Interview mit dem Berliner Künstler Fabian Knecht anlässlich seiner aktuellen Ausstellung in der Städtischen Galerie Wolfsburg
Nicole Büsing & Heiko Klaas: Lieber Fabian, deine Ausstellung in der Städtischen Galerie Wolfsburg war lange Zeit geplant. Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine hast du deine Pläne aber noch einmal radikal umgestellt. Die Schau trägt jetzt den Titel „Der Weg des größten Widerstandes“. Magst du zunächst kurz skizzieren, was ursprünglich geplant war?
Fabian Knecht: Nach der Coronazeit hatte ich ursprünglich eine Ausstellung geplant, die mit der Welt versöhnlich sein und auf die Besucher:innen wie ein Balsam wirken sollte – zurück zu einem Urvertrauen, zur Natur. Dafür wollte ich eine Arbeit perfektionieren, die ich im Vorjahr erstmals in der Schweiz realisiert hatte. Ein Bett, in das man sich als Besucher:in legen kann, und in dem man von schwimmend-schwebenden, lebendigen Quallen umgeben ist. Quallen sind die ältesten Tiere der Welt. Die Arbeit erschafft einen transzendentalen Moment, eine Loslösung von der Welt hin zu einem Urzustand.
Zudem wollte ich einen meiner Isolations-Räume im Schlosspark installieren. Bei meiner Werkserie Isolation setze ich Museumsräume in die Außenwelt und rahme ein Stück Natur mit einem weißen Ausstellungsraum. Das natürliche und aus sich selbst herausgewachsene Innenleben dieser Räume wirkt durch den sterilen Museumsraum und das künstliche Licht inszeniert und künstlich. In der Isolation im Schlosspark sollte der Stamm einer Eiche eingerahmt und die umgebende Wiese mit einem künstlichen Boden versehen werden. Dazu Decken und Kissen, so dass die Besucher.innen mit der Eiche Ruhe und Entspannung hätte finden können.
NB & HK: Warum hast du dann davon abgesehen, diese Arbeiten zu realisieren?
In Absprache mit Susanne Pfleger, der Direktorin der Städtischen Galerie Wolfsburg, habe ich dieses Konzept verworfen, weil mein humanitäres Engagement in der Ukraine diese geplante Ausstellung emotional nicht zugelassen hat, und ich mich auch als Künstler dem Thema Ukraine widmen musste. Ich habe Kunst schon immer als etwas Existentielles begriffen. Dass nach den persönlichen Kriegserfahrungen in der Ukraine Kunstwerke und ganze Ausstellungen entstehen, war anfangs nicht geplant und doch, retrospektiv betrachtet, unvermeidbar. Es wäre nahezu absurd, als Künstler einfach weiterzuarbeiten, als ob es diese existentiellen Erfahrungen nicht gegeben hätte.
NB & HK: Stattdessen wirst du eine Ausstellung zeigen, die das Publikum sehr unmittelbar mit der Kriegsrealität in der Ukraine konfrontieren wird. Und zwar sowohl im Museumsraum als auch im Außenraum, sprich im Park des Schlosses. Worum geht es dir dabei? Lassen sich überhaupt gültige Narrative zum Thema Krieg kreieren?
FK: Ja und Nein. Ja, weil Arbeiten zu sehen sind, die im Kontext meines humanitären Engagements in der Ukraine entstanden sind. Nein, weil sie für mich keine Konfrontation mit/zu? den Besucher:innen suchen, zumindest sehe ich die Arbeiten nicht so. Sie sind vielmehr visuelle Fragmente, die von der Schönheit des Widerstandes zeugen und auch ohne den Hintergrund des Krieges faszinieren und wirken sollen – ein visuell doppelter Boden. Ohne Kontext würde man die Arbeiten nicht als Kriegsarbeiten identifizieren können. Vielmehr sind sie ästhetische Puzzleteile, die ich während meiner humanitären Arbeit gesammelt, modifiziert und erschaffen habe.
NB & HK: Welche Medien, Werke oder Werkgruppen werden konkret zu sehen sein?
FK: Installation, Video und Malerei. In den Werken ist auch immer der Aspekt der Aktion und Performance inbegriffen wie bei vielen meiner Arbeiten.
NB & HK: Was genau wirst du in Wolfsburg zeigen?
