Georg Baselitz wird 80: Mit gleich zwei umfangreichen Retrospektiven zu seinem runden Geburtstag feiert Basel jetzt den in Sachsen geborenen Maler und Bildhauer
Seine Bilder bezeichnet er als „Dokumente meiner Unvernunft“. Er habe sein Talent stets verleugnet und trotzdem gute Bilder gemalt, resümiert Georg Baselitz, der am 23. Januar seinen 80. Geburtstag feiert, jetzt anlässlich der großen Retrospektive seiner Werke in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Baselitz sieht sich bis heute gern als Sonderling. Allerdings als durchaus erfolgreichen: „Aus meinen nur aggressiven, bösartigen Bildern sind im Laufe der Jahrzehnte gute Bilder geworden“, sagt er. Gemeint ist die ebenso kurze wie heftige „pandämonische Phase“ Anfang der 1960er Jahre. Diese provokanten Werke stellt Kurator Martin Schwander denn auch an den Beginn des chronologisch geordneten Parcours. So das Masturbationsbild „Die große Nacht im Eimer“ (1962/63). Das kurzzeitig von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Bild eines onanierenden Jungen mit übergroßem Phallus sorgte 1963 für einen handfesten Kunstskandal. Ebenso umstritten war damals aber auch die elfteilige Werkgruppe „P.D. Füße“ (1960-1963), die amputierte Gliedmaßen vor dunklen Hintergründen zeigt.
Die Basler Retrospektive versammelt rund 90 Gemälde und zwölf Skulpturen aus dem Zeitraum zwischen 1959 bis 2017, darunter viele zentrale Werke. Was die Schau besonders spannend macht, sind gerade auch die nahezu atelierfrischen Werke, die kraftvoll unter Beweis stellen, dass Baseliz seine Malerei auch im fortgeschrittenen Alter weiterentwickelt und neu erfindet. Ergänzt wird die große Bilderschau noch um eine weitere lohnenswerte Ausstellung im Kunstmuseum Basel. Hier sind zeitgleich 103 Werke auf Papier zu sehen. Vom nass-in-nass aquarellierten Reh aus dem Jahr 1955 bis hin zu schonungslosen Bildnissen aus den Jahren 2014 und 2016, die die gealterten, nackten Körper des Künstlers und seiner Frau Elke zeigen, reicht hier das Spektrum.
Die Bilder seiner Künstlerkollegen habe er damals alle gesehen, doch für ihn sei das nichts gewesen, betont Georg Baselitz. Mit der Experimentierfreude und Pop-Art-Attitüde eines Sigmar Polke konnte er offenbar ebensowenig anfangen wie mit der konzeptuellen Herangehensweise Gerhard Richters oder Blinky Palermos Minimal-Gesten. Um seinen Sonderweg zu beschreiben, verwendet Baselitz das Bild eines Zuges, der mit Volldampf Richtung Gegenwart fährt. Vorne sitzen die Protagonisten des Zeitgenössischen. Er allerdings hockt im letzten Wagen und guckt durch das Heckfenster in die verschwindende, sich langsam auflösende Landschaft.
Dass er wegen seiner figurativen Malweise immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt ist, reaktionär zu sein, ärgert ihn. Dabei gehe es ihm doch um das Malen an sich. Vor-Bilder, seien sie von Edvard Munch oder Antonin Artaud, seien es afrikanische Skulpturen, die italienischen Manieristen oder die Gemälde der von ihm bewunderten Amerikaner Willem de Kooning und Philip Guston, spielen für Baselitz eine große Rolle. Mit diesen „bestimmten Quellen“ tritt er auf der Leinwand in Dialog, sie konfrontiert er mit seinen eigenen inneren Befindlichkeiten, seinen verschütteten Erinnerungen und seiner im Akt des Malens aufblitzenden Imagination. Mit Wiederholung habe das nichts zu tun, denn, so Baselitz: „Die Bilder, die man malt, rücken ja die Bilder, die schon da sind, zur Seite.“
Die große Zäsur kam 1969 mit dem Bild „Wald auf dem Kopf“. Es war das erste von unzähligen weiteren, die seinen Ruf als „Alles-auf-den-Kopf-Steller“ begründen sollten. Baselitz wollte damals weg von anekdotischen, deskriptiven Bildern. Das Motiv war ihm relativ unwichtig, die Malerei hingegen nicht. Gegenstandslose Malerei lag ihm allerdings überhaupt nicht. „Die Umkehrung des Motivs gab mir die Freiheit, mich mit malerischen Problemen auseinanderzusetzen“, begründete er diesen Schritt, den ihm bisher noch keiner nachgemacht hat. Von den frühen Grotesken über die Helden-Bilder der 1960er und die Remix-Serie der frühen 2000er Jahre bis hin zum letzten Raum wird der Spannungsbogen der Ausstellung kontinuierlich aufrecht erhalten. Auf dem auf den Tod verweisenden Gemälde „Bis auf weiteres abwärts“ (2017) führt Baselitz uns noch einmal seine ganze malerische Innovationskraft vor. Es zeigt zwei nackte, kopflose und ausgemergelte alte Menschenkörper in giftigem Rosa auf hellblau metallischem Grund.
Die beiden Ausstellungen bieten jetzt die einmalige Gelegenheit, Baselitz in seiner ganzen stilistischen Vielfalt zu erleben. Große Kunst ganz bestimmt. Damit, dass er vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ jedoch ziemlich krude Äußerungen von sich gegeben hat, die ihn gefährlich in die Nähe des Rechtspopulismus rücken, hat sich der einst in Sachsen geborene Künstler keinen Gefallen getan. Ach, wenn er doch beim Malen geblieben wäre.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Georg Baselitz
Ort: Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, Schweiz
Zeit: 21. Januar bis 29. April 2018, täglich 10–18 Uhr, Mi 10–20 Uhr
Katalog: Hatje Cantz Verlag, 268 S., 199 Abb., 58 Euro
Internet: www.fondationbeyeler.ch
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Ausstellung: Georg Baselitz. Werke auf Papier
Ort: Kunstmuseum Basel | Neubau
Zeit: 21. Januar bis 29. April 2018, Di – So 10–18 Uhr, Do 10–20 Uhr
Katalog: Verlag der Buchhandlung Walther König, 136 S., 97 Farbabb, 28 Euro
Internet: www.kunstmuseumbasel.ch