50 Jahre Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude
Der 18. Mai 2024 ist für das Otto-Modersohn-Museum im niedersächsischen Fischerhude ein ganz besonderer Tag. An diesem Pfingstsamstag wird in dem malerischen Ort inmitten der Wümmewiesen unweit von Bremen das 50-jährige Jubiläum des ganz dem Leben und Werk des Malers Otto Modersohn (1865-1943) gewidmeten Museums gefeiert.
Ein kleiner Rückblick: Als 1985 der zweite Bauabschnitt des privat finanzierten und betriebenen Museums eingeweiht wurde, kam sogar der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zur Eröffnung. Und auch das Hamburger ZEIT-Magazin würdigte das Ereignis mit einem großen Bericht. Dank der unermüdlichen Arbeit von Antje Modersohn, der Enkelin des bekannten Landschaftsmalers, und ihres Ehemanns Rainer Noeres und der kontinuierlichen Mithilfe vieler Familienmitglieder sowie ehrenamtlichen Engagements, ist das Otto-Modersohn-Museum längst zu einer festen Größe auf der Kunstlandkarte geworden.
Die Grundlage der Museumssammlung bildet der Nachlass von Otto Modersohn, der an dessen Sohn Christian ging. Christian Modersohn (1916-2009), ebenfalls Maler, hatte schon als Jugendlicher im Atelier seines Vaters ausgewählte Werke auf der Rückseite mit dem Hinweis „unverkäuflich“ markiert. Eine Eigensinnigkeit, die sich später als Glücksfall herausstellen sollte: Denn daher sind wichtige Schlüsselwerke Otto Modersohns aus allen Schaffensphasen und in den unterschiedlichsten Techniken im Familienbesitz geblieben.
„Dass wir hier in Fischerhude Ausstellungen direkt aus diesem Nachlass machen können, macht sie so authentisch“, sagt Antje Modersohn, die als Kunsthistorikerin ausgebildet ist. „Ich glaube, dass das die DNA unseres Museums ausmacht.“ Und ihr Mann Rainer Noeres, selbst ausgebildeter Künstler sowie Mitbegründer der Produzentengalerie Hamburg und Geschäftsführer der Otto-Modersohn-Stiftung, ergänzt: „Es geht hier um die Kunst. Es geht nicht um die Hauptwerke.“
Christian Modersohn, der in Fischerhude aufgewachsen war, aber auch viele Jahre am Zweitwohnsitz der Familie im Allgäu verbracht hatte, war 1957 an die Wirkungsstätte seines Vaters zurückgezogen. Er errichtete sich dort ein Wohn- und Atelierhaus. Im Gepäck hatte er die bewusst zurückgehaltenen Bilder seines Vaters. Nachdem von Interessierten nun immer häufiger der Wunsch an ihn herangetragen wurde, diese zu besichtigen, entschloss er sich zum Erwerb und Umbau einer eigentlich zum Abriss bestimmten Fischerhuder Fachwerkscheune aus dem Jahr 1769. So entstand zunächst ein kleines Museum, das jedoch – der Erfolg blieb nicht aus – schon 1980 um ein Werkstattgebäude und 1985, 1996 und 2012 um zusätzliche Erweiterungsflächen ergänzt wurde. Mittlerweile steht dem Haus eine Ausstellungsfläche von 500 Quadratmetern zur Verfügung.