FK: Einen Bombenkrater aus Isjum werde ich im Maßstab 1:1 in den Schlosspark transferieren. Nur glaube ich nicht, dass man als Betrachtende:r im Schlosspark sofort „Krieg“ denkt. Vermutlich wird das Werk von Passant:innen erst einmal als eine Art Baustelle oder Doline (Karsttrichter) wahrgenommen. Ebenso werden auch die Camouflage-Stoffe im großen Saal von der Mehrheit zunächst vermutlich einfach nur als verschiedenfarbige Stoffarbeiten wahrgenommen. Nur Menschen, die seit Kriegsbeginn schon einmal in der Ukraine waren, wissen, dass das gesamte Land von diesen Netzen „geschmückt“ wird. Alle anderen nicht.
Erst im hinteren Teil der Ausstellung zeige ich Arbeiten, die den Krieg konkreter darstellen und die Zuschauer:innen direkt „konfrontieren“. Eine der Arbeiten ist das Video Der Weg des größten Widerstandes. Dieser 38-minütige Film zeigt Aufnahmen, die ich mit dem Telefon während meiner Reisen durch die Ukraine seit Kriegsbeginn 2022 gemacht habe. Anfangs habe ich gefilmt, ohne in künstlerischer Intention zu handeln, nur um private Erlebnisse in Kriegssituationen festzuhalten. Die finale Videoarbeit ist eine Aneinanderreihung von diesen Aufnahmen, die jeweils nicht länger als eine Minute dauern und mehr sind als die Summe ihrer einzelnen Teile. Die Arbeit zeigt ein Land zwischen Alltag und Ausnahmezustand, zwischen wilder Natur und städtischer Zivilisation, zwischen Zerstörung und Wiederaufbau, zwischen Sommer und Winter, zwischen Leben und Tod. Und immer wird der nicht zu brechende Widerstand im Land spürbar und ist unterschnitten mit den ewigen Fahrten durch die Weiten des Landes.
NB & HK: In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht klarstellen, dass du keineswegs ein künstlerischer „Trittbrettfahrer“ des Ukraine-Krieges bist, wie es dir manche Kreise vielleicht vorwerfen könnten, sondern bereits lange vor dem Krieg ein enges Verhältnis zu dem Land und seinen Bewohner:innen gepflegt hast. Du bist vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal dort gewesen und seitdem mit großer Regelmäßigkeit dorthin gereist. Wie gestalten sich deine Aufenthalte dort? Und welche Art von Kontakten unterhältst du mit der dortigen Kunstszene und vielleicht auch darüber hinaus?
FK: Insgesamt war ich um die 30 Mal in der Ukraine, elf Reisen davon habe ich seit dem 24. Februar 2022 unternommen. Das erste Mal war ich 2005 in der Ukraine, bin quer durchs Land gereist und war von der teils wilden, scheinbar grenzenlosen, fruchtbaren Natur begeistert. Heute kenne ich fast das gesamte Land. Ich war unter anderem drei Mal in Tschernobyl und hatte Ausstellungen in Lviv, Kyiv und Donetsk. Auf der anderen Seite kenne ich aber auch Russland sehr gut. Ich habe zwei Monate in Wladiwostok gelebt, habe das Land drei Mal mit der transsibirischen Eisenbahn durchquert und hatte auch Ausstellungen in Sankt Petersburg und Moskau.
Meine tiefe Verbundenheit gilt allerdings der Ukraine, auch wegen persönlicher Verbindungen. Durch meinen Freund, Markus Schütte, einen deutschen Landwirt, der einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Westukraine unterhält, war ich schon vor dem Krieg ein bis zwei Mal jährlich in der Ukraine zu Besuch. Dank der Hilfe von Markus und mit Unterstützung seiner Landmaschinen war es mir überhaupt erst möglich, die ersten Installationen meiner Isolations-Serie zu erproben und zum Beispiel in einem ukrainischen Flussbett umzusetzen.
NB & HK: Mit dem Überfall der russischen Truppen hat sich die Situation schlagartig geändert. Plötzlich drängten ganz andere Prioritäten in den Vordergrund. Wie hast du auf den Kriegsausbruch reagiert?
FK: Als die russische Invasion 2022 begann, habe ich meine ukrainischen Freunde gefragt, wie ich helfen könne. Die Antwort war: Wir brauchen kugelsichere Westen, Verbandsmaterial und Helme. Alles Dinge, die direkt zu Beginn des Krieges als humanitäre Hilfe neu klassifiziert wurden. In Berlin habe ich daraufhin über meine Netzwerke Geld gesammelt und hatte nach drei Tagen 40.000 Euro zusammen. Damit habe ich dann das benötigte Material gekauft, und ich bin noch im März/April 2022 in die Ukraine gefahren, um dieses auszuliefern.
