MAMA – Von Maria bis Merkel. Das Museum Kunstpalast Düsseldorf zeigt rund 120 Exponate von Sakralkunst aus der Renaissance bis hin zu breit gestreuten Werken der Gegenwart wie einer schwangeren Barbie-Puppe

Der SPIEGEL: Mutter Angela 39/2015, Zeitschrift, 2015, Stiftung Museum Kunstpalast, Foto: LVR-ZMB – Annette Hiller.
„Auf Wiedersehen, Mutti!“
Wenige Tage vor der Eröffnung der Ausstellung erlaubte sich der Kunstpalast einen PR-Gag und ließ ein Merkel-Double in einer schwarzen Limousine vorfahren. Generaldirektor Felix Krämer persönlich führte die Imitatorin durch den Ausstellungssaal. Ihr besonderes Interesse erregte passenderweise ein prägnantes Coverbild des SPIEGEL aus dem September 2015, welches die damalige Bundeskanzlerin mit weiß-blauem Kopftuch als „Mutter Angela“ zeigt. Das Magazin spielte damals auf Merkels Reaktion auf die wachsenden Zahlen Geflüchteter an und auf ihren entschlossenen Aufruf: „Wir schaffen das!“. Für ihre eindeutige Position wurde die hier als Mutter Teresa dargestellte, christlich geprägte Politikerin bewundert. Aus „Kohls Mädchen“, wie sie zu Beginn ihrer Karriere abfällig genannt wurde, war eine souveräne Staatslenkerin geworden. Menschlichkeit stand auf ihrer Agenda.
Dieses SPIEGEL-Cover, aber auch kritische Abbildungen wie ein Karnevalswagen von der Hand des Düsseldorfer Bildhauers Jacques Tilly ( Jahrgang 1963), sind in der Schau zu sehen. Im Jahr 2009 hatte Tilly Merkel als „Die kapitulierende Wölfin“ dargestellt, an deren drei Brüsten („Konjunktur-Pakete“, „Abwrack-Prämie“ und „Hilfsfonds“) sich Säuglinge laben. Während das SUNDAY TIMES Magazine Merkel auf Deutsch verabschiedete: „Auf Wiedersehen, Mutti“, wählte die so geehrte zu ihrem Zapfenstreich den DDR-Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“, der einst Nina Hagen ( Jahrgang 1955) berühmt machte.

Jacques Tilly: Karnevalswagen (2009), Foto: Janine Flethe
Unbeschreibliche Weiblichkeit
Eine 7inch-Single der Punkmusikerin ist in der Ausstellung ebenfalls zu finden. In ihrem Song „Unbeschreiblich weiblich“ von 1978, thematisiert Nina Hagen den Konflikt einer Frau zwischen Kinderwunsch und Abtreibung auf differenzierte und durchaus konfrontative Weise. Sie singt:
„Marlene hatte andere Pläne
Simone Beauvoir sagt: „Gott bewahr!“
Und vor dem ersten Kinderschreien
Muss ich mich erstmal selbst befreien
Und augenblicklich fühl‘ ich mich
Unbeschreiblich weiblich, weiblich“

Nina Hagen, Unbeschreiblich Weiblich, Plattencover, 1978, 18,7 x 18,7cm, © Kunstpalast, Foto: LVR-ZMB – Annette Hiller
Die am 11. März 70 Jahre alt gewordene Sängerin bezieht sich auf die dem Muttersein skeptisch gegenüberstehende Schauspielerin und Stilikone Marlene Dietrich sowie auf die kinderlos gebliebene Vorreiterin der zweiten Welle des Feminismus, Simone de Beauvoir. Für die liebevoll als „Godmother of Punk“ titulierte war es wichtig, sich „erstmal selbst (zu) befreien“, bevor sie Kinder bekommen wollte. Deshalb entschied sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch.