Otto Modersohn wurde 1865 als Sohn eines Baumeisters im westfälischen Soest geboren. Als er neun Jahre alt war, zog die Familie nach Münster. Bereits als 19-Jähriger nahm er ein Kunststudium an der Akademie in Düsseldorf auf, das er jedoch nach vier Jahren, enttäuscht von dem konservativen Geist, der damals an der Akademie herrschte, wieder aufgab. Seine künstlerische Eigenständigkeit war ihm stets wichtiger als die Zugehörigkeit zu den wechselnden Avantgarden seiner Zeit. Zwar zeigte er sich beeindruckt von der aktuellen französischen Landschaftsmalerei, der sogenannten Schule von Barbizon, nahm zuweilen Elemente des Impressionismus auf oder setzte sich für den Erwerb eines Van-Gogh-Gemäldes für die Sammlung der Bremer Kunsthalle ein. Im Grunde aber hatte er seine ganz eigene Auffassung von Malerei, die er am 10. Mai 1921 in seinem Tagebuch so formulierte: „Ich will Naturformen zu Trägern meiner Ideen machen… das Stoffliche muß man ganz überwinden, alle Dinge müssen etwas Gemeinsames haben, wie ein Gewebe… trotz der Tiefenwirkung, den Flächencharakter betonen – im Gegensatz zum Naturalismus.“
Vielen ist Otto Modersohn in erster Linie als Worpsweder Landschaftsmaler und als Ehemann der früh verstorbenen Paula Modersohn-Becker (1876-1907) bekannt. Er gilt als Mitbegründer der berühmten, 1889 gegründeten Worpsweder Künstlerkolonie, zu deren Mitgliedern auch Maler wie Fritz Mackensen, Hans am Ende, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler gehörten. Mit seiner zweiten Frau, der Malerin Paula Modersohn-Becker und ihren gemeinsamen Freunden, darunter Rainer Maria Rilke, prägte er eines der bedeutendsten Zentren europäischer Kunst des 20. Jahrhunderts.
Otto Modersohn hatte in der moorigen und von zahlreichen, die Umgebung spiegelnden Wasserflächen geprägten Landschaft nördlich von Bremen seine Wahlheimat gefunden. 1896 wurde er auf einer von Worpswede ausgehenden Wanderung auf das kleine, in der Niederung des Flüsschens Wümme gelegene Örtchen Fischerhude aufmerksam, das heute circa 3.400 Einwohner zählt. In den kommenden Jahren war er regelmäßig dort zu Gast. 1908 mietete er in Fischerhude erstmals ein altes Bauernhaus. Seinen damaligen Wohnsitz in Worpswede behielt er jedoch noch. Erst 1917 erfolgte dann der endgültige Umzug mit der Familie nach Fischerhude. Hier verbrachte Otto Modersohn die nächsten 36 Jahre seines Lebens und starb dort am 10. März 1943. Sein Grab befindet sich auf dem Quelkhorner Friedhof nahe Fischerhude.
Otto Modersohn verbrachte lange Tage zeichnend in der freien Landschaft. Zurückgekehrt in sein großzügiges, mit allerlei Fundstücken aus der Natur angefülltes Atelier, darunter präparierte Vögel, Schmetterlingskästen und andere Naturalien, malte er, ausgehend von seinen Naturstudien, Gemälde ganz unterschiedlicher Formate, die sich heute in vielen Sammlungen großer deutscher Museen, aber auch in privater Hand befinden.
Otto Modersohn selbst war zeitlebens sehr selbstkritisch mit seinen großen Bildern. Antje Modersohn erläutert: „Mein Großvater Otto hat seine Kunst selbst kategorisiert. Das Erste und Wichtigste waren für ihn die Zeichnungen. Das Zweitwichtigste seine Studien, all das, was ganz spontan mit Ölfarben auf Karton in der Natur entstanden ist. Und erst als Drittes nannte er: »meine Bilder».“
Zwischen den Jahren 1894 und 1905/06 hatte Otto Modersohn seine produktivste Phase. In dieser Zeit arbeitete er in seinem Atelier häufig an acht bis zehn Bildern gleichzeitig. Betrachtet man Otto Modersohns seit 1896 entstandene Bilder genauer, erkennt man, dass er die Leinwandoberfläche durch die Techniken des Spachtelns und Abschabens immer weiter durchdringt. Die Bilder haben zudem eine starke Fernwirkung, funktionieren jedoch auch sehr gut in der Nahsicht: Wenn man dicht genug an sie herantritt, sieht man die vielen Schichten, Farbsubtraktionen und Übermalungen. Das unermüdliche „Durcharbeiten“ der Motive an der Leinwand dieses an sich selbst immer wieder zweifelnden und mit sich ringenden Malers manifestiert sich so auf den Oberflächen seiner Bilder.
