Qualität, Schönheit und Harmonie: Die Brüsseler Kunstmesse BRAFA feiert ihre 70. Ausgabe
Wer unter einer Messe eher so etwas wie eine ungemütliche, zugige und lärmige Industriemesse mit aufgeregt hin- und herlaufenden Firmenvertretern und Einkäufern versteht, wird auf der Brüsseler Kunst- und Antiquitätenmesse BRAFA in eine vollkommen andere Welt hineingestoßen: Eleganz, gedämpfte Atmosphäre und ein ansprechendes kulinarisches Angebot herrschen hier vor. Die beiden Hallen auf dem Expo-Gelände sind komplett mit schalldämpfendem Teppichboden ausgelegt. Das gut gekleidete, überwiegend etwas ältere Publikum gibt sich diskret und kennerhaft. Für neureiche Blender scheint die BRAFA nicht der richtige Ort zu sein.
Denn etwas Kennerschaft ist schon angebracht, will man das breitgefächerte Angebot der BRAFA beurteilen. Gleich der erste Stand hinter dem Eingang wartet mit einer unglaublichen Fülle an außergewöhnlichen Objekten auf: Die Brüsseler Galerie Bernard De Leye präsentiert eine überaus festlich gedeckte Tafel, wie sie einem exklusiven Jagdessen in einem europäischen Fürstenhaus gut zu Gesicht stünde. Blank polierte, silberne Tafelaufsätze mit Hirschdarstellungen, edles Porzellan mit Vogelmotiven, dazu aufwendig geschliffene Kristallgläser, Silberleuchter und vieles mehr. Frische Blumen und Weintrauben komplettieren das Ensemble. Die Stücke stammen überwiegend aus dem 18. Jahrhundert, vornehmlich aus Frankreich, Deutschland und Holland. Ein unabhängiges Belgien gibt es ja bekanntermaßen erst seit 1830.
Die BRAFA existiert bereits seit 1956. Ihr ursprünglicher Name lautete „Foire des Antiquaires“. In den beiden Messehallen auf dem Gelände der Brussels Expo sind Jahr für Jahr über eine Woche lang Gemälde und Zeichnungen Alter Meister zu sehen sowie Werke wichtiger Repräsentanten der Moderne und neuerdings auch der Gegenwart. Daneben sind auf der BRAFA antike und moderne Möbel, „Tribal Art“ vornehmlich aus Afrika, Wandteppiche und Tapisserien, Porzellan, Gold- und Silberschmiedearbeiten, edler Schmuck, antiquarische Bücher und vieles mehr zu sehen – und selbstverständlich auch zu erwerben.
Vom 26. Januar bis zum 2. Februar ist die BRAFA für das breite Publikum geöffnet. Die von den Galerien handverlesenen VIP-Besucher:innen hatten jedoch schon ab dem vergangenen Donnerstag Gelegenheit, in angenehmer Ruhe und Konzentration ihre Kaufentscheidungen zu treffen und mit den Händler:innen ins Gespräch zu kommen. 130 Aussteller:innen aus 16 Ländern sind anlässlich der diesjährigen Jubiläumsausgabe auf das Brüsseler Expo-Gelände gekommen. Die meisten davon sind seit vielen Jahren dabei und kommen immer wieder zur BRAFA. Daher ist die Zahl neuer Galerien mit nur 16 Erstteilnehmenden sehr überschaubar.
Die BRAFA feiert in diesem Jahr ihre 70. Ausgabe. Anlass genug, ein wenig auf ihre Geschichte zurückzublicken. 1956 wurde die Messe unter dem Namen „Foire des Antiquaires“ gegründet, um den führenden belgischen Antiquitätenhändlern ein jährlich stattfindendes gemeinsames Forum zu bieten. Im Laufe der Jahrzehnte erweiterte sich das Ausstellerspektrum. Ab 1995 setzte eine zunehmende Internationalisierung und Erweiterung des Angebots ein. So kamen etwa Tribal Art, Comics und internationale zeitgenössische Kunst hinzu.
