Das Berliner Ausstellungshaus PalaisPopulaire by Deutsche Bank zeigt jetzt „Playtime“, eine zehn Jahre alte, kapitalismuskritische Videoinstallation von Isaac Julien, die aktueller denn je ist
Es ist wohl nicht zu viel behauptet, dass sich der insbesondere in den Medien Film, Fotografie und Installation arbeitende Londoner Künstler Isaac Julien, Jahrgang 1960, zur Zeit auf dem Höhepunkt seiner internationalen Karriere befindet. Im vergangenen Jahr wurde er nicht nur in seiner Heimat Großbritannien zum Ritter geschlagen, sondern in Deutschland auch mit dem Goslarer Kaiserring geehrt. Und zur Zeit ist seine neueste Fünf-Kanal-Videoprojektion „Once Again…(Statues Never Die)“ auf der 15. Sharjah Biennale in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu sehen, die noch bis zum 11. Juni 2023 läuft und in ihren Grundzügen von dem verstorbenen Kurator Okwui Enwezor konzipiert wurde. In der dort gezeigten Arbeit wird auf vielschichtige Art und Weise das Thema des Sammelns und der Restitution afrikanischer Kulturgüter, insbesondere Masken und Skulpturen, verhandelt. Wie in allen Arbeiten Isaac Juliens werden gesellschaftlich brisante Fragestellungen, namentlich Rassismus und Postkolonialismus, in ebenso komplexen wie elegant gefilmten Bildfolgen untersucht.
In Berlin dagegen waren Isaac Juliens Multikanal-Filminstallationen noch nicht so prominent vertreten. Das von der Deutschen Bank betriebene Ausstellungshaus PalaisPopulaire in der direkten Nachbarschaft zur Staatsoper Unter den Linden schließt jetzt diese Lücke. In Zusammenarbeit mit der im nordrhein-westfälischen Herford beheimateten Sammlung Wemhöner, deren Leiter Philipp Bollmann die Ausstellung auch kuratiert hat, werden eine zentrale Filminstallation sowie einige großformatige Fotografien Isaac Juliens präsentiert. Bereits in der Vergangenheit hatte das PalaisPopulaire wiederholt mit internationalen Privatsammlungen kooperiert.
Der aus dem Jahr 2013 stammende Film „Playtime“ bringt vor der Folie der damals fünf Jahre zurückliegenden Finanzkrise ganz unterschiedliche Protagonist:innen des globalen Kapitalismus zusammen. Ein besonderes Augenmerk legt er auch auf Akteur:innen des Kunstbetriebs. Was Isaac Julien bei der über drei Jahre währenden Konzeption dieser Arbeit umtrieb, war die Frage, wie sich das in Zeiten digitaler Geldflüsse nahezu unsichtbar gewordene Kapital überhaupt visualisieren und in einem künstlerischen Medium greifbar machen lässt. In seinem Film treten zwei sehr selbstbewusste Londoner Hedgefonds-Manager, ein isländischer Künstler, der in der Finanzkrise sein Haus verloren hat, eine chinesische TV-Reporterin, der sich selbst darstellende, weltberühmte Auktionator Simon de Pury, ein Londoner Galerist und ein philippinisches Dienstmädchen in Dubai auf. Verwoben werden also die Geschichten von Profiteuren, Verlierern, Trittbrettfahrern, Beobachtern und brutal Ausgebeuteten des globalen kapitalistischen Systems.
Alle dargestellten Charaktere sind inspiriert von realen Personen, die Isaac Julien persönlich kennt und im Vorfeld der Produktion ausführlich interviewt hat. Der Titel „Playtime“ geht zurück auf den gleichnamigen Film des französischen Regisseurs Jacques Tati aus dem Jahr 1967, der auf humorvolle Art und Weise das extrem durchgetaktete Leben in einem hypermodernen Paris, das nur noch aus Hochhäusern und Firmenzentralen zu bestehen scheint, auf die Schippe nimmt. In Deutschland kam dieser unter dem Titel „Tatis herrliche Zeiten“ ins Kino.
