Die diesjährige Art Basel bot Sammlerinnen und Sammlern – zuverlässig wie immer – Kunstwerke vom Feinsten. Als über den Markt hinausweisendes kulturelles Ereignis aber beginnt sie zu schwächeln
Haben Sie etwas auf der Art Basel gekauft? Diese Frage konnten in der Vergangenheit lediglich sehr vermögende Menschen mit einem freudigen Ja beantworten. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Im Eingangsbereich der für großformatige Werke reservierten Art Unlimited Halle lockte jetzt erstmals der Art Basel Shop, eine Art „Woolworth Store“ für Kunstinteressierte und Groupies, mit einem zwar vielfältigen, aber doch eher beliebigen Sortiment an Merchandise-Artikeln, ergänzt um einige wenige Editionen und signierte Kataloge. Um ihn zu besuchen, benötigte man noch nicht einmal eine Eintrittskarte für die Messe.
Im Angebot waren Buttons, Bleistifte, Schirmmützen und weitere Lifestyle-Produkte mit dem Aufdruck „Art Unlimited“. Eine kleine Tasche mit dem Schriftzug „Art Basel“ für 80 Franken gehörte hier zu den Bestsellern. Auch ein Auto- oder Kofferaufkleber mit dem Slogan „See you in Paris“ war als Insider-Gimmick fürs Kunstjetset erhältlich. Er weist schon auf den nächsten wichtigen Termin im Kunstmessekalender hin: die Art Basel Paris im Oktober, die dann erstmals im frisch renovierten Grand Palais stattfinden wird. Und sogar für den Nachwuchs gab es noch einen coolen Button mit dem Aufdruck „Future Collector“.
Hat die Art Basel das nötig? Vorbei die Zeiten, als die amerikanische Konzeptkünstlerin Barbara Kruger Ende der 1980er Jahre mit ihrer auf Einkaufstaschen gedruckten ironischen Textbotschaft „I shop therefore I am“ ein eher konsumkritisches Statement unters Kunstvolk brachte. Einem bestimmten Publikum gefiel das Angebot offenbar. Während der gesamten Messewoche wurden körbeweise Fanartikel an die Kasse des Art Basel Shops geschleppt. Sarah Andelmann, die Mitbegründerin des legendären Pariser Concept Stores Colette, hat das Konzept für den Shop entwickelt. Die Art Basel steigt damit ins „Retail Business“ ein, wie der von New York aus operierende Noah Horowitz, der als CEO für alle vier Standorte der Messe verantwortlich ist, auf der Pressekonferenz betonte.
Auch wenn die Art Basel mit ihren Ablegern in Miami Beach, Hongkong und Paris als glamouröses Flaggschiff des internationalen Kunsthandels angesehen wird: Die Messegesellschaft MCH Group AG (Messe Schweiz) macht seit etlichen Jahren keinen Gewinn mehr. Nur auf Zuschüsse der öffentlichen Hand kann sie nicht mehr bauen. Frisches Geld muss längst auch aus anderen Quellen akquiriert werden. So kam James Murdoch ins Spiel, der Sohn des australisch-amerikanischen Medienmoguls und Donald Trump nahen TV-Senders Fox News, Rupert Murdoch. Er ist seit 2020 an der Messegesellschaft beteiligt. Der Multimilliardär vergleicht die Messe gerne mit der Formel 1. Mit der von ihm kontrollierten Beteiligungsgesellschaft Lupa Systems ist er größter Einzelaktionär mit einem Anteil von 38,5% noch vor dem Kanton Basel Stadt mit 37,5%. Klar, dass so einer auch Gewinn machen möchte.
Ob diese offenbar von höherer Stelle angeordnete, auf Masse und Verjüngung setzende Strategie auch Maike Cruse, der 2023 aus Berlin an den Rhein gekommenen, neuen Direktorin der Art Basel in Basel, gefällt, ließ sie auf der Pressekonferenz nicht durchblicken. Vielmehr schwärmte die zuvor für das Gallery Weekend Berlin verantwortliche Kunstexpertin von der „wichtigsten Kunstmesse der Welt“ mit 285 Galerien aus 40 Ländern, darunter 22 Neuzugängen.
Ihrem Ruf als qualitätsvollste Kunstmesse der Welt entsprach die Art Basel erwartungsgemäß auch in diesem Jahr. Sowohl der Hauptsektor als auch die mit hochkarätigen Neuentdeckungen oder lohnenswerten Wiederentdeckungen aufwartenden Sektionen Statements und Feature boten Kunst vom Feinsten. So wartete etwa die im kanadischen Montreal und im schweizerischen Meggen beheimatete Galerie Landau Fine Art mit absoluten Spitzenwerken von Künstlern wie Alberto Giacometti, Jean Dubuffet oder Wassily Kandinsky auf. David Zwirner hatte nahezu atelierfrische Collagen aus farbigem Papier von Gerhard Richter im Angebot. Ausdrucksvolle Porträtmalerei der amerikanischen Realistin Alice Neel (1900-1984) wurde von Victoria Miro aus London offeriert.