NB & HK: Welche neuen Kontakte haben sich daraus ergeben?
FK: Bei meinen Einsätzen habe ich die Kyiver Hilfsorganisation Livyj Bereh kennengelernt, die von Künstler:innen und kreativen Menschen gegründet wurde. Mit Livjy Bereh arbeite ich eng zusammen, und wir haben bereits einige Fahrten in unmittelbare Gefahrenzonen unternommen. Außerdem arbeite ich mit der Hilfsorganisation Virnij Naprjam in Izjum zusammen, die mir besonders auch bei den Vorbereitungen für die Ausstellung in Wolfsburg geholfen hat.
NB & HK: Für die Werkgruppe „Der Tod lässt sich nicht auswaschen“ (2022) hast du Stoffbahnen aus Hanf, die normalerweise zur Herstellung traditioneller ukrainischer Trachten verwendet werden, mit an die ehemalige Kampflinie genommen und sie in der Asche von ausgebrannten Panzern gebadet. Präsentiert werden diese im Ausstellungsraum wie Handtücher, die von Badezimmerhaken frei herabhängen und Falten werfen. Ähnlich vorgegangen bist du für die Arbeit „Schwarz gebadet, ohne Firniss“ (2023) mit sehr großformatigen Leinwänden, die du anschließend wie Gemälde auf Keilrahmen aufgezogen hast. Die Arbeiten erinnern dabei in ihrer je eigenen Individualität an Grabtücher oder traumatisierte Körper. In welcher Form wirst du sie in Wolfsburg zeigen?
FK: Aus dieser Reihe werde ich wahrscheinlich fünf Malereien von 2,20 x 2,80 m und eine großformatige Malerei von 6 x 2,80 m zeigen. Ich habe die Leinwände in einem Dorf namens Kam´yanka gemalt. Das Dorf wurde komplett zerstört und befindet sich einen Kilometer südlich von Isjum. Für die Malerei habe ich literweise Leinöl in einen ausgebrannten Panzer gegossen (während ich im Hintergrund das Donnern der Artillerie aus Richtung Bachmut gehört habe, und die Militärkonvois an mir vorbeizogen sind). Das Leinöl bindet die Aschepigmente. Durch diese flüssige Masse in den Panzern ziehe ich dann die nicht grundierten Leinwände. Ich habe nur meine Intuition und Muskelkraft. Es ist eine Art Eintauchen der Leinwand in den Tod. Die finale Farbe ist stumpf, matt, schwarz und färbt ab, da ich die Leinwände bewusst nicht firnisse. Die Farbe scheint die Leinwand zu beschmutzen, schneidet und frisst sich förmlich ein, ohne dass die Verfärbungen jemals entfernt werden könnten.
NB & HK: Es ist aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass beide Werkgruppen trotz der Rohheit, die sie einerseits ausstrahlen, auch über ästhetische, mitunter an Batikarbeiten erinnernde Qualitäten verfügen. Wie gehst du mit diesen Widersprüchen um? Oder sind es vielleicht auch gar keine?
FK: Ich finde den Begriff Batik sehr passend, gerade auch inhaltlich. Batik wurde und wird viel von Hippies und der Friedensbewegung verwendet. Jetzt benutze ich die Technik im Krieg, gegen den Krieg und für den Kampf der Ukraine. Der Kontrast gefällt mir. Ich würde daher nicht von einem Widerspruch sprechen, sondern von einer bewussten Änderung des Wahrnehmungsmusters, das sich gegen die traumwandlerische Naivität wehrt, man könne russischen Faschismus mit gutem Willen und Gesprächen in friedliche Bahnen lenken. Diese Naivität hätte spätestens am 7. Oktober 2006 – der Ermordung Politkovskayas – abgelegt werden müssen. Für mich ist das „Nie Wieder“ eine klare Verantwortung, nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch eine Verpflichtung, anderen zu helfen, die von jeglicher Form von Faschismus bedroht werden.
