Apple, Autos, Aufmerksamkeitsökonomie. Ein Gespräch mit Ina Grätz, Kuratorin der „Stylectrical“ Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg – über Etikettenschwindel, kaschierende Oberflächen und warum bald jeder seinen persönlichen CO2-Coach brauchen wird beim Kauf eines AAA-Kühlschranks.
Kann man sich Marken und Märkten heutzutage noch entziehen, also seinen Alltag mit Gegenständen bestreiten, bei denen es einem tatsächlich gleichgültig ist, von wem sie entworfen wurden oder was für ein Label draufklebt?
Ina Grätz: Produktdesign ist natürlich für die Corporate Identity sehr wichtig und letztendlich helfen uns die Marken bei der Orientierung.
Als „Labeling unserer eigenen Identität“?
Ina Grätz: Vielleicht auch einfach um über Qualität und Inhalte nachzudenken. In der Ausstellung haben wir das mit Zigarettenmarken verglichen – wenn man in einen Laden gehen würde, in dem die Packungen nicht bedruckt wären, dann würde man nicht mehr wissen was man auswählen soll. Natürlich kann man sich ein Leben vorstellen in dem man auf jegliche Marken verzichtet, aber auch da sind die Marken wieder eine Orientierung, sie sind dann vielleicht das „Feindbild“ an dem man sich orientiert.
Man kann kein Auto kaufen, von dem nicht sofort klar ist, wer der Hersteller ist und wofür dieser steht.
Ina Grätz: Bei Möbeln wäre das möglich – man könnte ausschließlich von Tischlern und Nachwuchsdesignern kaufen. Damit erschwert man sich das Leben auf eine bestimmte Weise und die meisten Menschen wollen es, zumindest beim Konsum, einfach haben. Dabei geht es um eine bestimmte Lebenshaltung. Wobei man natürlich aufpassen muss – in den 80ern ist ja so ein Markenwahn entstanden, bei dem es mehr um die Bilder einer Marke als um die tatsächlichen Werte ging.
Das ist heute nicht wirklich anders. Es heißt ja, in den 80er hättet sich alles um Hedonismus und Oberflächlichkeit gedreht. Sind wir da nicht wieder?
Ina Grätz: Ich glaube, man weiß mittlerweile mehr über die Produkte die man kauft. Ich glaube, das war in den 80ern doch noch etwas anders.
Ein Produkt muss heute nicht mehr langlebig hergestellt werden – weil die Nachfrage nach dem Update es nach kurzer Zeit ablöst.
Ina Grätz: Da schwingt natürlich eine Gesellschaftskritik mit – wir leben in einer Welt, in der viele Produkte nur sehr kurz benutzt werden. Ich denke, eine wichtige Frage ist: „Wie reagieren wir auf diese Beschaffenheit der Welt?“ Eine Möglichkeit, die auch in der Ausstellung vorgestellt wird, ist das „Cradle to Cradle“ Prinzip. Zu einer Gesellschaft, die wie eben beschrieben beschaffen ist, passt es sehr gut. Es wird nicht an der Idee der 80er Jahre angeknüpft und versucht Produkte zu schaffen, die ein Leben überdauern können – stattdessen wird mit Materialien gearbeitet, die immer wieder recycelbar sind ohne Müll zu produzieren. Es war mir wichtig, dass dieses Prinzip in der Ausstellung vorgestellt wird, denn wenn wir über elektronische Produkte sprechen, sprechen wir auch immer über Giftstoffe und über schwierige Produktionsbedingungen.
Friedrich von Borries: Ich sehe da eher die „Cradle to Cradle“-Lüge – die ist super. Das ist genau der Herbst dieser Ideologie – man kann immer so weiter machen wie bisher, man muss nur noch so einen kleinen, weiteren Twist hinzufügen und dann ist alles gut. Das „Cradle to Cradle“-Prinzip ist für den Teil der Welt, der an Beschleunigungen von Produktzyklen arbeitet und sich hernach mit der Ressourcen-Unlogik dabei versöhnen will. Ich würde sagen, dass dieses Prinzip zunächst mal eine Ideologie ist, weil technisch noch gar nicht zur Gänze umsetzbar.