Angesichts ihrer wachsenden Teilnehmerzahl und dem damit einhergehenden Raumbedarf, ist die Messe immer wieder innerhalb Brüssels umgezogen. Von den Galeries Louise in der eleganten Brüsseler Oberstadt 1968 in das Palais des Beaux-Arts, 2004 auf das Tour & Taxis Areal und zuletzt 2022 auf das traditionsreiche Messegelände Brussels Expo mit seinen für die Weltausstellungen 1935 und 1958 errichteten ikonischen Hallen und dem Atomium als Blickfang. Hier angekommen, breitet die BRAFA ihr Angebot nun auf einer großzügig bemessenen Fläche von rund 21.000 Quadratmetern in den beiden ineinander übergehenden Hallen 3 und 4 aus.
Im Gegensatz zu anderen Kunstmessen ist die BRAFA nicht in thematische Sektionen aufgeteilt. Es gibt auch keinerlei chronologische Ordnung. Vielmehr ist es von der Messeleitung beabsichtigt, dass die Besucher:innen mehr oder weniger unvermittelt von einer Epoche in die andere eintauchen.
Daher landet man schon wenige Schritte, nachdem man sich an den Silberwaren bei Bernard De Leye sattgesehen hat, im 20. und 21. Jahrhundert. Valérie Bach, Inhaberin der Brüsseler Galerie La Patinoire Royale Bach, zeigt eine ganze Reihe von Arbeiten der Künstlerin Joana Vasconcelos. Die 1971 geborene, überwiegend bildhauerisch tätige Portugiesin ist in diesem Jahr auch „Guest of Honour“ der BRAFA. Damit tritt sie in die Fußstapfen von Christo oder Gilbert & George, denen diese Ehre in früheren Jahren zuteil wurde.
Joana Vasconcelos ist bekannt für ihre großformatigen und das Publikum visuell überwältigenden Skulpturen und Installationen. So auch auf der BRAFA. In den zentralen Gängen der Messehallen zeigt sie zwei monumentale, von der Decke hängende Soft Sculptures. Die Arbeiten „Valkyrie Léonie“ und „Valkyrie Seondeok“ bestehen aus Häkelgarn, Kunstfell, verschiedenen Stoffen, Spitzen, Stickereien, Wolle, Pailletten, Perlen, Federn und LEDs. Ihre tentakelhaften Gliedmaßen lassen sie als sanftmütige Wesen erscheinen.
Vasconcelos Arbeiten entstehen unter Verwendung von traditionellen Handarbeitstechniken wie Nähen, Stricken, Sticken, Häkeln und Spitzenklöppelei in Zusammenarbeit mit ihrem rund 60-köpfigen Team. In den überschwänglich ornamentalen Skulpturen verbindet Joana Vasconcelos ein klares Bekenntnis zu ihren portugiesischen Wurzeln mit Statements zu Weiblichkeit, Emanzipation und Feminismus.
Von der Künstlerin bei Valérie Bach im Angebot ist zum Beispiel die Arbeit „Blue Moon“ (2019) aus verschiedenen, miteinander vernähten, organischen Wollgebilden, die mit Kunstperlen verziert sind. Die voluminöse Arbeit mit den Maßen 150 x 200 x 65 cm wird für 85.000 Euro angeboten. Kontrastprogramm: Daneben am Stand zu sehen sind seltene Gelatine-Silberabzüge und Fotocollagen des früh verstorbenen amerikanischen Architekten und Konzeptkünstlers Gordon Matta-Clark (1943-1978). Die Arbeiten direkt aus dem Nachlass des Künstlers kosten zwischen 30.000 Euro und 1,5 Millionen Euro.
Seit 1976 ist auch Axel Vervoordt auf der BRAFA dabei, nunmehr zum 49. Mal. Der Galerist aus Antwerpen war damals einer der ersten Teilnehmer, die zeitgenössische Kunst, etwa von Lucio Fontana oder der ZERO-Gruppe, mit auf die Messe brachten. Die Geschäftsführung der Galerie hat mittlerweile sein Sohn Boris übernommen. Und der hat auch eine Erklärung dafür, warum eine Messe wie die BRAFA in einem eher kleinen Land wie Belgien so erfolgreich ist: „Was die BRAFA so besonders macht, ist das Konzept, mit allen zusammen an einem Strang zu ziehen. Gemeinsam die bestmögliche Messe zu organisieren, ist unser vornehmstes Ziel. Und da setzen wir die Philosophie der Gilden und Zünfte fort. So hat sich Belgien auf der internationalen Landkarte als Handelsplatz für Objekte, Kunst und Mobiliar positioniert. Wir haben hier seit dem späten Mittelalter eine lange Tradition im Leben mit Kunst. Das hat auch internationalen Widerhall erzeugt. Die Menschen legen immer mehr Wert auf die Art und Weise, wie sie leben und wohnen, und sie umgeben sich dabei gerne mit Kunst, besonderen Objekten und Mobiliar.“ Typisch für Vervoordt ist das eklektische Angebot. Neben einem großformatigen Gemälde des flämischen Künstlers Jef Verheyen aus dem Jahr 1975 ist zum Beispiel ein ebenso monumentaler wie wohlgeformter Bronzearm aus der Übergangszeit zwischen der späten griechischen Klassik und der frühen hellenistischen Periode im Angebot.
