Frühlingserwachen nach zweieinhalbjährigem Winterschlaf: Mit ihrer vierten Ausgabe wechselt die Art Düsseldorf auf den Frühjahrstermin und präsentiert sich aufgeräumter, zuversichtlicher und hybrider denn je
Fast zweieinhalb Jahre mussten die Düsseldorfer warten, bis die nunmehr vierte Ausgabe ihrer Kunstmesse Art Düsseldorf stattfinden konnte. Die rheinische Messe, die ihre Premiere im November 2017 feierte, konnte sich schnell nach den erfolgreichen weiteren Ausgaben 2018 und 2019 als feste neue Größe neben der Art Cologne etablieren. Doch dann kam mit der Corona Pandemie der Lockdown und damit verbunden eine längere Zwangspause. Jetzt ist die Art Düsseldorf mit neuem Schwung zurück – und das auch mit Hilfe einer großzügigen Unterstützung im Rahmen des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aufgelegten Programms „Neu Start Kultur“. Die Galerist.innen konnten daher zu 30% der sonst üblichen Standgebühren an der Messe teilnehmen. 84 Galerien präsentieren sich auf der Art Düsseldorf. Viele davon natürlich aus der Stadt selbst und dem Rheinland, sowie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Darüberhinaus sind aber auch Galerien aus Italien, Frankreich, Dänemark, Peru, Spanien, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und der Türkei an den Rhein gekommen. Unter den internationalen Top Playern befinden sich Adressen wie Leo Koenig Inc. und Carolina Nitsch aus New York, Kamel Mennour aus Paris, Nosbaum Reding aus Luxemburg/Brüssel, Galerie Krinzinger aus Wien und Zilberman aus Istanbul.
Messedirektor Walter Gehlen bezeichnet die Art Düsseldorf gerne als „erste hybride Kunstmesse weltweit“. Unter dem Motto „experience it everywhere“ richtet sich die Messe nicht nur an die Vor-Ort-Besucher, die während der vier Messetage mit Impfnachweis und Maske durch die beiden lichtdurchfluteten Industriehallen des Areal Böhler flanieren. 50 extra geschulte Art Guides stehen mit Headsets und 360-Grad-Smartphone-Kameras bereit, virtuelle Führungen über die Messe für Daheimgebliebene zu machen. Die Idee dahinter: Gerade internationale Sammler, die es nicht nach Düsseldorf geschafft haben, können vom Wohnzimmer aus mittels der Art Guides mit ausgewählten Galeristen kommunizieren, Kunstwerke detailliert in Augenschein nehmen, direkt reservieren oder erwerben. „Wir sind ein Marktplatz und ein Dienstleister“, erklärt Walter Gehlen dieses neue Format. Auf der Website der Art Düsseldorf legen die Galeristen zudem größtenteils ihre Preise offen. Zudem bleibt der Online-Shop auch nach Schließung der Messetore noch für drei Monate erhalten und wird sogar noch laufend aktualisiert.
Dennoch funktioniert die Art Düsseldorf nicht nur virtuell. Bereits zur Preview am Donnerstag strömten trotz des Starkregens zahlreiche Besucher zum im Nordwesten vom Zentrum gelegenen Areal Böhler, wo die Kunstmesse von Beginn an stattfindet. Kein typisches Messegelände, sondern 1915 errichtete, heute unter Denkmalschutz stehende Hallen eines ehemaligen Stahlwerks mit viel Charme und Tageslicht. Breite Gänge, ruhige Verweilzonen und großzügig bemessene Messestände sorgen für eine angenehme Atmosphäre, die dem in Pandemiezeiten ausgeprägteren Abstandsbedürfnis vieler Aussteller:innen und Besucher:innen entgegenkommt. Über die Messe verteilt sind fünf sogenannte Skulpturenplätze. Hier sorgen imposante Großskulpturen für Abwechslung und Gliederung. So zum Beispiel ein Pavillon des kürzlich verstorbenen US-Künstlers Dan Graham (1942-2022), der mit seinen architektonischen Elementen aus Stahl und Glas eine Vielzahl unterschiedlicher Spiegelungen und Durchsichten evoziert.