Einblick in die Ausstellung MAMA. Von Maria bis Merkel, Foto: © Lars Heidrich
Süßliche Nostalgie
Ebenfalls musikalisch beginnt die Ausstellung. Im ersten Raum wird ein Ausschnitt aus dem Film „Zum Teufel mit der Penne“ gezeigt, in dem der niederländische Kinderstar Heintje seinen berühmten Schlager „Mama“ darbietet. An der Seite des österreichischen Sängers und Entertainers Peter Alexander, der in der Komödie aus dem Jahr 1968 einen Lehrer spielt, mutet der damals dreizehnjährige Heintje als perfekte Verkörperung des Traums aller biederen Mütter und Großmütter an, brav, artig und folgsam.

Die Kuratorinnen Linda Conze, Westrey Page, Anna Christina Schütz, Foto: Janine Flethe
Laut Westrey Page, die die Schau zusammen mit Linda Conze und Anna Christina Schütz kuratiert hat, begleitete der Ohrwurm „Mama“ alle Mitarbeitenden während der Vorbereitungsphase. Und auch im Ohr des Besuchers hallt der zuckrige Klang der Schnulze lange nach. Indes weist der Welthit eine unschöne Vorgeschichte auf, wurde die Originalversion doch von dem im faschistischen Italien erfolgreichen Tenor Beniamino Gigli gesungen. Eigentlich geht es um die glückliche Rückkehr eines Mannes zu seiner alten Mutter. Durch das kindliche Auftreten Heintjes wurde die im Faschismus wurzelnde Botschaft des Liedes relativiert. Zahlreiche Interpret:innen, wie DDR-Schlagerstar Bärbel Wachholz (1965) sowie, kurz vor der Jahrtausendwende Luciano Pavarotti im Duett mit Latin-Pop-Sänger Ricky Martin lieferten eigene Versionen von „Mamma“, so die ursprüngliche Schreibweise. Neben der von Heintje sind auch diese Interpretationen Teil der Ausstellung.
Interessant ist in Bezug auf die hier süßlich-nostalgisch intonierte, bedingungslose Liebe des Kindes, dass jeder Mensch eine ureigene Beziehung zu seiner Mutter hat oder hatte. Die findet auch auf dem Gebiet der Sprachentwicklung statt, welcher das Wort MAMA zugrunde liegt. Wir assoziieren mit diesem in der Sprachwissenschaft Affektgemination, also
Verdopplung von Silben in der Kindersprache, genannten Phänomen unsere Eltern, „Mama“ und „Papa“. Viele sprechen ihre Eltern auch in der Jugend oder im Erwachsenenalter weiterhin mit solchen lautmalerischen Kosenamen an. Felix Krämer wies im Rahmen der Pressekonferenz auf die Emotionalität und die subjektiven Empfindungen hin, die beim Betrachten der Werke, welche zu fünfzig Prozent aus dem eigenen Hause stammen, ausgelöst werden, und auf die man sich im Rahmen der Kampagne bezog. Bewusst sei auf Fotos verzichtet worden, zugunsten von einprägsamen Slogans wie „Mama, ich hab dich lieb“.

Babyflasche, Jenaer Glas, um 1960, Stiftung Museum Kunstpalast, Foto LVR-ZMB – Annette Hiller
Relevanz für ein breites Spektrum an Besuchern
Es sei ein erklärtes Ziel, ein möglichst breit gefächertes Publikum anzusprechen, damit die Schau beispielsweise zum Anlass für einen Familienausflug genutzt werden könne, so Felix Krämer. Aus diesem Grunde öffnet der Kunstpalast seine Pforten an einem Tag zum kostengünstigen Ticketpreis von fünf Euro. Für Besucher:innen, die eher selten in Museen gehen, sei die Tatsache relevant, dass nicht nur Werke aus der Kunstgeschichte präsentiert werden, sondern auch Alltagsgegenstände, wie eine Brustpumpe aus den 1950er Jahren, eine DDR-Babyflasche aus dem Jahr 1970 oder der Kinderhochstuhl „Tripp Trapp“ von 1972. Im Begleitprogramm werden zudem Yoga-Kurse oder eine Hebammensprechstunde angeboten. Den Audioguide las die beliebte Schauspielerin Marie-Luise Marjan ein, die jahrzehntelang die „Mutter Beimer“ in der TV-Serie Lindenstraße darstellte.
Vielfältig ist auch das Begleitprogramm der Ausstellung. Das Berliner Ensemble gastiert mit dem Stück „#Motherfuckinghood“ im Kunstpalast. Im Anschluss an die Aufführung sprechen Dr. Christian Utler, Frauenarzt, Psychotherapeut und CEO des Sponsors VALEARA, und die Soziologin Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger über die Rolle der Mutter früher, heute und in der Zukunft. Der Fokus des Gesprächs wird auf dem Thema „Seelische Gesundheit“ liegen. Utler zufolge sind die Hälfte der Patienten der Zentren für Seelische Gesundheit, deren Geschäfte er leitet, Frauen. Oft hängen ihre Erkrankungen mit Faktoren zusammen, die durch problematische Mutterrollen, Schwangerschaften, Abtreibung oder Scheidung bedingt wurden.

