Nordfrankreich zu Gast im Hohenloher Land: Eine Ausstellung im Museum Würth 2 in Künzelsau präsentiert jetzt erstmals in Deutschland den monumentalen iPad-Fries „A Year in Normandie“ des britischen Malers David Hockney im Kontext seiner Landschaftsmalerei
Sein typischer Arbeitstag beginnt nicht selten um fünf Uhr morgens. Dann zieht es David Hockney hinaus in die Landschaft zum Malen. Während sein Team ihm früher gleich mehrere vorbereitete Leinwände in die Natur stellte, reicht ihm heute oft ein iPad samt Zeichenprogramm, um seine Eindrücke künstlerisch festzuhalten. Was jedoch nicht fehlen darf, sind Thermoskannen mit Heißgetränken, darunter auch Bovril, eine auch als „Beef Tea“ bezeichnete englische Instantbrühe, vor der Nicht-Briten eher davonlaufen dürften.
Ob mit dem Pinsel oder dem iPad: Der 1937 in Bradford in West Yorkshire geborene, britische Künstler gilt heute als einer der wichtigsten Landschaftsmaler unserer Zeit. Zu Beginn seiner Karriere sah das noch etwas anders aus: Anfang der 1960er Jahre zählte man ihn zu den Jungstars der britischen Pop Art. Sein offenes Bekenntnis zu seiner Homosexualität, die damals in seiner Heimat noch unter Strafe stand, bereitete ihm jedoch zunehmend Probleme. 1964 siedelte er nach Kalifornien über. Hier entstanden seine berühmten Swimmingpool-Bilder – häufig bevölkert von jungen, attraktiven Männern.
Ende der 1990er Jahre kehrte er aus familiären Gründen nach Yorkshire zurück. Seitdem widmet er sich verstärkt der Landschaftsmalerei, und zwar bevorzugt der Freilichtmalerei. Als 2010 das erste iPad auf den Markt kam, war der experimentierfreudige Künstler auf Anhieb von den Zeichenprogrammen fasziniert. Von Experten ließ er spezielle Werkzeuge für seine Bedürfnisse entwickeln. Mittlerweile zeichnet und malt er fast bei jeder Gelegenheit auf dem iPad.
Während der Corona-Pandemie zog sich David Hockney in die Einsamkeit seines Atelierhauses in der Normandie unweit von Deauville zurück. Hier entstand auch sein aus Hunderten einzelner iPad-Zeichnungen zusammengesetzter Jahreszeiten-Zyklus, der jetzt im Museum Würth 2 in Künzelsau in der Ausstellung „David Hockney – A Year in Normandie im Dialog mit der Sammlung Würth“ zu sehen ist. Das Museum nimmt die Gelegenheit, den iPad-Fries jetzt erstmals und exklusiv in Deutschland zeigen zu dürfen, zum Anlass, die monumentale Arbeit im Kontext der eigenen Hockney-Bestände und einiger externer Leihgaben zum Thema Landschaft zu präsentieren.
Im großen Ausstellungsraum des 2020 eröffneten David-Chipperfield-Baus wird der 90 Meter lange und einen Meter hohe, auf Papierbahnen ausgedruckte Fries jetzt eindrucksvoll gezeigt. Moderne Lichttechnik sorgt dafür, dass die intensiv-farbigen Bilder wie von innen heraus leuchten. Das Publikum ist eingeladen, den Fries im selbst gewählten Tempo abzuschreiten und wie in einem Film den Wandel der Jahreszeiten in der Normandie, genauer gesagt im Landstrich Le Pays d’Auge, zu erleben: von der Apfelblüte im Frühling, über satte Sommerwiesen, vorbei an buntem Herbstlaub bis hin zu kahlen Ästen und schneebedeckten Hügeln im Winter. Menschen jedoch fehlen, abgesehen von den Spuren ihrer Zivilisation etwa in Form von Fachwerkhäusern, Holzstapeln, Gartenstühlen oder Strohballen, gänzlich.
Inspiriert zu diesem große Harmonie ausstrahlenden Werk im ungewöhnlichen Format wurde Hockney, der als ausgewiesener Kenner der Kunstgeschichte gilt, von szenenreichen chinesischen Bildrollen aus dem 14. Jahrhundert, insbesondere aber vom weltberühmten Wandteppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert, der auf rund 68 Metern Länge die Eroberung Englands durch die Normannen darstellt. Eine Reihe älterer Arbeiten Hockneys aus der Sammlung Würth, aber auch aus anderen Häusern, bettet den Fries in den umfangreichen Komplex seiner Landschaftsdarstellungen ein.
Darunter auch die aus vier Bildern bestehende Werkgruppe „Three Trees near Thixendale“ (2007/2008), die noch 2021 als Leihgabe in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen in Berlin zu sehen war. Die auf neun synchronisierten Video-Screens gezeigte Arbeit „Woldgate Woods“ (2010), eine vom Auto aus gefilmte, multiperspektivische Kamerafahrt durch einen Winterwald, wiederum zeigt, wie sehr sich Hockney für Darstellungsformen jenseits der traditionellen Zentralperspektive interessiert. Einzelne Bilder wie das großformatige, aus acht Segmenten zusammengesetzte Aquarell „View from Terrace II“ (2003), eine Komposition aus unterschiedlichen Nah- und Fernsichten in Los Angeles, nehmen die Sprunghaftigkeit des menschlichen Auges auf und übersetzen diese in zeitgemäße Malerei.
„Wenn du malst, tust du es immer im Jetzt“, so David Hockney, der mit abstrakten Bildern, die sich der Realwelt komplett entziehen, nach eigener Aussage nichts anfangen kann.
Vergleicht man die Bilder dieser Ausstellung mit seinem wohl berühmtesten Gemälde, dem ikonischen „A Bigger Splash“ von 1967, so erkennt man Kontinuitäten, die Hockneys nunmehr fast 70-jähriges Œuvre durchziehen. Auch „A Bigger Splash“ zeigt eine in bunten Farben ausgeführte menschenleere Szenerie, nämlich einen kalifornischen Swimmingpool vor einem modernistischen Bungalow mit einem schmalen Rasenstück und zwei Palmen im Hintergrund. Im Fokus aber steht das hochspritzende Wasser des Pools, in den offenbar Sekundenbruchteile zuvor ein Schwimmer eingetaucht ist. Solchermaßen eingefrorene Augenblicke scheinen David Hockney bis heute zu faszinieren. „Zeit“, so sagt er, „ist etwas Elastisches, und ich spiele mit dieser Idee.“
Auf einen Blick:
Ausstellung: David Hockney – A Year in Normandie im Dialog mit Werken der Sammlung Würth
Ort: Museum Würth 2, Künzelsau
Zeit: bis 3. September 2023, täglich 10-18 Uhr
Katalog: Swiridoff Verlag, Katalogset (Hauptkatalog und Supplement), 60 S., 45 Euro
Internet: www.kunst.wuerth.com