NB & HK: Bei den Arbeiten aus der Werkgruppe „Lachen ist verdächtig“ (2022-2023) wiederum handelt es sich um Camouflage-Tarnnetze, die von ukrainischen Frauen und Kindern aus Kleidern hergestellt worden sind. Erhalten hast du sie im Tausch gegen professionelle militärische Tarnnetze, welche du, wie auch andere Hilfsgüter und Ausrüstungsgegenstände (z.B. Pickups, Drohnen und schusssichere Westen), sammelst und selbst in die Ukraine bringst. Du arrangierst diese Tarnnetze im Ausstellungsraum, entweder von der Decke herabhängend oder über Wände drapiert. Weitere Eingriffe nimmst du nicht vor. Auch hier konzentrierst du dich ganz auf das Material selbst, das in seiner Prekarität und zufallsbedingten Buntheit zum Sprechen gebracht wird. Was fasziniert dich daran?
FK: Wie bereits erwähnt, sind die handgeknüpften Tarnnetze ein im ganzen Land sichtbares Element des Widerstandes und des Krieges. Alles, was versteckt werden soll, wird in der Ukraine mit diesen Tarnstoffen behangen: Brücken, Autos, wichtige Infrastruktur und Checkpoints. Die aus Stoffen und Kleidern geknüpften Netze haben mich sehr fasziniert, weil in ihnen immer auch die Hoffnung und der Glaube mit eingewebt sind, die Menschen zu beschützen und einen Beitrag zum Widerstand zu leisten. Dadurch bekommen die Stoffe eine ganz eigene, tief emotionale Schönheit. Es gibt verschiedene Ansätze, wie ich die Stoffe im Museumsraum in Wolfsburg installieren könnte. Ich hebe mir die finale Entscheidung über Hängung und Inszenierung der Camouflage-Stoffe für den Aufbau und die direkte Arbeit vor Ort auf.
NB & HK: Würdest du die Tarnnetze als Readymades bezeichnen, oder kommt noch eine andere Komponente hinzu?
FK: Die Bezeichnung als Readymades finde ich unpassend, weil ich die Netze nicht aus ihrer Welt und Herkunft herauslösen und als „reines Objekt“ im Museumsraum ausstellen will. Die Stoffe sind vielmehr soziale Plastiken, also Werke, die wiederum dabei helfen, humanitäre Projekte in der Ukraine zu finanzieren. Somit haben sie einen direkten Einfluss auf die Geschehnisse vor Ort. Grundsätzlich ist das bei allen meinen Werken und Ausstellungen zur Ukraine der Fall und obligatorischer Teil der Arbeiten. So konnten nachweislich neun Menschenleben gerettet, Pickups, Generatoren, Drohnen und Material gekauft und etliche Häuser repariert werden. Häuser, die durch Bombardierung und Beschuss zerstört wurden.
NB & HK: Politisch engagierte Kunst, wie du sie in diesem Fall betreibst, kann – ganz allgemein formuliert – die Betrachter:innen aufrütteln, Empathie zum Ausdruck bringen, eine therapeutische Wirkung entfalten oder das Publikum sogar zum eigenen Handeln animieren. Welcher dieser Aspekte ist für dich am zentralsten?
FK: Ich verstehe natürlich die allgemeine Kriegsmüdigkeit. Ich kämpfe aber persönlich und auch mit meiner Kunst dagegen an, obwohl es auch mir zunehmend schwerer fällt. Die große private Hilfsbereitschaft außerhalb der Ukraine ist merklich zurückgegangen, und die Menschen haben sich an die Situation, so schlimm sie auch ist, gewöhnt. Deswegen versuche ich, mit Ausstellungen und Werken und deren Präsentation und Verkauf weiterhin notwendige Unterstützung zu leisten. Es geht mir nicht um ein Aufrütteln. Wie sollte man mit schön anzusehenden Tarnnetzen in einem Museum jemanden wachrütteln, der nach dem zerbombten Theater in Mariupol noch schläft? Es geht mir viel mehr darum, die Aufmerksamkeit für die Ukraine hoch zu halten, Charakter und Ernsthaftigkeit zu zeigen und einen Beitrag, so klein er auch ist, zurückzugeben.
NB & HK: Kommen wir zum Schluss zu deiner Arbeit im Schlosspark für Wolfsburg. Es handelt sich, wie schon erwähnt, um die 1:1-Nachbildung eines Bombenkraters aus der Ukraine, die ihren Platz im idyllischen Park des Schlosses finden wird. Welche Vorgeschichte und wieviel menschliches Leid ist mit dieser Skulptur verbunden?
