Kunstrauschen mit Wasserfall: Im österreichischen Bad Gastein macht das Festival Sommer.Frische.Kunst ein kulturelles Angebot nicht nur für Kunst-Insider. An diesem spleenigen Ort der Gegensätze herrscht permanente Aufbruchstimmung – vor allem seit vor 14 Jahren die zeitgenössische Kunst Einzug gehalten hat
„Es ist gar nicht so einfach, zeitgenössische Kunst an einem Ort zu etablieren, der von einer ländlichen Umgebung geprägt ist“, sagt Andrea von Goetz und Schwanenfliess, und die muss es wissen. Bereits zum 14. Mal organisiert die Hamburger Kunstexpertin das Kunstfestival Sommer.Frische.Kunst in Bad Gastein im österreichischen Bundesland Salzburg. In dem rund um einen permanent rauschenden Wasserfall errichteten „Manhattan der Alpen“ haben sich einst gekrönte Häupter und Staatsmänner, aber auch Geistesgrößen der Belle Époque zur Erholung in die sogenannte „Sommerfrische“ zurückgezogen. Die Liste reicht von Kaiserin Sissi über Fürst Bismarck und den deutschen Kaiser Wilhelm I., Franz Grillparzer, Sigmund Freud, Arthur Schopenhauer bis zu Thomas Mann. Später kamen dann so illustre Gäste wie der Schah von Persien, Liza Minelli oder Falco.
Doch aufgrund der beiden Weltkriege und veränderter Reisegewohnheiten kam es im 20. Jahrhundert nach und nach zu einem Rückgang des Kurwesens. Die Blütezeit von Bad Gastein war vorbei. Luxuriöse Hotelpaläste, prächtig ausgestattete Tanzsäle und Casinos standen jahrzehntelang leer, und Bad Gastein versprühte immer mehr den morbiden Charme eines schleichenden Niedergangs. Bis dieser wiederum kreativ denkende Großstädter:innen anlockte.
Eine davon ist Andrea von Goetz und Schwanenfliess, eine Sammlerin und Kunstvermittlerin aus Hamburg, die Bad Gastein seit 20 Jahren kennt und zusammen mit einigen großstädtischen Mitstreiter:innen aus dem Bereich der Hotellerie und Gastronomie an diesem Ort der charmanten Imperfektion Pionierarbeit geleistet hat. Seit nunmehr 14 Jahren bringt sie Künstler:innen nach Bad Gastein. Sie hat im Laufe der Jahre verschiedene Formate entwickelt von Residencies über verschiedene Ausstellungsformate, Kunst im öffentlichen Raum bis hin zu Performances und Koch-Events.
In diesem Sommer findet auch die dritte Ausgabe der von ihr gegründeten kleinen, aber feinen Kunstmesse „Art:Bad Gastein“ im behutsam renovierten, ehemaligen Kraftwerk direkt am Wasserfall statt. Für günstige 1.800 Euro Pauschalpreis können die acht teilnehmenden Galerien und zwei Ausstellungshäuser eine Woche lang Künstler:innen aus ihren Programm in Bad Gastein präsentieren.
Angereist sind in diesem Jahr Teilnehmer:innen aus Hamburg, Berlin, München, Wien, Salzburg und Amsterdam. Die Galerie PSM aus Berlin etwa zeigt vor Ort in Bad Gastein produzierte, neoexpressive Holzschnitte mit aufcollagierten, historischen Tapeten der Österreicherin Lena Göbel mit Ansichten des Kurorts. Bei der Wiener Galerie Zeller van Almsick sind großformatige fotografische Selbstporträts der in Wien lebenden Deutschen Xenia Lesniewski zu sehen. In einer Art Ermächtigungsgeste erobert sie in nächtlichen Großstadtstraßen den Fetisch Luxus-Auto indem sie sich auf den Motorhauben leicht provokant in Szene setzt. Und figurative Stencil-Kunst von Mando Marie in der Ästhetik historischer Kinderbücher wird vom Straat Museum Amsterdam zu attraktiven Einsteigerpreisen von 850 bis 1.100 Euro angeboten.
Mit Hyland Mather hat das auf Street Art und Graffiti spezialisierte Ausstellungshaus noch einen zweiten Künstler mitgebracht. Der mit Zivilisationsmüll arbeitende Assemblagekünstler hat den Bretterzaun eines Abbruchgrundstücks mit alten Europaletten, Sperrholzelementen und gespannten Kordeln in ein geometrisch-konstruktivistisches All-over verwandelt.
