Perücke, Burka, Ordenstracht: In der Ausstellung „Cherchez la femme“ untersucht das Jüdische Museum Berlin jetzt Geschichte und Gegenwart weiblicher Verschleierung
Der „Burkini-Krieg“, der im vergangenen Sommer an den südfranzösischen Stränden ausbrach, brachte ein Thema von großer gesellschaftlicher Sprengkraft schlagartig in die Öffentlichkeit. Auch wenn die französischen Gerichte das zeitweise Verbot der Ganzkörperbadeanzüge schnell wieder aufhoben, so ist doch Woche für Woche von Kopftuchverboten, Burkaerlassen oder anderen Einschränkungen der Vollverschleierungen in Europa zu lesen. Zuletzt sorgte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das das Kopftuchverbot in Firmen rechtfertigte, für Furore. Und gerade diese Woche hat die österreichische Regierung ein Vollverschleierungsverbot beschlossen, das bei Zuwiderhandlung eine Geldstrafe von 150 Euro vorsieht.
All das ist „Anlass für das Jüdische Museum Berlin, einen Blick auf die weibliche Verschleierung und ihre Bedeutung für Judentum, Christentum und Islam zu werfen“, so Miriam Goldmann, eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung „Cherchez la femme. Perücke, Burka, Ordenstracht“. Auf rund 400 Quadratmetern untersucht die Schau das Phänomen der weiblichen Kopfbedeckung von den antiken Ursprüngen vor rund dreitausend Jahren im heutigen Mesopotamien bis hin zur aktuellen Praxis in den drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Nicht zuletzt geht es um die Frage, wie viel offen zur Schau gestellte Religiosität die säkulare Mehrheitsgesellschaft erträgt.
Neben der kulturgeschichtlichen Aufarbeitung des Themas zeigt die Ausstellung aber auch zahlreiche künstlerische Interpretationen. Ein besonderer Hingucker ist die Skulptur „Chelgis I“ der aus dem Iran stammenden, in Schweden lebenden Künstlerin Mandana Moghaddam. Sie bezieht sich auf ein persisches Märchen, in dessen Mittelpunkt ein gefangenes Mädchen steht, dessen Figur von 40 geflochtenen Zöpfen so komplett bedeckt ist, dass ihr Gesicht hinter dem haarigen Schleier verborgen bleibt.
Selbstverständlich geht die Ausstellung auch auf die Verhüllung des Haares im orthodoxen Judentum ein. Gerade unter chassidischen Jüdinnen, beispielsweise in Antwerpen, ist es bis heute üblich, dass die Frauen nach der Hochzeit die eigene Haartracht mit Kopfbedeckungen oder bis zu mehrere Tausend Euro teuren Echthaarperücken fremden Blicken entziehen. Ein Brauch, der von säkularen Jüdinnen eher kritisch beäugt und als unzeitgemäß und unfeministisch kritisiert wird. Orthodoxe Jüdinnen sehen das jedoch ganz anders: Es geht ihnen um ein öffentliches Bekenntnis zum gelebten Judentum. Die Schau versucht, zwischen diesen Positionen zu vermitteln.
Im Kapitel über muslimische Kopf- und Körperbedeckungen zeigt die Berliner Ausstellung, dass Kopftuch keineswegs gleich Kopftuch ist. Muslimische Frauen ganz verschiedener Richtungen kommen in einer Multimedia-Inszenierung zu Wort. Der Besucher erfährt, dass man am Stil des Kopftuchs den Familienstand, den Bildungsgrad und auch die individuelle Haltung zu religiösen Geboten präzise ablesen kann. Ebenso provokant wie humorvoll geht die türkische Künstlerin Nilbar Güreş das Thema in ihrer Videoperformance „Undressing“ an. Anfangs über und über mit Schleiern und Tüchern bekleidet, legt sie diese nach und nach ab. Außerdem sind Bilder vom Catwalk der „Modest Fashion Week“ in Istanbul zu sehen. Sittsamkeit als Megatrend: Der Versuch, zeitgemäße Mode mit religiösen Vorschriften zu vereinen, hat seit einigen Jahren Konjunktur. Fast unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit, haben Designer wie Dolce & Gabbana, Tommy Hilfiger oder Donna Karan längst die religiös eingestellte Muslima als zahlungskräftige Kundin entdeckt.
Natürlich kommt auch das Christentum nicht zu kurz. Hier beleuchtet die Schau den bis heute üblichen Gebrauch des Schleiers in den Ostkirchen und bei radikalprotestantischen Baptistengemeinschaften. Auf die Kopfbedeckung katholischer Ordensfrauen wird ebenso eingegangen wie auf die bis heute geltende Vorschrift, dass Frauen bei päpstlichen Privataudienzen die sogenannte Mantille, einen Kopfschleier zu tragen haben.
Dem Jüdischen Museum Berlin ist mit „Cherchez la femme“ eine Ausstellung gelungen, die das Thema (inter-)religiöse Toleranz, festgemacht am Beispiel der weiblichen Verhüllung von Kopf und Körper, in seinen historischen Facetten und seiner aktuellen Brisanz profund beleuchtet – ohne jedoch didaktisch zu werden. Dafür sorgen nicht zuletzt die 14 ebenso locker wie überzeugend in die Schau eingestreuten künstlerischen Positionen.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Cherchez la femme. Perücke, Burka, Ordenstracht
Ort: Jüdisches Museum Berlin, Eric F. Ross Galerie
Zeit: bis 2. Juli 2017. Mo 10-22 Uhr. Di-So 10-20 Uhr
Katalog: zur Ausstellung erscheint die 16. Ausgabe des JMB Journals mit dem Titel Cherchez la femme, 76 S., 2 Euro
Internet: www.jmberlin.de