FK: Bei meiner ersten Hilfslieferung nach Isjum Anfang April 2023 habe ich dort die berühmten Steinskulpturen aus vorslawischer Zeit besichtigt. Sie sind zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert entstanden. Diese Skulpturen stehen auf einem Hügel über der Stadt. Circa 20 Meter neben den Figuren befindet sich ein nicht zu übersehender Krater, der vom Einschlag einer Artilleriebombe zeugt. Auf Nachfrage wurde mir berichtet, dass der Hügel während der russischen Besatzung der einzige Ort in Isjum war, an dem Mobilfunk funktionierte und wo sich die Zivilist:innen sammelten, um „raus“ zu telefonieren. Das war leider auch der Grund, warum genau dieser Platz im Mai 2022 von der russischen Armee beschossen wurde. Mindestens fünf Menschen starben bei dem Angriff. Natürlich sind auch die Skulpturen beschädigt worden.
NB & HK: Welcher technische Aufwand war mit der 3D-Abformung des Kraters verbunden, und wie entsteht aus den vor Ort in der Ukraine gewonnenen Datensätzen eine authentisch wirkende Replika für Wolfsburg?
FK: Über Freunde habe ich die Architekten Alik Kadoum und Fedir Boitsov aus Odessa kennengelernt, die sich auf das dreidimensionale Scannen von Objekten spezialisiert haben. Zusammen haben sie die Organisation Pixelated Realities gegründet. Das Unternehmen scannt kulturelle und historische Monumente und Gebäude in 3D, damit diese auch nach einer möglichen Zerstörung im Krieg wieder originalgetreu restauriert werden können. Zudem scannen sie Kriegsschäden und Zerstörungen in 3D und schaffen somit eine forensische Architektur, die Schäden dokumentiert und originalgetreu festhält.
Ich bin sehr froh, dass sie mir bei der Umsetzung der Reproduktion des Kraters geholfen haben. Für den Scan musste ich hunderte Fotos vom Krater aus allen Perspektiven fotografieren, aus denen sie dann das 3D-Modell berechnet haben, welches wir nun übertragen und in den Schlosspark verpflanzen.
NB & HK: Deine Wolfsburger Ausstellung stellt den Betrachter:innen authentische Spuren, Materialien und Verwundungen des Krieges gegen die Ukraine vor Augen – ganz anders und viel direkter, als sie es aus den TV-Nachrichten oder Dokumentationssendungen gewohnt sind. Wie siehst du das selbst?
FK: Ich glaube nicht, dass meine Sicht auf die Ukraine direkter ist als Nachrichtenbilder oder die Bilder von Twitter. Meine Sicht durch die Videos ist aber sicher persönlicher, intuitiver, vielleicht aber auch langweiliger und oftmals alltäglicher als Nachrichtenbilder. Meine Videoaufnahmen zeigen das Zusammenspiel von Alltag und Ausnahmezustand. Die anderen Werke sind ästhetische Fragmente, die die Schönheit des Widerstandes zeigen.
NB & HK. Würdest du dennoch sagen, dass deine Wolfsburger Schau auch Lichtblicke und Hoffnungsschimmer vermittelt?
FK: Es gibt für mich keinen Zweifel, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird. Das hat zwangsläufig nichts mit Waffen und Material zu tun, obwohl diese natürlich ungemein helfen. Waffen und Material bestimmen nur die Dauer des Konflikts, ob zwei, fünf oder zwanzig Jahre. Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung bestimmt über seinen Ausgang. Und nach all meinen Erfahrungen, die ich in Lwiw, Lutzk, Kyiv, Tschernihiw, Charkiv, Isjum, Odessa, Kropyvnytkyi, Cherson und Dnipro gesammelt habe, gibt es einen schier unglaublichen und unumstößlichen Willen in der Bevölkerung, dass die Ukraine als freier und eigenständiger Nationalstaat bestehen bleibt und Teil der EU wird. Dafür kämpft die überwältigende Mehrheit der Ukrainer:innen, und dabei helfe ich sehr gerne.
Ich halte die europäische Vision, trotz all ihrer Verrenkungen und Probleme, für etwas Wunderbares und eine Errungenschaft, deren Vorteile nur allzu oft vergessen werden, weil man sich zu sehr an diese Privilegien gewöhnt hat und diese als gegeben ansieht. Der Krieg beweist, dass wir für diese Privilegien einstehen müssen. Wir müssen die Ukraine als ein europäisches Land begreifen und verstehen, wie die baltischen Staaten auch europäische Länder sind und nicht russisch beanspruchte Gebiete. Die Bevölkerung jedes Landes hat ein Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf eine eigene Entwicklung.
NB & HK: Lieber Fabian, wir danken dir für das Gespräch.