Durchaus etwas mehr anlegen müssen Sammler:innen, die eines der großformatigen Bilder der in Stuttgart und Sardinien lebenden Malerin Friederike Just bei der Hamburger Galerie Holthoff erwerben wollen. Ihr Motive reichen von farbintensiven malerischen Selbstbefragungen bis hin zu mit Mischwesen und Tieren bevölkerten Szenerien, die die Betrachtenden in ambivalent aufgeladene Welten zwischen Traum und Alptraum entführen. Eine gehörige Portion selbstbewusster Weiblichkeit bildet in all ihren Bildern den Subtext.
Zu den angereisten Galeristen zählt auch der vielfache Art Basel-Teilnehmer Matthias Kunz von der Galerie Knust Kunz Gallery Editions aus München. Er hat sich mit der befreundeten Münchner Galerie Ariane Laue Kunsthandel zusammengetan, aus deren Programm er ausgewählte Exponate religiöser Kunst vom 16. bis 19. Jahrhundert präsentiert, darunter ein Vera Ikon, also eine Gesichtsdarstellung des leidenden Christus, aus bemaltem Lindenholz. Zu sehen ist aber auch ein aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts stammendes anatomisches Ohrmodell aus Papiermaché. Unter dem Titel „Falling Waters Rising Skies“ kombiniert Matthias Kunz diese Exponate mit Arbeiten von Künstler:innen aus seinem eigenen Programm, so zum Beispiel mit Werken des Malers Carsten Fock, des Berliner Bildhauers Thomas Kiesewetter oder des Münchner Malers und Objektkünstlers Martin Wöhrl (Preisspanne Zeitgenossen: 900 bis 12.000 Euro).
Für seine friesartige Hängung hat sich Matthias Kunz von der Ausstellungspraxis im Diözesanmuseum Freising inspirieren lassen. Mit dieser „Aktualisierung des Votivbildes“, so Matthias Kunz, sorgt er bewusst zunächst einmal für Irritation, bietet jedoch gleichzeitig auch einen Trigger für tiefer gehende Gespräche. „Die Art:Bad Gastein ist eine kleine Boutique-Messe“, betont Matthias Kunz. „Der Austausch hier wird honoriert, und es gibt offenbar ein großes Bedürfnis dafür. Und hier herrscht weniger Schwellenangst.“
Die Überwindung von Schwellenängsten ist auch ein großes Anliegen von Andrea von Goetz und Schwanenfliess. Denn sie weiß, wie schwierig die Vermittlung zeitgenössischer Kunst außerhalb der großstädtischen Kunstbubble ist. „Wir machen in Bad Gastein ein Kunstangebot für alle“, sagt sie. „An einem Eröffnungswochenende wie diesem haben wir bei der Sommer.Frische.Kunst natürlich viele Sommergäste aus unserer Bubble. Aber unter der Woche gehen auch die anderen da rein, schauen es sich an und stellen Fragen, wenn es sie interessiert. Das Kulturangebot sollte eigentlich für alle sein.“
Und wer sind die potenziellen Besucher:innen? „Bad Gastein ist ja überhaupt kein Bergdorf“, so Andrea von Goetz und Schwanenfliess. „Es hat nichts mit Zermatt oder Lech am Arlberg zu tun. Bad Gastein ist eine gebaute Großstadt in den Alpen.“ Nach Bad Gastein kommen heute neben mobilen Großstädter:innen aus Hamburg, Berlin, München oder Wien auch viele arabische Tourist:innen, Wandernde, Sportler:innen, Badetourist:innen, und – nicht zu vergessen – mittlerweile wieder eine große Zahl an Kurtourist:innen.