Im PalaisPopulaire wird „Playtime“ als 64-minütige Drei-Kanal-Installation gezeigt. Isaac Julien, der für seine bis ins kleinste Detail ausgefeilten Filmarbeiten bekannt ist, gelingt es in dieser Arbeit, einen von elektronischer Musik, arabischen Sounds, coolen Trompetenklängen und beatlastiger Percussion untermalten, suggestiven Bilderfluss zu erzeugen. Dieser versetzt die Betrachter:innen an so unterschiedliche Orte wie eine lichtdurchflutete Londoner Büroetage, die Straßenschluchten von Dubai, ein mit viel Kunst ausgestattetes Apartment, halbfertige Baustellen, luxuriöse Einkaufszentren, die arabische Wüste, die schneebedeckte isländische Weite, ein zwangsgeräumtes Wohnhaus, die Zentrale des Auktionshauses Phillips de Pury und in eine Londoner Blue-Chip Galerie.
Ausgesprochen ruhige Bildfolgen, etwa in Form einer Kamerafahrt durch ein Server- und Rechenzentrum, wechseln sich ab mit hektisch geschnittenen Sequenzen, in welchen Geschwindigkeit, Beschleunigung und Vernetzung anhand von Aufzügen, U-Bahnen und vielspurigen Stadtautobahnen symbolisiert werden. Vertikalität und Horizontalität, taghelles Licht und tiefe Dunkelheit reichen sich ebenso die Hand wie Schneelandschaft und Wüste, die Einsamkeit bestimmter Protagonist:innen und das wuselige Treiben in Börsensälen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Den großsprecherischen Dialogen der Hedgefonds-Manager werden die berührenden Aussagen der Perspektiv- und Mittellosen gegenübergestellt. Insbesondere das Schicksal der nahezu versklavten philippinischen Hausangestellten, die ihre zwei Kinder bei deren Großmutter zurücklassen musste, um in Dubai das Familieneinkommen zu erwirtschaften, spiegelt eine erschütternde Realität wider, die sich auch in den zehn Jahren seit der Produktion von „Playtime“ nicht geändert hat. Man denke nur an die hohe Zahl der beim Bau der WM-Stadien in Katar ums Leben gekommenen Bauarbeiter aus südasiatischen Entsendestaaten wie Pakistan und Bangladesch.
Trotz der von ihm in den Fokus gerückten brisanten gesellschaftlichen Themen wie Migration, Rassismus, Postkolonialismus und Ausbeutung von Arbeitskräften gelingt es Isaac Julien mit „Playtime“, die Klippen der betulichen Sozialreportage zu umschiffen. Seine Filme zeichnen sich durch eine sinnlich-poetische Bildsprache genauso aus wie durch die perfekte Beherrschung aller nur erdenklichen filmischen Mittel wie etwa Zeitlupe und Zeitraffer, rhythmisierte Schnittfolgen, gewagte Perspektiven, kühne Kamerafahrten oder die virtuose Beherrschung von Fokussierung, Tiefenschärfe und wirkungsvoll eingesetzten Unschärfen. Und ähnlich wie bei Jacques Tati, jedoch weitaus unterschwelliger und intellektueller, kommen auch Ironie und Humor nicht zu kurz.
Nicht zuletzt wird in „Playtime“ auch die Gier des Kunstbetriebs auf immer neue Auktionsrekorde, vielversprechende Newcomer, millionenschwere Toplose und vermögende Kunden kompromittiert. Der im Film immer wieder niedersausende „goldene“ Auktionshammer von Simon de Pury, dem zur Zeit der Dreharbeiten wohl berühmtesten internationalen Auktionator, scheint Isaac Julien das passende Symbol dafür zu sein.
Die Sammlung Wemhöner, der diese auch nach zehn Jahren immer noch beeindruckende und hochaktuelle Filminstallation gehört, wird übrigens in circa zwei Jahren in die Räumlichkeiten eines Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Kreuzberger Ballsaals einziehen, der zur Zeit noch restauriert wird und in Zukunft nicht nur für Ausstellungen sondern auch für Theater- und Literaturabende genutzt werden soll.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Isaac Julien: Playtime. Werke aus der Sammlung Wemhöner
Ort: PalaisPopulaire by Deutsche Bank, Unter den Linden 5, 10117 Berlin
Zeit: 8. März bis 10. Juli 2023, täglich 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr, dienstags geschlossen, Eintritt frei
Katalog: erscheint im Mai 2023, Kerber Verlag, ca. 200 S., zahlreiche Farbabb., deutsch-englisch, ca. 40 Euro
Internet: www.palaispopulaire.db.com