Am Stand der New Yorker Galerie Leo Koenig Inc. ist eine ebenso schöne wie repräsentative Auswahl von Fallenobjekten des in Berlin und Hamburg lebenden Konzeptkünstlers Andreas Slominski, Jahrgang 1959, auf einem großen, weißen Podest zu sehen. Die ganz unterschiedlichen, humorvollen Tierfallen in Form von bricolageartig zusammengefügten Windmühlen, Fotoapparaten, Kinderkarussells oder Spielzeugautos in diversen Größen sind zu Preisen zwischen 5.000 und 32.000 Euro im Angebot. Dazu präsentiert Leo Koenig Inc. an den Wänden diverse „Date Paintings“ des 2014 verstorbenen japanischen Konzeptkünstlers On Kawara (Preise auf Anfrage).
Besonders zufrieden mit der Messe zeigt sich der Berliner Alexander Levy. Bereits 20 Minuten nach Messebeginn konnte er eine flackernde Lampenskulptur von Felix Kiessling, Jahrgang 1980, für 12.000 Euro verkaufen. Die Straßenlaterne im Ost-Design wird über das Internet gesteuert und leuchtet immer dann für einen kurzen Moment auf, wenn irgendwo auf der Welt ein Blitz registriert wird. Ebenfalls im Angebot waren farbige Feuerschutztüren, die Kiessling durch kurzzeitige Gewalteinwirkung zu skulptural ausgestülpten Wandobjekten transformiert hat. Weiterhin am Stand: S/W-Fotografien von Julius von Bismarck vom Wirbelsturm Irma, ergänzt mit Zitaten der medialen Berichterstattung (16.000 Euro).
„Das Erscheinungsbild der Messe ist sehr gut“, sagt auch Matthias Kunz von der Münchner Galerie Knust Kunz Gallery Editions. „Wir haben uns entschlossen, hier auf der Art Düsseldorf nur Editionen zu zeigen.“ Kunz freut sich, dass unter anderem mit Borch Editions Copenhagen/Berlin und Carolina Nitsch noch weitere hochkarätige Editeure auf der Messe vertreten sind. Das Spektrum bei Knust Kunz Gallery Editions reicht von älteren Arbeiten wie etwa einer Serie von seltenen Holzschnitten von Jonathan Meese für jeweils 8.300 Euro (6er Auflage) aus dem Jahr 2008 bis hin zu einer aktuellen Arbeit von Olaf Nicolai. Diese basiert auf einem 24-Stunden-Film, den Nicolai von dem bekannten Karl-Marx-Denkmal in Chemnitz gemacht hat. Daraus ist jetzt eine vierteilige, großformatige Edition in 10er-Auflage entstanden. Ein viel fotografierter Eyecatcher, der die Neugierde der Besucher:innen auf sich zieht. Die Edition wird für 14.000 Euro angeboten.
Für Aufmerksamkeit sorgte auch eine Fotoserie mit dem Titel „I Don’t Need a Cloak to Become Invisible“ von Cordula Ditz, Jahrgang 1972, am Stand der Hamburger Galerie Conradi. Die Hamburger Künstlerin hat sich Frauenporträts, die sie auf dem Online-Marktplatz eBay gefunden hat, künstlerisch angeeignet. Die gezeigten Frauen präsentieren am eigenen Körper exklusive Kleidungsstücke, vor allem Hochzeits- oder Abendkleider, die sie zum Verkauf anbieten. Dabei nehmen sie intuitiv die stereotypen Posen von Models oder Influencer:innen ein. Cordula Ditz interessiert sich primär für Modi der Selbstdarstellung und Aneignung, die teils absurd anmutenden Settings und die Tatsache, dass die Gesichter der Frauen mit digitalen Übermalungen, Smileys und Emojis anonymisiert wurden. Aus mehr als 400 Motiven soll in Kürze im Leipziger Verlag Spector Books ein Künstlerbuch entstehen. Die Fotografien mit feministischem Subtext werden in einer 5er-Auflage zu je 3.800 Euro angeboten. Sie weckten auf der Messe großes Interesse, gerade bei Kuratorinnen, wie Galeristin Elena Winkel berichtet.