Andrea von Goetz und Schwanenfliess hat im Laufe der Jahre die nicht immer lineare Entwicklung von Bad Gastein beobachtet, begleitet, mitgeprägt und immer wieder auch darauf reagiert. Ihre Analyse lautet: „Es gibt eine Co-Existenz hier am Ort, eine Co-Existenz des Geschmacks. Es gibt hier Sachen, die in den 1980er Jahren und viel früheren Zeiten hängengeblieben sind, und deswegen haben wir für dieses Jahr das Motto „Heritage meets Future“ gewählt.“
Um diese Balance zwischen Altem und Neuem, Gewachsenem und möglichen Zukunftsperspektiven zu visualisieren, hat Andrea von Goetz und Schwanenfliess die Hamburger Fotokünstlerin Alexandra Lier eingeladen. Diese hat nicht nur das diesjährige Plakatmotiv für die Sommer.Frische.Kunst entworfen. In ihrer Solo-Show im Radon Pavillon an der Kaiser-Wilhelm-Promenade zeigt sie zudem Fotografien aus ihrer aktuellen Serie „AI Roadtrip – Neural Paths“ (2024). Auf mehreren Roadtrips vor allem im Westen der USA entstandene Fotografien dienen Alexandra Lier als Grundlage für elaborierte Verfremdungen, die sie mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugt. Auf diese Weise entstehen irritierende Bildkompositionen. Die Betrachter:innen sind aufgerufen, die teils an die märchenhaft-surrealistische Stimmung von Wes Anderson-Filmen erinnernden Motive mit der Wirklichkeit abzugleichen und auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu untersuchen. Was haben all die Straßenkreuzer im Kaktushain verloren? Und was hat es mit dem wie einem Science Fiction-Film entsprungenen, älteren Ehepaar vor seiner candyfarbenen Plastikbehausung auf sich?
Wie auch schon im letzten Jahr sind im Stadtraum und in der näheren Umgebung von Bad Gastein auch 30 von Künstler:innen entworfene Fahnen zu sehen. So zum Beispiel Werke von Erwin Wurm direkt am Wasserfall. Zwei Fahnen von Thomas Bayrle wehen etwa vor dem kunstaffinen Szenehotel „Das Regina“. Wade Guyton, Peter Kogler, Hans Schabus oder Eva Schlegel wiederum lassen ihre Flaggen über dem im Zentrum gelegenen Merangarten wehen. Und Maurizio Nanucci hat für den Almgasthof Windischgrätz hoch über der Stadt eine 7 x 10,60 Meter große XXL-Flagge mit dem sinnigen Motto „Let’s Talk About Art“ entworfen.
„Die Fahnen im öffentlichen Raum sind auch ein Angebot an das breite, nicht auf zeitgenössische Kunst spezialisierte Publikum“, erklärt Andrea von Goetz und Schwanenfliess. Zusammen mit einigen Weggefährt:innen hat sie mittlerweile auch einen Kunstverein in Bad Gastein gegründet, der sich die Förderung von Kunst und Kultur in der ländlichen Region auf die Fahnen geschrieben hat.
Was der Kunstexpertin aus Hamburg aufgefallen ist, ist die Notwendigkeit, das lokale Publikum stärker einzubinden. So fand am vorletzten Juni-Wochenende unter dem Motto „Show Your Art“ erstmals eine Ausstellung mit Arbeiten regionaler Künstler:innen im Kraftwerk Bad Gastein statt. Und wenn die Art:Bad Gastein am Sonntagabend ihre Pforten schließt, beginnt schon die Vorbereitung auf den nächsten Höhepunkt des Kunstsommers. Unter dem Motto „Masterclasses“ werden in den Räumen des Kraftwerks junge Absolvent:innen der Kunsthochschulen in Hamburg, München, Münster oder Wien gezeigt, die bei Professor:innen wie etwas Karin Kneffel, Gregor Hildebrandt oder Jorinde Voigt studiert haben.
Im nächsten Jahr wird die Sommer.Frische.Kunst dann ihr 15-jähriges Jubiläum feiern. „Bad Gastein hat sich stark weiterentwickelt, und man muss jetzt überlegen, wie man sich mit verändert“, sagt Andrea von Goetz und Schwanenfliess. Als Festivaldirektorin und -gründerin ist sie dabei auch offen für neue Ideen von außen: „Der Ort Bad Gastein polarisiert, und er wird in seinem Leben nie perfekt sein. Man muss auch loslassen können, was den Perfektionismus angeht.“
Auf einen Blick:
Art:Bad Gastein
Kraftwerk
bis 20.7.2024, Mi-So 14-18 Uhr
Alexandra Lier: AI Roadtrip – Neural Path
Radon Pavillon
bis 25.7., Mi-So 14-18 Uhr
Masterclasses
Kraftwerk
27.7.-31.8.2024, Mi-So 14-18 Uhr
Raising Flags
bis 31.8.2024