Vom Schund zum Kult: Die Ausstellung „Comicleben_Comiclife“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe beleuchtet die Emanzipation einer Kunstform.
High oder Low? Kinderbelustigung oder ernst zu nehmendes literarisches Genre – auch für Erwachsene? Die Frage, ob Comics zu den anspruchsvolleren Kulturgütern zählen oder getrost als Schundliteratur verbucht werden dürfen, hätte man vor 40 oder 50 Jahren noch mit einem eindeutigen Negativurteil beantwortet. Heute stellt sich die Situation wesentlich komplexer dar: Gut gemachte Comics gelten heute als ebenso eigenständige wie anerkannte Kunstform. Sogar der renommierte Suhrkamp Verlag vertreibt mittlerweile sogenannte „Graphic Novels“ – illustrierte Adaptionen literarischer Meisterwerke von Robert Musil bis Thomas Bernhard.
Da war es nur noch eine Frage der Zeit bis zum musealen Ritterschlag des Genres. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert jetzt in der Schau „Comicleben_Comiclife“ rund 400 Exponate rund um die sequenziellen Bilderzählungen. Zu sehen sind Zeichnungen, Comichefte, aber auch alles, was mit dem Thema zusammenhängt: Fan- und Merchandisingprodukte, Videosequenzen und Webcomics. Um das komplexe Themenfeld dem Betrachter näher zu bringen, wählten die Macher der Schau eine Art Kunstgriff: Sechs Repräsentanten des Mediums fungieren sozusagen als Kronzeugen.
Jeder wird mit seiner Biografie und seinen persönlichen Vorlieben porträtiert. Das Spektrum reicht von Dietrich Grünewald, einem Professor für Kunstdidaktik, der sich seit den späten 1960er Jahren wissenschaftlich mit Comics beschäftigt, über den serbisch-deutschen Star der Szene, Marko Djurdjevic, dessen machohaft-martialische Bildgeschichten wohl nur eingefleischte Fans vom Hocker reißen dürften, bis hin zur feingeistigen Graphic-Novel-Autorin Ulli Lust. Die in Berlin lebende Österreicherin erzählt Großstadtgeschichten vom Alltag im Szenestadtteil Prenzlauer Berg.
Sie taucht ein in die Welt von Fashionvictims und überforderten Szenemüttern. Für ihr 2009 erschienenes autobiografisches Hauptwerk „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ erhielt sie zahlreiche internationale Preise und Auszeichnungen. Der erfolgreiche Verleger von Alternativ- und Autorencomics, Dirk Rehm, wird ebenso vorgestellt wie der auf US-amerikanische Genre-Klassiker spezialisierte Comic-Galerist Carsten Laqua. Neben den Produzenten wird aber auch eine Konsumentin präsentiert: Die in der japanischen Manga-Szene beheimatete Nicole S. ist „Cosplayerin“ (engl. costume play = Kostümspiel). Sie und ihre Mitspieler verschmelzen geradezu mit ihren gezeichneten Helden, indem sie sich in deren Outfit inszenieren – Geschmackssache. Dass man in Hamburg dem Comic gegenüber besonders aufgeschlossen ist, zeigen die beiden jungen Kuratoren Dennis Conrad und Simon Klingler an Hand vor Ort entstandener Originalzeichnungen mit viel hanseatischem Lokalkolorit von Absolventen der Comic-Klasse von Prof. Anke Feuchtenberger an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Seit 1997 nämlich kann man hier einen akademischen Abschluss als Comic-Zeichner machen – und das ist in ganz Deutschland einzigartig.
Besonders Arne Bellstorfs melancholischer Bilderbogen „Baby’s in black“ über die Anfänge der Beatles auf St. Pauli zeigt, zu welch atmosphärisch dichten Darstellungen virtuose Bild- und Textkünstler das lange Zeit unterschätzte Medium Comic vorantreiben können.
Auf einen Blick
Ausstellung: comicleben_comiclife
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Zeit: bis 4. Mai 2014. Di-So 10-18 Uhr. Do 10-21 Uhr
Katalog: Kerber Verlag, 144 S., zahlreiche Farbabb., 24,90 Euro
Internet: www.mkg-hamburg.de