Eine echte Entdeckung konnte man am Stand von Persons Projects aus Berlin machen. Galerist Timothy Persons lenkt die Aufmerksamkeit auf den lange Zeit im Verborgenen arbeitenden US-amerikanischen Fotografen Grey Crawford. Der 1951 geborene Fotograf lebt in Los Angeles. Was bisher nur wenige Experten wussten: Er gilt als einer der Pioniere der künstlerischen Farbfotografie. Sein konzeptuelles Werk war jedoch lange Zeit unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung versteckt, da Crawford zwecks Finanzierung seines Lebensunterhalts primär als kommerzieller Fotograf tätig war. Das soll sich jetzt ändern. Crawfords innovative Dunkelkammer-Experimente in Schwarz-Weiß und in Farbe basieren auf eigenen Architekturfotografien, die in Los Angeles und Umgebung entstanden sind. Sie werden auch auf dem kommenden Gallery Weekend Berlin bei Persons Projects einer größeren Öffentlichkeit präsentiert. Große Ausstellungen in den USA sind in Planung (Preise ab 5.000 Euro).
Auch einige Galerien aus der Nachbarstadt Köln präsentieren sich auf der Art Düsseldorf. So zeigt etwa die Kölnerin Priska Pasquer neben einem Gemälde von Warren Neidich und einer experimentellen NFT-Präsentation des in Manila geborenen New Yorker Künstlers Skye Nicolas eine erst jetzt von der Künstlerin in ihrem Archiv wiederentdeckte Original-Collage von Ulrike Rosenbach aus dem Jahr 1969. Das Blatt im Format 30 x 43 cm der Serie „Art is a Criminal Action“ zeigt Andy Warhols berühmtes Bild „Double Elvis“ (1963), das den Sänger und Schauspieler mit gezücktem Revolver als Westernheld zeigt, und Rosenbachs feministische Adaption des Motivs, die Ausgangspunkt vieler ihrer großformatigen Arbeiten werden sollte. Die Collage ist für 60.000 Euro im Angebot.
Zufrieden mit ihrem Düsseldorfer Auftritt ist auch die Produzentengalerie aus Hamburg. „Es ist gut, zu zwei unterschiedlichen Zeiten im Rheinland präsent zu sein“, sagt Galerist Gideon Modersohn im Hinblick auf die im November stattfindende Art Cologne. „Die Region kann zwei Messen durchaus vertragen“. Die Hamburger Galerie zeigt unter anderem drei Gemälde des in Berlin lebenden Malers Bernhard Brungs, Jahrgang 1974. Die figurativen Porträts von Vertretern der Beat Generation wie etwa Allen Ginsberg bestechen durch ihre verwischte Kreidetechnik und ihre perfekte Ausführung. Sie kosten zwischen 5.500 und 6.500 Euro. Als perfekte Ergänzung zu Brungs’ literarisch aufgeladenen Gemälden zeigt die Produzentengalerie auch ein ganz in Blau gehaltenes, nahezu unsichtbares Jack Kerouac-Porträt des Malers Christoph Blawert, Jahrgang 1981, das jedoch humorvoll um zwei naturalistisch perfekt gemalte Himbeeren ergänzt ist (4.000 Euro).
Die Art Düsseldorf erweist sich selbstverständlich auch als perfekte Plattform für zahlreiche Düsseldorfer Galerien. Mit Van Horn, Rupert Pfab, Petra Rinck, Sies + Höke, Cosar und einigen anderen Lokalmatadoren trafen die Sammler:innen auf viele bekannte Galerien und ihre Künstler:innen, die ihnen auch von den regelmäßigen Galerienrundgängen in Düsseldorf und dem Herbst-Format DC Open bestens vertraut sind. Die Galerie Kadel Willborn zeigt beispielsweise eine Einzelpräsentation des Karlsruher Malers Helmut Dorner. Passend zum 70. Geburtstag des 1952 geborenen Gerhard Richter-Schülers sind ältere und aktuelle Arbeiten am Stand zu sehen. Dorner setzt sich in seiner Malerei mit räumlichen Formen und dezent angedeuteten Gegenständen auseinander (Preise auf Anfrage).