Vor einigen Jahren standen auf der Cebit auf einmal Rechner, die einen „Ecologic“ Aufkleber in Form eines grünen Blattes trugen. Das war ja eigentlich schon Blödsinn, weil ein Rechner grundsätzlich nichts Ökologisches sein kann. Wenn ein Computerhersteller ökologisch ausgerichtete Hardware plant, resultiert das nicht aus einem ökologischen Gedanken. Es geht um ein neues, additives Verkaufstool, mit dem man sich positionieren kann. Der Impuls des Unternehmens ist kein ökologischer, sondern ein wirtschaftlicher – ein Verkaufs- und Marketinginstrument.
Ina Grätz: Klar, man kann auch bei vielen Herstellern beobachten, dass sie im Nachhinein moralvirtuos argumentieren und versuchen ihre Produkte „grüner“ zu machen. Das bedeutet dann, dass sie plötzlich auf bestimmte Schadstoffe verzichten, Schadstoffe, die sie aber lange Zeit selbstverständlich benutzt haben. Gerade dieses „Greenwashing“ ist überholt und funktioniert als Marketingstrategie lange nicht mehr so gut. Ich glaube, dass man mittlerweile eine selbstverständlichere Haltung hat – man erwartet von Unternehmen schlichtweg, dass sie nachhaltig produzieren.
Aus diesen Gründen werden Themen wie „Corporate Social Responsibility“ auch immer wichtiger – es lässt sich in einer Welt, in der jeder YouTube-Filme online stellen oder alles erdenkliche so schnell es geht twittern kann, weniger verbergen – Marken schreiben sich „Transparenz“ nicht zuletzt deshalb auf die Fahnen, weil das „unter den Teppich kehren“ schwerer wird. Wobei man sagen muss, dass die Methoden der Kaschierung schon enorm sind. Ölkonzerne konzipieren seit einigen Jahren Schulprogramme zu „Sustainability“ – um von der Tatsache abzulenken, dass sie den Großteil ihres Geschäfts mit Tiefbohrungen bestreiten.
Friedrich von Borries: Bei welcher Lüge fängt man an. Ich beginne gern mit der Vermeidungslüge. Unsere Gesellschaft glaubt ja tatsächlich, dass wir mit Triple-A-Kühlschränken den Klimawandel aufhalten können. Oder mit BlueEFFICIENCY – Autos. Das ist die Verlogenheitsfalle in der wir alle stecken. Das Tragische ist, dass es zunächst einmal sinnvoll ist, diese einzelnen Systembausteine ökologisch zu optimieren. Es gibt nur die Weigerung darüber nachzudenken, welche Systembausteine man eigentlich gar nicht bräuchte.
„Grünes-Denken“ hat sich davon wegbewegt. In den Anfängen ging es der Ökobewegung um Abkehr und Gegenentwürfe zum bestehenden, weltzerstörenden System. Heute ist „Grün“ zu einer vom System umarmten Lifestyle-Bewegung geworden. Der „Green Capitalism“ produziert eine enorme Kurzsichtigkeit, durch die wir voller Gutwertgefühl Triple-A-Kühlschränke kaufen.
Friedrich von Borries: Man sollte unbedingt zwei Triple-A-Kühlschränke haben – damit spart man doppelt so viel CO2. Das ist das frustrierende an unserer Gesellschaft: Sie will irgendwie Nachhaltigkeit, ist rückwärtsgewandt, konservativ, vergangenheitsfixiert, einsparfixiert. In Wirklichkeit ist sie eine „Aufwandserhöhungsgesellschaft“. Wenn ich in Zukunft meinen täglichen CO2 Verbrauch ausrechnen muss, werde ich einen private Nachhaltigkeitsberater engagieren müssen. „Personal CO2-Coach“ ist sicherlich eines der vielversprechendsten Jobprofile der Zukunft.