Der ZERO-Künstler Otto Piene ist am Freitag, den 18. Juni 2014 gestorben – einen Tag nach Eröffnung seiner großen Ausstellung in Berlin. Seine schwebenden Lichtobjekte haben seit 1968 weltweit für Furore gesorgt. Mit einer Ausstellung, einer Lichtkunstinstallation und einem spektakulären Sky Art Event wird der 86-jährige Visionär Otto Piene jetzt in Berlin geehrt.
Die Tage der Neuen Nationalgalerie in Berlin sind gezählt. Vorerst zumindest. Anfang Januar 2015 wird der 1968 eröffnete Bau Ludwig Mies van der Rohes geschlossen, um eine dringend notwendige Generalinstandsetzung durchzuführen. Der federführende Architekt ist kein Geringerer als der Brite David Chipperfield. Doch auch der kann nicht zaubern. Böse Überraschungen drohen sowohl von der maroden Bausubstanz als auch von der auf wackligen Beinen stehenden Finanzierung. Man sollte sich also – zumal in Berlin – auf eine Bauzeit einstellen, die weit länger dauert als die veranschlagten drei bis vier Jahre.
Wer die modernistische Grandezza dieses Baus zuvor noch einmal sinnlich erleben möchte, hat ab jetzt dazu Gelegenheit. Otto Piene, Jahrgang 1928 und Mitbegründer der internationalen ZERO-Bewegung, bringt den angezählten Prestigebau mit der Re-Inszenierung seiner bedeutenden Dia-Arbeit „The Proliferation of the Sun“ (Die Sonne kommt näher), die er 1967 für eine kleine Off-Bühne in New York entwickelt hatte, noch bis Ende August zum visuellen Grooven. 1120 Glasdias hat er damals mit den schillernden Farben des Regenbogens bemalt. Das Kodak-Diakarussell war gerade erfunden worden, und Piene nutzte die neue Technik, um Räume mittels Mehrfachprojektionen und rascher Bildwechsel in wahre Farborgien zu versetzen.
Man erinnere sich: Zur selben Zeit entstand Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker „2001: Odyssee im Weltraum“, und die erste Mondlandung 1969 warf ihre Schatten bereits voraus. Dem Besucher der nächtlichen Neuen Nationalgalerie, geöffnet ist von 22 Uhr bis 3 Uhr in der Früh, bietet sich jetzt ein Gesamtkunstwerk voller psychedelischer Lichteffekte. Digitalisiert und mittels modernster Technik in die offene Säulenhalle projiziert, offeriert die Multimedia-Arbeit dem Betrachter eine Vielzahl von Ansichten und Perspektiven. Bunte Formen, die an Einzeller, Unterwasserpflanzen, Sterne und ferne Planeten erinnern, entstehen immer wieder neu und überlagern sich mit den teils übergroßen Schatten der Besucher. Aus dem Off ertönt die Stimme Otto Pienes. Eine stadtbekannte Cocktailbar hat hier ihre temporäre Filiale eröffnet, und wer will, kann es sich auf einem der bereitliegenden Sitzsäcke bequem machen.
Gute-Laune-Kunst für Nachtschwärmer? Otto Piene kennt diese Reaktion auf die vermeintlich harmlose und angesichts von Kriegen und Katastrophen angeblich weltfremde Kunst der ZERO-Bewegung seit Jahrzehnten: „Wir haben den Zweiten Weltkrieg überlebt, und darüber waren wir glücklich und sahen es als eine Verpflichtung an, etwas daraus zu machen. Nämlich eine andere und bessere Welt“, sagte er jetzt in Berlin anlässlich der Eröffnung seiner zeitgleich laufenden Ausstellung in der Deutsche Bank Kunsthalle (Ex-Deutsche Guggenheim) Unter den Linden.
Rund 60 Rauch- und Feuerbilder, Lichtdrucke, Lichtskulpturen, Foto- und Videodokumente aus der Zeit zwischen 1952 und 1977 führen dort eindrucksvoll vor Augen, mit welch visionärer Kraft und Energie Piene, der seit Ende der 1960er Jahre seine Projekte in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern und Architekten am MIT in Boston entwickelt, Kunst, Wissenschaft und Technik miteinander vereinte.
Für den kommenden Samstag hatte sich der unermüdlich Arbeitende noch einmal etwas ganz Großes vorgenommen: Im Rahmen eines spektakulären „Sky Art Events“ lässt Piene, der zur Abschlussfeier der Olympischen Spiele 1972 in München mit seinem 700 Meter langen „Olympia-Regenbogen“ berühmt geworden ist, drei rund 90 Meter hohe, silbrig glänzende Helium-Luftskulpturen über der Neuen Nationalgalerie aufsteigen. Vielleicht erbarmt sich da ja auch der Himmel (oder die Berliner Politik) und beschert der Neuen Nationalgalerie eine möglichst baldige Wiedereröffnung in neuem, alten Glanz.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Otto Piene. More Sky
The Proliferation of the Sun
Ort: Deutsche Bank Kunsthalle, Berlin
und Neue Nationalgalerie
Zeit: bis 31. August 2014
täglich 10-20 Uhr (Kunsthalle)
Di-So 22-3 Uhr (Neue Nationalgalerie)
Katalog: Re-Print der Otto-Piene-Publikation „More Sky“ von 1973, Verlag Walter König, 237 S., 29,80 Euro
Internet: www.deutsche-bank-kunsthalle.dewww.ottopieneinberlin.de