Alles außer Kinder, Küche, Kirche: Die materialreiche Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ in der Hamburger Kunsthalle versammelt über 150 Arbeiten von 34 internationalen Künstlerinnen – alle Werke stammen aus der Sammlung Verbund in Wien.
Hamburg. Die kurzen Haare mit Gel in Form gebracht, strahlt der junge Doktor selbstbewusst in die Kamera. Ganz anders die Krankenschwester: Den Blick schwärmerisch zur Seite gewandt, schaut sie in Richtung des Arztes. Schürze und Schwesternhaube charakterisieren sie als offenbar untergeordnetes Element in der Krankenhaus-Hierarchie. Cindy Shermans 1980 entstandenes Foto-Diptychon „Untitled (Doctor and Nurse)“ spielt mit gängigen Klischees, wie sie auch heute noch existieren. Allein, es ist zweimal die Künstlerin selbst, die, wie immer auf ihren Aufnahmen, alle Rollen übernimmt. Die 1954 geborene New Yorkerin repräsentiert nur eine von 34 Positionen feministischer Avantgardekunst, die jetzt in der materialreich und tiefschürfend angelegten Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ in der Hamburger Kunsthalle zu sehen sind.
Die Schau mit Werken aus der Sammlung Verbund in Wien versammelt über 150 teils provokative, teils auch humorvolle und poetische Arbeiten von Künstlerinnen wie Eleanor Antin, Martha Rosler, Hannah Wilke, Orlan oder Ulrike Rosenbach. Die Tatsache, dass ausgerechnet die Verbund AG, Österreichs größter Stromanbieter, dezidiert gesellschaftskritische Kunst sammelt, überrascht zunächst, doch Sammlungsleiterin Gabriele Schor, die den Aufbau dieser weltweit einzigartigen Kollektion seit ihrer Gründung 2004 konsequent vorantreibt, betont, sie habe vollkommen freie Hand. Schor: „Mit dieser Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle wird die Kunstgeschichte umgeschrieben, insofern als der Kanon der Avantgarde erweitert wird.“ Cindy Sherman gehört übrigens zu den jüngsten Teilnehmerinnen der Schau. Fast alle anderen sind in den 1930er und 1940er Jahren geboren.
Was die Schau auf eindrucksvolle Art und Weise zeigt? In den 1970er Jahren entwickelten Künstlerinnen diesseits und jenseits des Atlantik erstmals ganz neue Strategien, um der Dominanz ihrer männlichen Kollegen eine radikal weibliche, vollkommen neu ausformulierte Ästhetik entgegen zu setzen. Die amerikanische Bürgerrechts- und Anti-Vietnambewegung wirkten als Katalysatoren einer Entwicklung, die, ausgehend von den USA, rasch auch in Europa und Lateinamerika Fuß fasste. Eines der provokativen Schlüsselwerke dieser Zeit ist eine Aufnahme von Lynda Benglis. Es zeigt die nackte und eingeölte Künstlerin mit einem Plastikpenis zwischen den Beinen. Da niemand das Bild veröffentlichen wollte, buchte Benglis 1974 kurzerhand eine doppelseitige Anzeige in der renommierten Zeitschrift Artforum. Wie zu erwarten, spaltete das Bild die Kunstwelt in erbitterte Gegner und flammende Befürworter. Die Ausstellung untersucht nicht zuletzt auch Fragen wie diese: Darf feministische Kunst die Frau überhaupt als erotisch darstellen oder sollte sie, um ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, nur ungeschminkt und in Latzhosen praktiziert werden?
Die Hamburger Schau zeigt beide Seiten. Martha Rosler agiert da in ihrem Video „Semiotics of the Kitchen“ (1975) als gefrustete, aber wehrhafte Hausfrau, die gängige Küchengeräte auf ihre Waffentauglichkeit hin testet. Valie Export ist mit ihrer berühmten Aktion „Tapp- und Tastkino“ vertreten. 1968 bot sie wildfremden Passanten an, ihre unter einem Pappkarton verborgenen Brüste zu berühren. Nicht wenige griffen zu und entlarvten so ihren handfesten Voyeurismus. Daneben sind es aber auch gerade Arbeiten von eher unbekannteren Künstlerinnen, die einen Besuch der Schau lohnend machen. Beeindruckend und berührend zugleich ist zum Beispiel das 1979 entstandene Video „Change – My problem is a problem of a woman“, in dem die polnische Künstlerin Ewa Partum eine Hälfte ihres damals noch jungen Körpers auf alt schminken ließ, um so den meist von Männern propagierten Irrglauben, nur eine junge Frau könne auch attraktiv sein, provokant zu hinterfragen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Feministische Avantgarde der 1970er Jahre. Werke aus der Sammlung Verbund, Wien
Ort: Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart
Zeit: 13. März bis 31. Mai 2015. Di-So 10-18 Uhr. Donnerstag 10 bis 21 Uhr, vor Feiertagen 10 bis 18 Uhr, Gründonnerstag, Ostersonntag, Ostermontag 10 bis 18 Uhr, 1. Mai 12 bis 18 Uhr
Christi Himmelfahrt 10 bis 18 Uhr, Pfingstsonntag und Pfingstmontag 10 bis 18 Uhr
Katalog: Prestel Verlag, 512 Seiten, 200 farbige Abbildungen, 500 s/w Abbildungen, 39 Euro (Museum), 59 Euro (Buchhandel)
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de
http://www.verbund.com/kt/de/