten Werbeschildern und neuen Neonelementen komponierte Skulptur des 1994 geborenen Franzosen Prosper Legault für 9.500 Euro. Aber auch ein mit Rennsport-Logos bedrucktes Latex-Diptychon des Belgiers Frédéric Platéus für 13.500 Euro stieß bereits am Vernissagetag auf großes Interesse.
Wesentlich höhere Preise werden dann bei der Tim Van Laere Gallery, einem der Antwerpener Platzhirsche, aufgerufen. Etliche farbige Stillleben und Landschaften des belgischen Starkünstlers Rinus Van de Velde, Jahrgang 1983, in Ölpastelltechnik zu Preisen bis zu 30.000 Euro waren bereits am Eröffnungstag restlos ausverkauft.
Außerdem am Stand: ein menschenleeres Landschaftsgemälde in warmtonigen Farben des ebenfalls zur Zeit stark gefragten Antwerpener Malers Ben Sledsens, Jahrgang 1991, das für 50.000 Euro bereits verkauft wurde.
Ins Auge fallend auch ein 1985 entstandenes Gemälde der 92-jährigen Inès van den Kieboom, das ein gekentertes Schiff im Hafenbecken zeigt. Die 1930 in Ostende geborene Malerin hat erst vor Kurzem begonnen, ihre Werke öffentlich zu präsentieren. Sie ist bis heute aktiv und wird zur Zeit auch im Rahmen der Gruppenausstellung „Let’s Go!“ in den Galerieräumen im Zentrum der Stadt gezeigt.
Mit Burster aus Charlottenburg ist lediglich eine Berliner Galerie an die Schelde gereist. Galerist Jan Ziegler freut sich über die Teilnahme: „Die Sammler hier haben fundierte Kenntnisse und halten die Kultur hoch“. Er zeigt unter anderen den in Neukölln lebenden Niederländer Bram Braam, Jahrgang 1980. Dieser nimmt mit Aufklebern und anderen Zivilisationsspuren versehene Fundstücke aus dem Stadtraum zum Ausgangspunkt seiner skulpturalen Arbeiten und Wandobjekte (zwischen 1.000 und 6.500 Euro).
Gleich mehrere Arbeiten des in Antwerpen beheimateten Malers Koen van den Broek hat der Kölner Galerist Philipp von Rosen mit auf die Messe gebracht. Ausgehend von eigenen Fotografien, beispielsweise von Straßen, Parkplätzen oder Baustellen, entstehen Gemälde in der Grauzone zwischen Figuration und Abstraktion. Im Zentrum seines malerischen Interesses, so Philipp von Rosen, stehe bei van den Broek stets die Frage der malerischen Repräsentation von Wirklichkeit (zwischen 30.000 und 37.000 Euro).
Philipp von Rosen nimmt bereits zum zweiten Mal an der Art Antwerp teil. Als rheinischer Galerist ist er natürlich am belgischen Markt interessiert. Dass er jedoch um Anerkennung bei der belgischen Klientel erst werben muss, ist ihm klar: „Für die belgischen Galerien ist es hier deutlich leichter als für die nichtbelgischen“, so von Rosen.
Am Gemeinschaftsstand der Galerien PLUS-ONE Gallery und Sofie Van de Velde können sich die Messebesucher:innen einen guten Überblick über ganz aktuelle Malerei belgischer Provenienz verschaffen. Eine Vielzahl kleinerer und größerer Formate ist hier im Angebot. Darunter etwa meisterhaft ausgeführte Trompe-l’œil-Malereien der Antwerpenerin Charline Tyberghein, Jahrgang 1993. Auch am Stand: kleinformatige Collagen und Gemälde der für Humor und Selbstironie bekannten, 1987 geborenen, ebenfalls in Antwerpen lebenden Nel Aerts (zwischen 2.500 und 4.500 Euro). Großformatiger dann das Ölgemälde „A feeling of dispossession“ des 1994 geborenen Antwerpener Malers Bendt Eyckermans. Das nahezu altmeisterlich in Öl ausgeführte enigmatische Gemälde zeigt eine frei vor einer Holztür schwebende Hand, die ein silbernes Ex-Voto-Herz präsentiert.