Eine hyperrealistische Cowboy-Skulptur von Duane Hanson (1925-1996) konnte bei Van De Weghe aus New York erworben werden. Und eine aus zwei Metallsäulen mit übereinander geschichteten Elementen aus bemalter Bronze bestehende Skulptur von Louise Bourgeois faszinierte das Publikum am Stand der schweizerischen Top-Galerie Hauser & Wirth. Wer auf der Suche nach frisch produzierter Kunst von Zeitgenossen war, konnte zum Beispiel bei Kamel Mennour aus Paris zuschlagen. Die Künstler:innengruppe Claire Fontaine war hier mit einer gleich in mehreren Sprachen ausgeführten Arbeit vertreten, die das Motto der diesjährigen Venedig-Biennale „Fremde Überall“ in bunt leuchtende Neonbuchstaben überführt.
Eher schräg dann die in patinierter Bronze ausgeführten, scheinbar achtlos auf den Boden geworfenen bunten Herrensocken des französischen Künstlers Etienne Chambaud bei Esther Schipper aus Berlin.
Gleich am ersten Tag konnten etliche millionenschwere Werke verkauft werden. So meldete etwa die Galerie David Zwirner den Verkauf eines abstrakten Bildes von Gerhard Richter für 6 Millionen US$. Zudem konnte eine auf der Art Unlimited präsentierte großformatige Kürbisskulptur der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama für 5 Millionen US$ veräußert werden. Und das Gemälde „Sun Flowers“ der amerikanischen Vertreterin des Abstrakten Expressionismus Joan Mitchell (1925-1992) spülte gar 20 Millionen US$ in die Kasse der in New York, Paris, London, Hongkong und Los Angeles beheimateten Galerie.
In diesem Jahr meldete die Art Basel 91.000 Besuchende gegenüber 82.000 im Jahr 2023. Das ist eine Steigerung der Besucher:innenzahl um 9.000, was einem Anstieg von rund 11% entspricht. Unter den VIP-Gästen waren internationale Top-Sammler:innen wie der griechische Reeder George Economou, die Rubell Family aus Miami, die deutschen Sammler Christian Flick und Christian Boros, der Brüsseler Sammler Frédéric de Goldtschmidt, Patrizia Sandretto Re Rebaudengo aus Turin, der französische Multimilliardär Édouard Carmignac, aber auch Museumsdirektoren wie Max Hollein (Metropolitan Museum, New York), Klaus Biesenbach (Neue Nationalgalerie Berlin) und Connie Butler (P.S. 1 New York).
Am Montag startete die Messe mit der Eröffnung der Art Unlimited, auf der diesmal auf rund 16.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche 70 raumgreifende Arbeiten präsentiert wurden. Darunter etwa ein verhüllter VW-Käfer von Christo mit dem Titel „Wrapped 1961 Volkswagen Beetle Saloon“ (1963-2014) oder die wandfüllende Arbeit „The World: A Moment In Time“ (2024) des amerikanischen Konzeptkünstlers Allan McCollum, die in 1.200 identischen Rahmen die Weiß auf Schwarz gedruckten meist verbreitetsten Vornamen der Welt versammelt, präsentiert von der Berliner Galerie Thomas Schulte.
Einzelne Präsentationen auf der Art Unlimited kamen dabei eigenen Ausstellungen gleich. So war etwa die komplette Serie „The Americans“ (1954-57) mit ikonischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des schweizerisch-amerikanischen Fotografen Robert Frank (1924-2019) in einem großen abgedunkelten Ausstellungsraum zu sehen. Ebenfalls in musealer Qualität kam auch Sigmar Polkes 1974 in Pakistan entstandene Fotoserie „Quetta“ daher. Die experimentellen Fotografien voller sichtbarer Fingerabdrücke, Kratzer und anderer Imperfektionen entstanden auf einer Reise, auf welcher der Künstler pakistanische Männer beim Opiumkonsum porträtierte.
Zu einem der Publikumslieblinge auf der Unlimited avancierte eine animatronische Skulptur, die der britische Künstler Ryan Gander unter dem Titel „School of Languages“ (2023) präsentierte. Unter einem standardisierten Büroschreibtisch kauerte ein lebensgroßes Gorillaweibchen, das ab und zu grunzende Laute von sich gab. Ein Ventilator verbreitete gleichzeitig einen animalischen Geruch, der das Ganze zum synästhetischen Erlebnis werden ließ. Etliche Besucher:innen vermuteten hier einen Akt von Tierquälerei. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich der in die Ecke gedrängte Menschenaffe jedoch als ein perfekt gemachtes mechanisches Fake.