Judith Samen, Brotschneiden, 1997, Chromogener Farbabzug, 135 x 91 cm, Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: © Judith Samen
Dass Mutterschaft in der Gegenwart von hohen Erwartungen und Anforderungen geprägt ist, spiegelt sich auch auf der Fotografie von Judith Samen, mit dem Titel „Brotschneiden“ (1997), wider, welche eine überfordert wirkende junge Mutter zeigt, die mit dem Messer ein Brot bearbeitet, während sie ihr Kleinkind nachlässig im Arm hält. Der Zwiespalt ist bekannt: Wenn eine Mutter relativ kurz nach der Geburt wieder arbeiten geht und ihr Kind in die Kita gibt, gilt sie als „Rabenmutter“. Tut sie das nicht, muss sie sich unter Umständen den Vorwurf gefallen lassen, altbacken oder hausmütterlich zu sein. Wobei aus bestimmten Milieus heutzutage wieder unheilvolle Rufe nach gebärfreudigen Müttern und völkischen Familien laut werden.
Die Kluft, die sich für viele moderne Mütter auftut, wird in der Ausstellung anhand von pädagogischen Standardwerken aus verschiedenen Dekaden veranschaulicht. Unter der NS-Diktatur hatte die höchste Auflage Johanna Haarers Mütterratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der DDR verboten wurde. Während das Mutterbild zur Zeit des Nationalsozialismus – und weit darüber hinaus – darin bestand, dass sich die Mutter um Kind und Haushalt kümmerte, erschien es in der DDR progressiver. Hier wurde es als selbstverständlich angesehen, dass Mütter arbeiteten. Auch der „späten Mutterschaft“ widmet sich die in einem Buchregal präsentierte Fachliteratur. Noch zu Beginn der 1990er Jahre wurden Frauen über 35 vor erheblichen Gefahren und Komplikationen während der Schwangerschaft und der Geburt gewarnt. Heutzutage gibt es sehr viel ältere Mütter, wie etwa die mit 50 zum ersten Mal Mutter gewordene Popsängerin Janet Jackson.

Muttergottes, ca.1400, Kunstpalast, Foto © Kunstpalast – ARTOTHEK – Horst Kolberg
Die Muttergottes und der Maternal Man
Archetyp der guten Mutter in der Kunst ist die Madonna mit dem Kinde, auch Mater Dei oder Gottesgebärerin genannt. Im zweiten Raum der Ausstellung befindet sich eine hohe, mit diversen Madonnen bestückte Wand. Die Skulpturen ähneln sich auf den ersten Blick, beim näheren Hinschauen offenbart sich den Betrachtenden jedoch, wie vielfältig und individuell die Figuren gestaltet sind. Eine besonders eindrucksvolle, um 1400 entstandene Muttergottes stellt die keusche Maria mit subtil gearbeiteten Gesichtszügen, welligen Locken und einem Gewand dar, dessen elegant fließender Faltenwurf die hohe Meisterschaft des unbekannten Künstlers beweist.
Neben dem Motiv der Mutter mit dem Jesuskind erfreut sich in der Kunstgeschichte, insbesondere in (Früh)-Renaissance, die Verkündigungsszene (Annuntiatio Domini) hoher Beliebtheit. Sie veranschaulicht Maria beim Studium der Bibel, während sie vom Erzengel Gabriel besucht wird. In vielen Darstellungen bringt das Himmelswesen eine weiße Lilie, Symbol von Reinheit und Jungfräulichkeit, um Maria die Empfängnis zu verkünden. Manche Künstler fügen der Szene auch eine Taube bei, die auf den Heiligen Geist hindeutet. Einen derartig nachdrücklichen Fingerzeig auf die transzendentale, von Zeit und Raum enthobene Sphäre des Geschehens, lässt die in der Schau gezeigte Gegenwartskunst oftmals vermissen.