Auf wesentlich ältere belgische Künstler:innen ist die Maurice Verbaet Gallery aus Knokke spezialisiert. „Für uns ist es wichtig, vergessenen Künstlern eine Plattform zu bieten“ betont der Galerist, dessen Programm von der Nachkriegszeit bis in die frühen 2000er Jahre reicht. Ein eigenes kleines Kabinett innerhalb der großzügigen Koje hat er für Hugo Claus (1929 – 2008) eingerichtet. Der vornehmlich als Schriftsteller und Dramatiker bekannte Claus, den sein niederländischer Schriftstellerkollege Cees Nooteboom als einen „Solitär“ bezeichnete, hat sein bildnerisches Werk zu Lebzeiten vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Seine eher kleinformatigen Arbeiten auf Papier, darunter Gouachen, Collagen und Mixed-Media-Arbeiten, sind eindeutig von der Ästhetik der Künstlerbewegung CoBrA beeinflusst, weisen jedoch auch Bezüge zum belgischen Surrealismus und seinem Hang zu rätselhaft-düsteren Konstellationen auf. Sie werden zu Preisen zwischen 3.000 und 12.000 Euro angeboten.
Eine Reihe ganz neuer Collagen der belgischen Künstlerin Katrien De Blauwer, Jahrgang 1969, aus der aktuellen Serie „Whilst Waiting“ hat die Galerie Fifty One aus Antwerpen im Angebot. Die kleinformatigen Kompositionen aus Magazin- und Buchseiten entstanden unter dem Eindruck der Covid-Pandemie. Sie zeigen fragmentierte weibliche Torsi, Himmelsausschnitte und einsame Strandlandschaften. Katrien de Blauwer, die sich selbst als „Fotografin ohne Kamera“ bezeichnet, arbeitet ausschließlich mit gefundenem Fotomaterial aus Büchern und Magazinen, welches sie auf ebenfalls historische, monochrome Papierunterlagen klebt. Mit häufig feministischem Subtext konterkarieren ihre Arbeiten stereotype Frauendarstellungen in den Printmedien vergangener Jahrzehnte (Preise zwischen 1.600 und 1.900 Euro inklusive Rahmen).
Atelierfrisch sind auch die in monochromen Farben gehaltenen Blechskulpturen des Berliner Bildhauers Thomas Kiesewetter, Jahrgang 1963. Am Gemeinschaftsstand der Galerien Sorry We’re Closed, Brüssel und Galería Alegría, Barcelona werden die dekonstruktivistischen Skulpturen, die mit etwas Fantasie an übermäßig getrimmte Pudel oder Blumenarrangements der 1950er Jahre erinnern, für je 18.000 Euro auf einem treppenartigen Podest eindrucksvoll präsentiert.
Insgesamt ist die Art Antwerp allerdings stark auf Malerei fokussiert. Umso mutiger erscheint da der Auftritt der in Den Haag ansässigen Galerie Dürst Britt & Mayhew, die eine immersive Videoarbeit der seit Kurzem in Berlin lebenden niederländischen Künstlerin Puck Verkade, Jahrgang 1987, präsentiert. In diesem Jahr erregte Verkade mit Ausstellungsteilnahmen an der Biennale de Lyon und der Ausstellung „Fun Feminism“ im Kunstmuseum Basel für ihre ebenso effektvollen wie subtil gesellschaftskritischen Arbeiten bei einem größeren internationalen Publikum Aufmerksamkeit. Im Zentrum der Videoarbeit „Unborn“ steht eine weibliche Taube, dargestellt von der Künstlerin selbst, die mit einer möglichen Mutterschaft hadert und von einer bösartigen Krähe bedroht wird. Auf humorvolle Art und Weise werden hier Fragen nach der Autonomie weiblicher Körper, stereotyper Geschlechterrollen und dem Recht auf Abtreibung verhandelt. Die Betrachter:innen können die Arbeit aus einem überlebensgroßen Nest aus Wellpappe heraus betrachten, das die Künstlerin als unkonventionelles Sitzmöbel bereitstellt (Auflage 5. Preise zwischen 6.500 ohne Nest und 10.000 Euro mit Nest). Für den kleineren Geldbeutel sind aus der Arbeit heraus entwickelte Collagen im Angebot.
Wird die Art Antwerp nach der zweiten Ausgabe zur festen Institution? „Wir machen weiter, wenn die Verkäufe stimmen“, sagt Nele Verhaeren. Doch sie gibt sich bereits während der Preview optimistisch, dass die Zahlen auch in diesem Jahr gut ausfallen werden. „Antwerpen hat eine gute Dynamik“.
Auf einen Blick:
Messe: 2. Art Antwerp
Ort: Antwerp Expo, Jan van Rijswijcklaan 191, 2020 Antwerp
Zeit: bis 18. Dezember 2022, jeweils 11-19 Uhr
Internet: www.art-antwerp.com