Um den Künstler Otto Modersohn genauer verstehen und sich besser in sein Werk eindenken zu können, ist es hilfreich, sich auch mit seinen umfangreichen Schriften, der ihn prägenden ländlichen Umgebung, seinem Streben nach Einfachheit und seinen literarischen Interessen zu beschäftigen. Hier verfügt das Otto-Modersohn-Museum über einen großen Schatz. Beispielhaft sei hier eine Ausgabe des Theaterstücks „Nora oder Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen erwähnt. Otto Modersohn hat regelmäßig Tagebuch geführt. Wenn er abends nach der Arbeit im Atelier Pfeife rauchend im Wohnzimmer saß, brachte er seine Gedanken über das Wesen der Malerei, sein Werk und andere Betrachtungen zu Papier. Es ist das Verdienst von Antje Modersohn, dass diese Schriften mittlerweile fast vollständig transkribiert und digitalisiert sind und somit nicht nur der kunsthistorischen Forschung sondern auch der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können.
So liest man beispielsweise Otto Modersohns programmatischen Tagebucheintrag vom 2. Februar 1895: „Ein Bild muss ähnlich entstehen, wie die Natur selbst, möchte ich sagen. Man muss dem Zufall freien Lauf lassen, so kann etwas entstehen, was der Natur in etwa ebenbürtig ist, verwandt ist.“
Im Jubiläumsjahr 2024 widmet sich das Otto-Modersohn-Museum vor allem dem Frühwerk des großen Malers. Bis zum 12. Mai lief die Ausstellung „Die Jugend- und Akademiezeichnungen 1876-1889“. Zu sehen war das zeichnerische Frühwerk Otto Modersohns von den Jugendzeichnungen bis zum Ende seiner Studienzeit an der Düsseldorfer Akademie, darunter Skizzenbücher, Porträt- und Aktzeichnungen sowie Landschaftskompositionen und -skizzen, die auf langen Spaziergängen in der Umgebung von Münster entstanden sind. Dieses in nahezu vollem Umfang erhaltene Frühwerk Otto Modersohns wurde in dieser Ausstellung zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Zum Jubiläum am 18. Mai 2024 eröffnet dann die erste von drei anlässlich des Festjahres geplanten Sonderausstellungen. Sie trägt den Titel „Otto Modersohn – Das westfälische Frühwerk 1884-1889“. Zu sehen sind Landschaftsstudien und Bilder aus dem Münsterland, die, wie es der ehemalige Direktor der Kunsthalle Bremen, Günter Busch, 1965 formuliert hat, zeigen, dass Modersohn damals „auf der Höhe der malerischen Kultur, wie sie der Realismus und der Impressionismus im Europa des 19. Jahrhunderts erarbeitet hatten“ stand. Laufzeit: 18. Mai bis 28. Juli 2024.
Ab dem 4. August wird – passend zur Jahreszeit – die zweite Sonderausstellung mit dem Titel „Otto Modersohn – Der erste Sommer in Worpswede 1889“ eröffnet. In dieser Ausstellung steht ganz die Abwendung von der Großstadt und den Akademien im Fokus. Zu sehen sein werden Bilder, die sich der Überwältigung des Malers durch die Weite der Landschaft, das einfache Leben der ländlichen Bevölkerung und den Reichtum der Natur verdanken. Laufzeit: 4. August bis 13. Oktober 2024.