Zehn Gemeinschaftsstände zählt die Art Düsseldorf. Einen davon teilen sich die Hamburger Galerie Karin Günther und die Wiener Galerie Krobath. Während Karin Günther unter anderem aktuelle Gemälde von Michael Bauch, Textbilder von Stefan Marx und eine Wandskulptur von Berta Fischer mit nach Düsseldorf gebracht hat, zeigt die Galerie Krobath junge Positionen aus Wien. Wer sich bereits am Stand für diese Künstler:innen interessierte, kann sich an einem anderen, neuen Ort in Düsseldorf davon überzeugen, wie die Werke in einem wohnlichen Ambiente wirken können.
Die Galerie Krobath hat sich nämlich mit dem Düsseldorfer Sammlerpaar Silke Haars und Lars Monshausen zusammengetan, um in den Firmenräumen des Paares Arbeiten aus dem Portfolio der Galerie zu präsentieren. Das Sammlerpaar konnte vor einigen Jahren die in den 1970er Jahren errichteten Geschäftsräume einer großen Spedition anmieten. Der besondere Clou: Fast alle aus der damaligen Zeit stammenden Einrichtungsgegenstände, Lampen und besondere Features wie etwa eine versteckte Bar oder eine von hinten beleuchtete Holzpaneele mit Glaseinsätzen sind erhalten geblieben und verleihen den Räumen eine Art Zeitkapsel-Atmosphäre. Sogar ein Filmteam von RTL+ hat diese Räume vor Kurzem als Drehort für die Miniserie „Faking Hitler“ mit Lars Eidinger und Moritz Bleibtreu benutzt. Besonders gut machen sich auf der Chefetage die Werke der Künstler:innen Elisa Alberti (Jahrgang 1992), Theresa Eipeldauer (Jahrgang 1985) und Sebastian Koch (Jahrgang 1986). Alle Arbeiten weisen Bezüge zum geometrischen Formenvokabular der Moderne auf und fügen sich mit ihren stimmigen Farbklängen perfekt ins späte Wirtschaftswunder-Ambiente der alten Bundesrepublik ein.
Die Düsseldorfer Institutionen und Privatsammlungen umrahmen die Kunstmesse mit hochkarätigen Ausstellungen, die den Aufenthalt im Rheinland abrunden. So eröffnete während der Art Düsseldorf im K21 die Ausstellung „Dialoge im Wandel“ mit Fotografien aus der Walther Collection. Der Sammler Artur Walther betreibt ein Privatmuseum in Neu-Ulm und einen Projektraum in New York. Er ist unter anderem spezialisiert auf afrikanische Fotografie. Zusammen mit dem verstorbenen Kurator Okwui Enwezor unternahm er etliche Recherchereisen in zahlreiche afrikanische Länder. In Düsseldorf zu sehen sind jetzt rund 500 afrikanische Fotografien von der Kolonialzeit bis heute (bis 25. September 2022).
In der privaten Kai10 Arthena Foundation ist noch bis zum 26. Juni 2022 die von dem Berliner Ludwig Seyfarth kuratierte Ausstellung „Gulliver’s Sketchbook“ zu sehen. Die sehenswerte Gruppenausstellung versammelt ausschließlich Arbeiten aus dem Medium Zeichnung. Dabei wird der Zeichnungsbegriff jedoch durchaus erweitert in Richtung Performance, Klebetechnik oder Objektkunst.
Die Sammlung Philara des Düsseldorfer Sammlers Gil Bronner zeigt zur Zeit unter dem Titel „Adjustable Monuments“ eine sehr sehenswerte, stark diskursiv aufgeladene und international besetzte Gruppenausstellung zum aktuellen Wandel des tradierten Denkmal- und Mahnmalbegriffs.
Anlässlich ihres 15. Jubiläums wird zudem die Julia Stoschek Collection ab dem 5. Juni 2022 mit Hans Ulrich Obrist als Gastkurator die Schau „Worldbuilding. Videospiele und Kunst im Digitalen Zeitalter“ zum Thema Gaming mit vielen internationalen Leihgaben realisieren.
Es gibt also Gründe genug, auch außerhalb der Messetage demnächst mal wieder nach Düsseldorf zu kommen.
Auf einen Blick:
Messe: Art Düsseldorf – experience it everywhere
Ort: Areal Böhler, Düsseldorf
Zeit: 8.–10. April 2022
Internet: www.art-dus.de