Neuer Chairman der BRAFA ist der auf Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts spezialisierte Brüsseler Händler Klaas Muller. Er bezeichnet die Messe als „eine gut geölte Maschine, die es zu erhalten gilt.“ Dennoch möchte er die Akzente ein wenig verschieben: „Während zeitgenössische Kunst sich ihren Platz auf der Messe erobert hat und dauerhaft auf ihr vertreten sein wird, möchte ich jedoch den Schwerpunkt wieder etwas mehr auf alte und klassische Kunst legen: asiatische und ethnische Kunst, Archäologie und so weiter“, sagt Klaas Muller. Außerdem plant er in Zukunft eine stärkere Internationalisierung der Messe, insbesondere durch zusätzliche Aussteller aus Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien, Italien und Spanien. Diese, so hofft Muller, würden dann auch zusätzliche Besucher:innen auf die BRAFA locken. An seinem eigenen Stand präsentiert er gleich zwei außergewöhnliche Kücheninterieurs mit Hunden des flämischen Meisters Frans Snijders (1579-1659). Bilder, die man in dieser Qualität eher in Museen wie dem Königlichen Museum für Schöne Künste in Antwerpen oder dem Rijksmuseum Amsterdam erwarten würde. Auf der BRAFA kann man sie – das nötige Kapital vorausgesetzt – erwerben.
Am Stand des Pariser Händlers Stéphane Renard Fine Art ist dann neben einer großen Auswahl von Altmeisterzeichnungen auch die Zeichnung „Portrait of a Man“ von László Moholy-Nagy“ im Angebot. Das Blatt ist ungewöhnlich für den späteren Bauhaus-Künstler. Genau datieren lässt es sich nicht. Der expressionistisch anmutende, in schwarzer Wachskreide ausgeführte Männerkopf gehört zu einer kleinen Gruppe von Porträts, die der Künstler zu Beginn seiner Karriere in Wien und Berlin angefertigt hat. Die kurvenartigen Lineaturen unterhalb der Augen, die fast wie Tätowierungen wirken, sind typisch für Moholy-Nagys Arbeiten aus der Zeit gegen Ende des Ersten Weltkriegs. Sie kennzeichnen auch ein 2010 bei Sotheby’s in London versteigertes Selbstporträt des Künstlers. Die Authentizität des Blattes „Portrait of a Man“ wurde von der in den USA lebenden Tochter des Künstlers, Hattula Moholy-Nagy, bestätigt.
Ebenfalls am Stand dann eine Vogelstudie aus der Werkstatt von Jan Brueghel dem Jüngeren aus dem Jahr 1626. Die in Öl auf Holz ausgeführte Arbeit versammelt präzise Darstellungen von Reihern, Fasanen, Perlhühnern und anderen Vogelarten in perfekter Harmonie. Sie ist für 55.000 Euro im Angebot.
Auffallend auf der diesjährigen BRAFA ist das große Angebot an textilen Artefakten aus der Zeit um 1500 bis hinein in die unmittelbare Gegenwart. So hat etwa die Galerie De Wit – Fine Tapestries aus Mechelen neben Tapisserien des 15. und 16. Jahrhunderts auch Alexander Calders 182 x 262 cm messenden Wollteppich „Serpent pressé“ mit auf die Messe gebracht. Auch die Galerie Hadjer aus Paris hat gleich mehrere Wandteppiche bekannter Künstler im Angebot. So etwa Joan Mirós „La Femme au miroir“ (1965) oder „Autumn Leaves“ (1971), ebenfalls von Alexander Calder.