Alice Neel, The Family, 1980, Öl auf Leinwand, 147 x 127 cm, © bpk / Sprengel Museum Hannover, Leihgabe aus Privatbesitz / Herling/Herling/Werner.
Viele Werke wirken verflacht und seelenlos, wie etwa Alice Neels Gemälde The Family von 1980. Obwohl sie sich selbst als „Seelensammlerin” bezeichnete, gelingt es der zur zweiten Welle des Feminismus gehörenden Künstlerin nicht, ihren Arbeiten jene psychologische Präzision und die damit einhergehende notwendige Tiefe zu verleihen, die ihnen oft nachgesagt wird. Louise Bourgeois, berühmt für ihre gigantischen Spinnenfiguren Mamans hingegen adelt ihr Werk mit einer gewissen Abgründigkeit. So auch beim Maternal Man von 2008. Vermittels eines Druckverfahrens, gepaart mit Stickerei, wirft sie einen schwangeren Mann auf einen Untergrund aus Textil und bewirkt damit bei den Betrachtenden einen Denkanstoß in Bezug auf mögliche, medizinische Kinderzeugungsmodelle der Zukunft.
Sumi Anjuman (*1989 in Bogura, Bangladesh) protestiert in ihren Werken gegen patriarchale, gender- und sexualitätsspezifische Unterdrückung, und intendiert, einen kollaborativen Heilungsprozess anzuregen. Ihr Beitrag zur Schau trägt den Titel „I am the mother too“ und stammt aus dem Jahr 2019. Zu sehen ist ein bärtiger Mann mit einem Baby auf dem Arm. Seine blau-weiße Gewandung, die aus dem dominanten Grün der Wiese, auf der er steht, hervorsticht, gemahnt an die Madonnen der Renaissance. Ein solcher Bezug kann dazu dienen, das Mutterbild aus der zum Teil immer noch harten Kruste des Patriarchats zu befreien und für alle Geschlechter und Hautfarben zu öffnen.

Louise Bourgeois, The Maternal Man, 2008, Druck und Stickerei auf Textil, 26,6 x 20,3 cm, Sammlung Köser, Köln, Foto: © LVR-ZMB – Annette Hiller
Die Düsseldorfer Schau vereint mit den vielfältigen Ausstellungsstücken ein buntes, für Besucher mit den unterschiedlichsten Hintergründen interessantes Panorama, welches zu eigenen Interpretationen und Diskussionen, seien sie politischer, soziologischer kunsthistorischer, philosophischer oder sonstiger Art, anregen kann.

Sumi Anjuman, I am the Mother too, 2019 Tintenstrahldruck, Dauerleihgabe der Freunde des Kunstpalastes, Foto: © Sumi Anjuman
Auf einen Blick:
Ausstellung: MAMA. Von Maria bis Merkel
Ort: Museum Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4-5
Zeit: bis 3. August 2025. Di bis So 11 bis 18 Uhr, Do 11 bis 21 Uhr, Mo geschlossen
Katalog: HIRMER Verlag, 200 Seiten, 135 Abbildungen, 45 Euro
Internet: www.kunstpalast.de

Marta Worringer, Mutter, 1926, Tempera auf Papier, 47,5 x 35,7 cm, Kunstmuseum Bonn, Foto: © Reni Hansen