Als dritte und letzte Sonderausstellung im Jubiläumsjahr wird dann ab dem 20. Oktober die Schau „Otto Modersohn – Retrospektive – Sehen – Fühlen – Machen VII“ gezeigt. Mit Arbeiten von der Studienzeit bis hin zum Spätwerk versammelt diese Schau noch einmal die qualitative Essenz des bedeutenden deutschen Landschaftsmalers. Ziel dieser Retrospektive ist es, neue Perspektiven auf ein Werk zu geben, dessen kunsthistorische Relevanz längst noch nicht abschließend von der Fachwelt gewürdigt wird. Laufzeit: 20. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025.
Die ersten fünfzig Jahre sind also erreicht. Doch wie steht es um den Fortbestand und die Zukunft des Otto-Modersohn-Museums? Auch hier hat die weitverzweigte Familie mit der Unterstützung von Freunden und Förderern bestens vorgesorgt. 1989 wurde bereits die Gesellschaft-Otto-Modersohn-Museum e.V. gegründet, die sich „die Auseinandersetzung mit dem Künstler und seiner Zeit im Interesse der Allgemeinheit“ auf die Fahnen geschrieben hat. Ebenfalls 1989 wurde durch Christian Modersohn und seine Frau Anna aber auch die Otto-Modersohn-Stiftung gegründet. Zu deren Statuten zählen zwei wichtige Prinzipien. So darf der Stiftungsbestand nicht nur nicht veräußert werden, er soll auch durch weitere Zustiftungen noch erweitert werden.
Dass dies nicht nur Wunschdenken ist, beweisen die zahlreichen Neuerwerbungen von Werken Otto Modersohns, die in den vergangenen Jahren durch Käufe, Dauerleihgaben und Schenkungen in das Museum gekommen sind. Zudem ist die intensive Katalogproduktion des Hauses hervorzuheben, die in den vergangenen 50 Jahren zahlreiche Ausstellungskataloge, aber auch weitere Publikationen zu einzelnen Werkaspekten umfasste.
Und auch um das zukünftige Engagement der Familie Modersohn muss man sich wohl keine Sorgen machen. Otto Modersohns Enkel und Urenkel sind bis heute auf vielfältige Art und Weise mit dem Feld der Kunst verbunden. Seine Enkel sind als Maler, Architekt und Kunsthistorikerin tätig. Der Urenkel Gideon übernahm 2012 die Leitung der Produzentengalerie Hamburg, heute eine der bedeutendsten deutschen Galerien für zeitgenössische Kunst, und dessen Schwester Tabea arbeitet als Papierrestauratorin vor Ort in Fischerhude. Und Simon, der 1991 geborene jüngste Sohn von Antje Modersohn und Rainer Noeres, gehört zu einer jungen deutschen Malergeneration, die gerade erst durchstartet. Seine Teilnahme an der viel beachteten Wanderausstellung „Jetzt! Junge deutsche Malerei“ in Chemnitz, Bonn, Wiesbaden und Hamburg und der Ankauf gleich mehrerer Arbeiten durch die Hamburger Kunsthalle beweisen das.
Das neueste Projekt des kunstsinnigen Familienkreises ist der Erwerb eines historischen Hauses im Zentrum des Dorfes Fischerhude. Hier hatte Otto Modersohn von 1917 bis 1943 sein Atelier. Über 1.200 Bilder dürften in den Räumen entstanden sein. Der Großteil des Gebäudes befindet sich, wie Antje Modersohn und Rainer Noeres betonen, zum Glück noch im „Urzustand“. Mit gemeinsamen Kräften bemüht sich die junge Generation der Familie Modersohn zur Zeit, den Genius loci dieses zentralen Ortes für die Beschäftigung mit Otto Modersohn und seinem Werk behutsam wieder herauszuarbeiten. Man darf gespannt sein, was hier entstehen wird.
Otto-Modersohn-Museum
In der Bredenau 95
28870 Fischerhude
www.otto-modersohn-museum.de