Dass textile Wandbehänge heute wieder eine Renaissance erleben, wird dann am Stand der Galerie Nathalie Obadia (Paris, Brüssel) unter Beweis gestellt. Hier zu sehen ist ein Wandteppich mit dem Titel „We will keep cool“ (2023) der französischen Künstlerin und Turner-Prize-Gewinnerin von 2013 Laure Prouvost. Das surreal anmutende Werk zeigt eine Burgruine, die von Vögeln, Pflanzen und weiblichen Brüsten besiedelt ist. Das fluide Verschmelzen verschiedenster Daseinsformen ist typisch für Prouvosts Ansatz, der ihre Besorgtheit anlässlich des Klimawandels und Artensterbens mit humorvollen Anspielungen auf Mutterschaft und die Verbundenheit allen irdischen Lebens vereint.
Die Bernier/Eliades Galerie aus Athen wiederum hat eine Teppicharbeit des Belgiers Martin Margiela im Angebot. Der ehemalige Modedesigner, der seit einigen Jahren vornehmlich als bildender Künstler in Erscheinung tritt, präsentiert unter dem Titel „Grey Steps III“ (2023) eine eher konzeptuelle Arbeit, die in verschiedenen Grauabstufungen ein eher banales Treppenhaus zeigt.
Gut dazu passend bietet die Galerie von Vertes in Zürich eine kleine, aber sehr besondere Arbeit des 87-jährigen kalifornischen Konzeptkünstlers Ed Ruscha an. Das Blatt mit dem Titel „DOT # 4“ (2020) zeigt drei weiße Blockbuchstaben auf schwarzem Grund, die nach unten zu zerfließen scheinen. Sie fügt sich nahtlos in Ed Ruschas Wortbilder, Schießpulver- und Graphitzeichnungen ein und wird für 140.000 Euro angeboten.
Wer sich in seinem Sammlerleben bereits mit allen möglichen von Künstlerhand geschaffenen Artefakten ausgestattet hat, kann auf der BRAFA auch einen der neuesten Trends für betuchte Connaisseure entdecken. Ein jüngst hinzugekommenes Sammelgebiet sind nämlich seltene Naturalia. So präsentiert die Stone Gallery aus dem niederländischen Baarn nicht nur das aus der Nordsee geborgene Vorderbein eines Wollmammuts, sondern auch die Versteinerung eines schwangeren Ichthyosaurus. Die wie ein Gemälde an der Wand hängende, graue Steinplatte gibt den Blick frei auf zwei im Mutterleib enthaltene Babysaurier und wird für 1,2 Millionen Euro angeboten. Die Galeriebetreiber scheinen dabei nicht nur geschäftstüchtig sondern auch humorvoll zu sein. Die 180 Millionen Jahre alte Versteinerung bieten sie unter dem Namen „Mutti“ an und weisen darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um ein ganz „außergewöhnliches Fossil“, sondern auch „um ein Symbol für Mutterschaft, Fruchtbarkeit und Feminität“ handele.
Griechische und römische Statuen aus dem klassischen Altertum, Skulpturen des Bambara-Volks aus Mali, Gemälde der klassischen Moderne oder neuerdings Fossilien. Der gepflegte Eklektizismus ist sozusagen das Markenzeichen dieser Messe. Was auf anderen Kunstmessen als absolutes No-Go gelten würde, macht die Stärke der BRAFA aus. Man flaniert über diese Messe, bekommt hier und da ein Canapé, ein paar Macarons, ein Stück Schokolade, ein Glas Wein oder Champagner angeboten und verliert sich so im Strudel der Stile und Epochen – nur um am Ende doch genau das Passende zu finden. „Serendipity“, also das erfolgreiche Entdecken von Dingen, nach denen man eigentlich gar nicht gesucht hat, ist hier angesagt.
Im vergangenen Jahr hatte die Messe rund 67.000 Besucher. In diesem Jahr könnten es anlässlich des 70. Jubiläums sogar noch ein paar mehr werden.
Auf einen Blick:
Messe: Brafa Art Fair
Ort: Brussels Expo, Place de Belgique 1, 1020 Brüssel
Zeit: bis 2. Februar 2025, 27.1. nur auf Einladung, Di, Mi, Fr, Sa, So 11-19 Uhr, Do 11-22 Uhr
Katalog: Colophon, 368 Seiten, 20 Euro. Auch als kostenloser Download verfügbar unter:
Internet: www.brafa.art/de