Die Art Basel präsentiert jedes Jahr auf dem Messeplatz eine für alle Basler frei zugängliche Großskulptur oder Installation. In diesem Jahr ist es die Arbeit „Honouring Wheatfield – A Confrontation“ der 93-jährigen Land Art Pionierin Agnes Denes. Es handelt sich bei diesem in zahlreiche Hochbeete gepflanzten Weizenfeld um eine Wiederaufnahme ihrer ikonischen Land-Art-Arbeit, die sie erstmals 1982 auf einer Brache in Manhattan gezeigt hatte. Die Basler Version wird nach der Messe stehen bleiben und bis zur Erntezeit auf dem Messeplatz präsent sein. Das Ganze kann auch als versöhnende Geste der Art Basel gegenüber der Basler Bevölkerung angesehen werden, die die Messe teilweise kritisch beäugt und als elitäre Veranstaltung empfindet.
Ebenfalls als Geste der Anbindung der Basler Stadtgesellschaft ans Messegeschehen kann die diesjährige Ausgabe des Sektors Parcours angesehen werden. Dieser fand erstmals nicht in der pittoresken Altstadt von Basel statt sondern in der Clarastraße in Kleinbasel, einer streckenweise abgewirtschafteten und ungepflegten Einkaufsstraße, die das Messegelände mit dem Rheinufer verbindet. Kuratiert von Stefanie Hessler, der Direktorin des Swiss Institute (SI) in New York, waren hier unter anderem in leerstehenden Ladenlokalen, einem Hotel, einer Tiefgarage, einer Schnapsbrennerei, einem Geschäft für afrikanische Lebensmittel und Kosmetik diverse ortsspezifische Installationen, Videoarbeiten und Skulpturen zu sehen. Darunter auch einige Arbeiten, die erst durch Performer:innen aktiviert werden mussten. Wer hier zum falschen Zeitpunkt auftauchte, traf lediglich auf an Kleiderbügeln hängende Kostüme und auf dem Boden verstreute Requisiten. So etwa bei der Arbeit der zur Zeit auf der Biennale Venedig gefeierten tschechischen Künstlerin Eva Ko’tátková im Hotel Rheinfelderhof.
Obwohl mit Künstler:innen wie Nina Canell, Dominique Gonzalez-Foerster oder Rirkrit Tiravanija einige bekannte Protagonist:innen des internationalen Kunstbetriebs mit von der Partie waren, wirkte das breite Feld des Parcours in diesem Jahr wenig mitreißend. Etliche Arbeiten erinnerten in ihrer Low Budget-Ästhetik an die Jahresausstellung einer Kunsthochschule.
À propos Low Budget: Insgesamt konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die diesjährige Art Basel unter Sparzwang stand. Kein kommunikativer Champagnerempfang zum Ausklang der VIP-Eröffnung der Art Unlimited am Montagabend. Zudem waren dort kaum performative Arbeiten zu sehen. Hinzu kam der nahezu vollständige Verzicht auf Gedrucktes. Lediglich der Hallenplan war noch auf Papier erhältlich. Informationen über die einzelnen Arbeiten auf der Art Unlimited – in früheren Jahren in Form von Ausdrucken für alle Besucher:innen kostenlos erhältlich – lieferte nur noch der mit 60 Franken vollkommen überteuerte, in diesem Jahr erstmals nicht im renommierten Hatje Cantz Verlag veröffentlichte Art Unlimited Katalog. Informationen über den Parcours oder das Conversations Programm musste man sich auf dem Handy zusammensuchen. Was zu verschmerzen gewesen wäre, hätte es, wie zum Beispiel auf Flughäfen üblich, in den Messehallen ausreichend Ladezonen für Mobiltelefone gegeben. Denn selbst das beste Handy hält nicht den ganzen Tag durch. Stattdessen gab es einen Powerbank-Verleih – gegen saftige Gebühren natürlich.
Insgesamt ist die Messe, die unter ihrem früheren, von 2012 bis 2022 tätigen, Global Director Marc Spiegler immer auch als ein „Cultural Event“ propagiert wurde, in diesem Jahr zunehmend in den Niederungen des Kommerziellen und leicht Konsumierbaren angekommen. Der Art Basel Shop ist der beste Beweis dafür. Mit zweifelhaften Neuerungen wie diesen gewinnt man aber dauerhaft kein niveauvolles Publikum dazu, und langjährige Art Basel-Besucher:innen enttäuscht man in ihren zu Recht hohen Erwartungen an den weltweit bedeutendsten „Place to be“ für engagierte Sammler:innen und am Kunstmarkt-Interessierte.
Auf einen Blick:
Messe: Art Basel
Ort: Messe Schweiz, Basel
Katalog: Art Unlimited, 60 CHF
Internet: www.artbasel.com
Nächster Termin: Preview Art Unlimited: 16.6.2025 (auf Einladung), Preview Art Basel: 17. und 18.6.2025, Publikumstage: 19. bis 22.6.2025